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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Briefe aus der Aaiserstadt.

Zu keiner anderen Zeit mehr, als zur Weihnachtszeit pflegt Berlin ein
recht fröhliches Gesicht zu haben. Diesmal wirkten verschiedene Ursachen zu'
sammen. das sonnige Antlitz ein wenig zu verdüstern. Jene allgemeine Un-
behaglichkeit, die sich infolge des "Krachs" über die Gemüther und über die
Geldbeutel gelagert, sodann die in der vorletzten Woche eingetretene Hof- und
Landestrauer hielten die lustigen Sinne gefangen. Und obendrein noch durch¬
flog am Dienstag Morgen die Kunde von einer äußerst bedenklichen Ver¬
schlimmerung im Gesundheitszustande des Kaisers, die Stadt. Zahlreiche
Gruppen versammelten sich vor dem Palais, mit banger Sorge nach den Fenstern
des kaiserlichen Wohnzimmers blickend. Erst als am Nachmittag der allge¬
liebte Monarch sich selbst zeigte, ging die Menge beruhigt auseinander und
die Stadt athmete auf, wie befreit von einem bösen Alp. In der That, der
Tag gewährte einen Einblick in das innerste Gemüth der Berliner Bevölke¬
rung. Diese ewig nörgelnde und witzelnde, in nicht geringem Grade frivole
Gesellschaft -- in jenem Augenblicke zeigte sie einen Ernst der Niedergeschlagen¬
heit, eine Aufrichtigkeit der Theilnahme, wie sie bei dem monarchischsten
Volke der Welt nicht rührender gedacht werden können. Und rührend war
auch die allgemeine Freude, als der Ungrund der betrübenden Gerüchte offen¬
bar ward. Doppelt gern ergab man sich nunmehr den Vergnügungen der
festlichen Tage.

Der beste Theil dieser Vergnügungen ist geborgen in des Hauses hei¬
liger Grenze; er entzieht sich dem Auge des Beobachters. Dennoch bleibt
mehr als genug, was die Musen in dieser Zeit mit besonders freigebiger
Hand allem Volk zu bieten wissen. Ein Blick auf die Anschlagsäulen über¬
hebt mich des Beweises. Welch buntes Durcheinander von Theatern, Con¬
certen und Bällen! Und wem der Abend nicht genügte, dem wurden am
ersten und zweiten Feiertage sogar am hellen Mittag zwischen 11 und 1 Uhr
in verschiedenen Concert- und Theaterlokalen musikalische und dramatische
Genüsse geboten! Leicht begreift sich, daß nicht die ernste Kunst des Schau¬
spiel- und des Opernhauses an diesen Tagen den Preis davon trägt; viel¬
mehr fühlt sich die fröhliche Menge von dem Zauber lustiger schwanke oder
den Aufregungen des Circus angezogen. Die Posse zumal pflegt in der
Weihnachtszeit ihre Glanzperiode zu feiern und vor allem ist es Helmerding's
Wirkungsstätte, vor welcher allabendlich eine dichtgedrängte Schaar der zwerch¬
fellerschütternden Scenen harrt. In dem Volksstück "Mein Leopold" von
L'Arronge hat das Wallnertheater im Ganzen einen recht glücklichen Griff


Briefe aus der Aaiserstadt.

Zu keiner anderen Zeit mehr, als zur Weihnachtszeit pflegt Berlin ein
recht fröhliches Gesicht zu haben. Diesmal wirkten verschiedene Ursachen zu'
sammen. das sonnige Antlitz ein wenig zu verdüstern. Jene allgemeine Un-
behaglichkeit, die sich infolge des „Krachs" über die Gemüther und über die
Geldbeutel gelagert, sodann die in der vorletzten Woche eingetretene Hof- und
Landestrauer hielten die lustigen Sinne gefangen. Und obendrein noch durch¬
flog am Dienstag Morgen die Kunde von einer äußerst bedenklichen Ver¬
schlimmerung im Gesundheitszustande des Kaisers, die Stadt. Zahlreiche
Gruppen versammelten sich vor dem Palais, mit banger Sorge nach den Fenstern
des kaiserlichen Wohnzimmers blickend. Erst als am Nachmittag der allge¬
liebte Monarch sich selbst zeigte, ging die Menge beruhigt auseinander und
die Stadt athmete auf, wie befreit von einem bösen Alp. In der That, der
Tag gewährte einen Einblick in das innerste Gemüth der Berliner Bevölke¬
rung. Diese ewig nörgelnde und witzelnde, in nicht geringem Grade frivole
Gesellschaft — in jenem Augenblicke zeigte sie einen Ernst der Niedergeschlagen¬
heit, eine Aufrichtigkeit der Theilnahme, wie sie bei dem monarchischsten
Volke der Welt nicht rührender gedacht werden können. Und rührend war
auch die allgemeine Freude, als der Ungrund der betrübenden Gerüchte offen¬
bar ward. Doppelt gern ergab man sich nunmehr den Vergnügungen der
festlichen Tage.

Der beste Theil dieser Vergnügungen ist geborgen in des Hauses hei¬
liger Grenze; er entzieht sich dem Auge des Beobachters. Dennoch bleibt
mehr als genug, was die Musen in dieser Zeit mit besonders freigebiger
Hand allem Volk zu bieten wissen. Ein Blick auf die Anschlagsäulen über¬
hebt mich des Beweises. Welch buntes Durcheinander von Theatern, Con¬
certen und Bällen! Und wem der Abend nicht genügte, dem wurden am
ersten und zweiten Feiertage sogar am hellen Mittag zwischen 11 und 1 Uhr
in verschiedenen Concert- und Theaterlokalen musikalische und dramatische
Genüsse geboten! Leicht begreift sich, daß nicht die ernste Kunst des Schau¬
spiel- und des Opernhauses an diesen Tagen den Preis davon trägt; viel¬
mehr fühlt sich die fröhliche Menge von dem Zauber lustiger schwanke oder
den Aufregungen des Circus angezogen. Die Posse zumal pflegt in der
Weihnachtszeit ihre Glanzperiode zu feiern und vor allem ist es Helmerding's
Wirkungsstätte, vor welcher allabendlich eine dichtgedrängte Schaar der zwerch¬
fellerschütternden Scenen harrt. In dem Volksstück „Mein Leopold" von
L'Arronge hat das Wallnertheater im Ganzen einen recht glücklichen Griff


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[0029] Briefe aus der Aaiserstadt. Zu keiner anderen Zeit mehr, als zur Weihnachtszeit pflegt Berlin ein recht fröhliches Gesicht zu haben. Diesmal wirkten verschiedene Ursachen zu' sammen. das sonnige Antlitz ein wenig zu verdüstern. Jene allgemeine Un- behaglichkeit, die sich infolge des „Krachs" über die Gemüther und über die Geldbeutel gelagert, sodann die in der vorletzten Woche eingetretene Hof- und Landestrauer hielten die lustigen Sinne gefangen. Und obendrein noch durch¬ flog am Dienstag Morgen die Kunde von einer äußerst bedenklichen Ver¬ schlimmerung im Gesundheitszustande des Kaisers, die Stadt. Zahlreiche Gruppen versammelten sich vor dem Palais, mit banger Sorge nach den Fenstern des kaiserlichen Wohnzimmers blickend. Erst als am Nachmittag der allge¬ liebte Monarch sich selbst zeigte, ging die Menge beruhigt auseinander und die Stadt athmete auf, wie befreit von einem bösen Alp. In der That, der Tag gewährte einen Einblick in das innerste Gemüth der Berliner Bevölke¬ rung. Diese ewig nörgelnde und witzelnde, in nicht geringem Grade frivole Gesellschaft — in jenem Augenblicke zeigte sie einen Ernst der Niedergeschlagen¬ heit, eine Aufrichtigkeit der Theilnahme, wie sie bei dem monarchischsten Volke der Welt nicht rührender gedacht werden können. Und rührend war auch die allgemeine Freude, als der Ungrund der betrübenden Gerüchte offen¬ bar ward. Doppelt gern ergab man sich nunmehr den Vergnügungen der festlichen Tage. Der beste Theil dieser Vergnügungen ist geborgen in des Hauses hei¬ liger Grenze; er entzieht sich dem Auge des Beobachters. Dennoch bleibt mehr als genug, was die Musen in dieser Zeit mit besonders freigebiger Hand allem Volk zu bieten wissen. Ein Blick auf die Anschlagsäulen über¬ hebt mich des Beweises. Welch buntes Durcheinander von Theatern, Con¬ certen und Bällen! Und wem der Abend nicht genügte, dem wurden am ersten und zweiten Feiertage sogar am hellen Mittag zwischen 11 und 1 Uhr in verschiedenen Concert- und Theaterlokalen musikalische und dramatische Genüsse geboten! Leicht begreift sich, daß nicht die ernste Kunst des Schau¬ spiel- und des Opernhauses an diesen Tagen den Preis davon trägt; viel¬ mehr fühlt sich die fröhliche Menge von dem Zauber lustiger schwanke oder den Aufregungen des Circus angezogen. Die Posse zumal pflegt in der Weihnachtszeit ihre Glanzperiode zu feiern und vor allem ist es Helmerding's Wirkungsstätte, vor welcher allabendlich eine dichtgedrängte Schaar der zwerch¬ fellerschütternden Scenen harrt. In dem Volksstück „Mein Leopold" von L'Arronge hat das Wallnertheater im Ganzen einen recht glücklichen Griff

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/29>, abgerufen am 28.04.2024.