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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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ein auf festen Eisenpfeilern ruhendes metallenes Rippenwerk ausspannt und in
dessen Zwischenräume die eigentliche Decke fügt, die stets aus leichtem Stoffe,
oft nur aus Glas gebildet ist, ebenso pflanzt die heutige Taktik als feste
Pfeiler stählerne Batterien in den Schlachtenraum, und statt der Steinbalken
der Phalanx, statt des Gewölbes der Legion ist es ein leichtes Rippenwerk
von Kompagnie-Kolonnen, das die weitausgebreiteten Schwärme jener un¬
geheuren Tirailleurmcissen trägt, welche das Schlachtfeld erfüllen und in
denen heutzutage Einleitung, Durchführung, ja zumeist sogar die Entscheidung
des Gefechtes liegt.

Damit sind wir denn allerdings wieder da angelangt, von wo unsere
Betrachtung der Taktik ausging: beim Schwarmsystem. Aber freilich der
Schwarm von heute ist etwas anderes als der der alten Nomadenvölker.
Dieser war die roheste Manifestation des Masseninstinctes; jener ist grade im
Gegentheil das Ergebniß individualisirender Bildung, selbständig machender
Erziehung. -- Und doch -- geläugnet kann nicht werden, daß mit diesem
Vorherrschen des Schwarmsystems die Kunst formen der Taktik, die durchaus
auf der geschlossenen Masse beruhten, ebenso aufgehoben erscheinen, wie die
Kunstformen der Architektur im Glas- und Eisen-Bau, der sie ja ebenfalls
auf eine alte nomadische Form, auf die des Zeltes zurückgeführt hat -- und
wie in der Baukunst, so wird auch in der Taktik eifrig jetzt nach einem neuen
Styl gesucht.

Innig also stimmt die Entwickelung der Kriegskunst mit der der andern
Künste überein. und diese historische Harmonie spricht lauter als jede
philosophische Deduktion für das Anrecht des kriegerischen Schaffens auf den
Namen "Kunst." -- In welchem Style aber auch der Kriegskünstler ar¬
beiten mag, ob er das ihm vorschwebende Ideal, den Sieg, in den Formen
der speerstarrenden Phalanx, der pilumschlendernden Legion oder des feuer¬
speienden Massenschwarms ins Leben rufen will, immer gebührt ihm, wenn
er kein virtuoser Condottiere, sondern ein ächter Krieger ist, mit vollem Recht
derselbe Preis des Dankes, den die Begeisterung dem Dichter und dem Künst¬
ler reicht: der, dem Apollo heilige Lorbeer!




Geßerreichische Ansprüche aus deutschen Aeichsboden.

Beiden jüngst erfolgten Neichstagswahlen sind überraschender Weise inmitten
des protestantischen Sachsens, welches, wie die "LeipzigerZeitung" unlängst mit
Emphase versicherte, von dem kirchenpolitischen Conflikte in Preußen nicht be-


ein auf festen Eisenpfeilern ruhendes metallenes Rippenwerk ausspannt und in
dessen Zwischenräume die eigentliche Decke fügt, die stets aus leichtem Stoffe,
oft nur aus Glas gebildet ist, ebenso pflanzt die heutige Taktik als feste
Pfeiler stählerne Batterien in den Schlachtenraum, und statt der Steinbalken
der Phalanx, statt des Gewölbes der Legion ist es ein leichtes Rippenwerk
von Kompagnie-Kolonnen, das die weitausgebreiteten Schwärme jener un¬
geheuren Tirailleurmcissen trägt, welche das Schlachtfeld erfüllen und in
denen heutzutage Einleitung, Durchführung, ja zumeist sogar die Entscheidung
des Gefechtes liegt.

Damit sind wir denn allerdings wieder da angelangt, von wo unsere
Betrachtung der Taktik ausging: beim Schwarmsystem. Aber freilich der
Schwarm von heute ist etwas anderes als der der alten Nomadenvölker.
Dieser war die roheste Manifestation des Masseninstinctes; jener ist grade im
Gegentheil das Ergebniß individualisirender Bildung, selbständig machender
Erziehung. — Und doch — geläugnet kann nicht werden, daß mit diesem
Vorherrschen des Schwarmsystems die Kunst formen der Taktik, die durchaus
auf der geschlossenen Masse beruhten, ebenso aufgehoben erscheinen, wie die
Kunstformen der Architektur im Glas- und Eisen-Bau, der sie ja ebenfalls
auf eine alte nomadische Form, auf die des Zeltes zurückgeführt hat — und
wie in der Baukunst, so wird auch in der Taktik eifrig jetzt nach einem neuen
Styl gesucht.

Innig also stimmt die Entwickelung der Kriegskunst mit der der andern
Künste überein. und diese historische Harmonie spricht lauter als jede
philosophische Deduktion für das Anrecht des kriegerischen Schaffens auf den
Namen „Kunst." — In welchem Style aber auch der Kriegskünstler ar¬
beiten mag, ob er das ihm vorschwebende Ideal, den Sieg, in den Formen
der speerstarrenden Phalanx, der pilumschlendernden Legion oder des feuer¬
speienden Massenschwarms ins Leben rufen will, immer gebührt ihm, wenn
er kein virtuoser Condottiere, sondern ein ächter Krieger ist, mit vollem Recht
derselbe Preis des Dankes, den die Begeisterung dem Dichter und dem Künst¬
ler reicht: der, dem Apollo heilige Lorbeer!




Geßerreichische Ansprüche aus deutschen Aeichsboden.

Beiden jüngst erfolgten Neichstagswahlen sind überraschender Weise inmitten
des protestantischen Sachsens, welches, wie die „LeipzigerZeitung" unlängst mit
Emphase versicherte, von dem kirchenpolitischen Conflikte in Preußen nicht be-


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[0309] ein auf festen Eisenpfeilern ruhendes metallenes Rippenwerk ausspannt und in dessen Zwischenräume die eigentliche Decke fügt, die stets aus leichtem Stoffe, oft nur aus Glas gebildet ist, ebenso pflanzt die heutige Taktik als feste Pfeiler stählerne Batterien in den Schlachtenraum, und statt der Steinbalken der Phalanx, statt des Gewölbes der Legion ist es ein leichtes Rippenwerk von Kompagnie-Kolonnen, das die weitausgebreiteten Schwärme jener un¬ geheuren Tirailleurmcissen trägt, welche das Schlachtfeld erfüllen und in denen heutzutage Einleitung, Durchführung, ja zumeist sogar die Entscheidung des Gefechtes liegt. Damit sind wir denn allerdings wieder da angelangt, von wo unsere Betrachtung der Taktik ausging: beim Schwarmsystem. Aber freilich der Schwarm von heute ist etwas anderes als der der alten Nomadenvölker. Dieser war die roheste Manifestation des Masseninstinctes; jener ist grade im Gegentheil das Ergebniß individualisirender Bildung, selbständig machender Erziehung. — Und doch — geläugnet kann nicht werden, daß mit diesem Vorherrschen des Schwarmsystems die Kunst formen der Taktik, die durchaus auf der geschlossenen Masse beruhten, ebenso aufgehoben erscheinen, wie die Kunstformen der Architektur im Glas- und Eisen-Bau, der sie ja ebenfalls auf eine alte nomadische Form, auf die des Zeltes zurückgeführt hat — und wie in der Baukunst, so wird auch in der Taktik eifrig jetzt nach einem neuen Styl gesucht. Innig also stimmt die Entwickelung der Kriegskunst mit der der andern Künste überein. und diese historische Harmonie spricht lauter als jede philosophische Deduktion für das Anrecht des kriegerischen Schaffens auf den Namen „Kunst." — In welchem Style aber auch der Kriegskünstler ar¬ beiten mag, ob er das ihm vorschwebende Ideal, den Sieg, in den Formen der speerstarrenden Phalanx, der pilumschlendernden Legion oder des feuer¬ speienden Massenschwarms ins Leben rufen will, immer gebührt ihm, wenn er kein virtuoser Condottiere, sondern ein ächter Krieger ist, mit vollem Recht derselbe Preis des Dankes, den die Begeisterung dem Dichter und dem Künst¬ ler reicht: der, dem Apollo heilige Lorbeer! Geßerreichische Ansprüche aus deutschen Aeichsboden. Beiden jüngst erfolgten Neichstagswahlen sind überraschender Weise inmitten des protestantischen Sachsens, welches, wie die „LeipzigerZeitung" unlängst mit Emphase versicherte, von dem kirchenpolitischen Conflikte in Preußen nicht be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/309>, abgerufen am 28.04.2024.