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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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steht, um zu behaupten, daß die Reichsverfassung auch ohne den jetzigen
Kanzler fortbestehen werde. Wie konnte der anwesende Fürst Bismarck anders,
als seine Zustimmung ausdrücken, daß auf einen Kanzler mehr oder weniger
nichts ankommen könne? Es giebt Fälle in denen die Aufrichtigkeit sich durch,
aus dem Anstand unterordnen muß, und in einen solchen Fall hatte Laster
den Fürsten Bismarck gebracht. Wir andern aber sind nicht gehindert, auf¬
richtig zu sein, und nirgends ist die Aufrichtigkeit besser angebracht, als in
diesem Falle. Die Lücke, welche Deutschlands Reich und Ration eines Tages
durch das Fehlen des Fürsten Bismarck empfinden werden. Ist unermeßlich
und unberechenbar in ihren Folgen. Aber der Vorwurf, daß die Reichsvei-
fassung auf den Kanzler zugeschnitten sei. ist über alle Maßen albern. Für
jetzt kann allerdings Niemand sagen, welches in Zukunft der entscheidende
Faktor der Reichsverfassung sein wird, ob das Kaiserthum. das im Bundes¬
rath collegialisch zusammengefaßte Reichsfürstenthum, oder endlich der Reichs¬
tag. Denn dies hängt davon ab, wo andauernd der richtigste Wille und die
zuverlässigste Kraft zum Vorschein kommt. Jetzt handhabt das Genie des
Fürsten Bismarck diese 3 Faktoren, je nachdem sie sich am wirksamsten zeigen.
Was verlangt man nun von dem Fürsten? Er soll seine Persönlichkeit zur
Ruhe setzen, dafür aber mit einem Zauberschlag die künftig entscheidende
Macht der Reichsverfassung hervorrufen, die sich doch nur durch einen lange",
arbeitvollen. Wechsel- und gefahrenreichen Prozeß der Geschichte bilden kann.
So wundersüchtig, so abergläubisch sind Demokraten! Die gefährliche Arbeit
wird und muß eines Tage? beginnen. Aber jemehr, wenn dieser Tag komm",
die deutsche Nation fortgeschritten ist, unter der Führung eines bevorzugten
Rüstzeuges der Geschichte, in großen Arbeiten der inneren und der äußeren
Politik, um so besser für uns Alle, denn um so leichter wird es sein, daß die
um das Uebergewicht streitenden Elemente den richtigen Weg. den Weg der
wahren Volkswohlfahrt im höchsten Sinne einschlagen, um zum Uebergewicht
zu gelangen. Das begreift der Patriotismus, aber niemals die Demokratie.


0 -- r.


pariser Iriefe.

> So leben wir denn wirklich in der Periode der Cousolidation des Sept-
enniums! Zwar will es noch Niemandem recht glaublich erscheinen; aber da


steht, um zu behaupten, daß die Reichsverfassung auch ohne den jetzigen
Kanzler fortbestehen werde. Wie konnte der anwesende Fürst Bismarck anders,
als seine Zustimmung ausdrücken, daß auf einen Kanzler mehr oder weniger
nichts ankommen könne? Es giebt Fälle in denen die Aufrichtigkeit sich durch,
aus dem Anstand unterordnen muß, und in einen solchen Fall hatte Laster
den Fürsten Bismarck gebracht. Wir andern aber sind nicht gehindert, auf¬
richtig zu sein, und nirgends ist die Aufrichtigkeit besser angebracht, als in
diesem Falle. Die Lücke, welche Deutschlands Reich und Ration eines Tages
durch das Fehlen des Fürsten Bismarck empfinden werden. Ist unermeßlich
und unberechenbar in ihren Folgen. Aber der Vorwurf, daß die Reichsvei-
fassung auf den Kanzler zugeschnitten sei. ist über alle Maßen albern. Für
jetzt kann allerdings Niemand sagen, welches in Zukunft der entscheidende
Faktor der Reichsverfassung sein wird, ob das Kaiserthum. das im Bundes¬
rath collegialisch zusammengefaßte Reichsfürstenthum, oder endlich der Reichs¬
tag. Denn dies hängt davon ab, wo andauernd der richtigste Wille und die
zuverlässigste Kraft zum Vorschein kommt. Jetzt handhabt das Genie des
Fürsten Bismarck diese 3 Faktoren, je nachdem sie sich am wirksamsten zeigen.
Was verlangt man nun von dem Fürsten? Er soll seine Persönlichkeit zur
Ruhe setzen, dafür aber mit einem Zauberschlag die künftig entscheidende
Macht der Reichsverfassung hervorrufen, die sich doch nur durch einen lange»,
arbeitvollen. Wechsel- und gefahrenreichen Prozeß der Geschichte bilden kann.
So wundersüchtig, so abergläubisch sind Demokraten! Die gefährliche Arbeit
wird und muß eines Tage? beginnen. Aber jemehr, wenn dieser Tag komm«,
die deutsche Nation fortgeschritten ist, unter der Führung eines bevorzugten
Rüstzeuges der Geschichte, in großen Arbeiten der inneren und der äußeren
Politik, um so besser für uns Alle, denn um so leichter wird es sein, daß die
um das Uebergewicht streitenden Elemente den richtigen Weg. den Weg der
wahren Volkswohlfahrt im höchsten Sinne einschlagen, um zum Uebergewicht
zu gelangen. Das begreift der Patriotismus, aber niemals die Demokratie.


0 — r.


pariser Iriefe.

> So leben wir denn wirklich in der Periode der Cousolidation des Sept-
enniums! Zwar will es noch Niemandem recht glaublich erscheinen; aber da


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[0317] steht, um zu behaupten, daß die Reichsverfassung auch ohne den jetzigen Kanzler fortbestehen werde. Wie konnte der anwesende Fürst Bismarck anders, als seine Zustimmung ausdrücken, daß auf einen Kanzler mehr oder weniger nichts ankommen könne? Es giebt Fälle in denen die Aufrichtigkeit sich durch, aus dem Anstand unterordnen muß, und in einen solchen Fall hatte Laster den Fürsten Bismarck gebracht. Wir andern aber sind nicht gehindert, auf¬ richtig zu sein, und nirgends ist die Aufrichtigkeit besser angebracht, als in diesem Falle. Die Lücke, welche Deutschlands Reich und Ration eines Tages durch das Fehlen des Fürsten Bismarck empfinden werden. Ist unermeßlich und unberechenbar in ihren Folgen. Aber der Vorwurf, daß die Reichsvei- fassung auf den Kanzler zugeschnitten sei. ist über alle Maßen albern. Für jetzt kann allerdings Niemand sagen, welches in Zukunft der entscheidende Faktor der Reichsverfassung sein wird, ob das Kaiserthum. das im Bundes¬ rath collegialisch zusammengefaßte Reichsfürstenthum, oder endlich der Reichs¬ tag. Denn dies hängt davon ab, wo andauernd der richtigste Wille und die zuverlässigste Kraft zum Vorschein kommt. Jetzt handhabt das Genie des Fürsten Bismarck diese 3 Faktoren, je nachdem sie sich am wirksamsten zeigen. Was verlangt man nun von dem Fürsten? Er soll seine Persönlichkeit zur Ruhe setzen, dafür aber mit einem Zauberschlag die künftig entscheidende Macht der Reichsverfassung hervorrufen, die sich doch nur durch einen lange», arbeitvollen. Wechsel- und gefahrenreichen Prozeß der Geschichte bilden kann. So wundersüchtig, so abergläubisch sind Demokraten! Die gefährliche Arbeit wird und muß eines Tage? beginnen. Aber jemehr, wenn dieser Tag komm«, die deutsche Nation fortgeschritten ist, unter der Führung eines bevorzugten Rüstzeuges der Geschichte, in großen Arbeiten der inneren und der äußeren Politik, um so besser für uns Alle, denn um so leichter wird es sein, daß die um das Uebergewicht streitenden Elemente den richtigen Weg. den Weg der wahren Volkswohlfahrt im höchsten Sinne einschlagen, um zum Uebergewicht zu gelangen. Das begreift der Patriotismus, aber niemals die Demokratie. 0 — r. pariser Iriefe. > So leben wir denn wirklich in der Periode der Cousolidation des Sept- enniums! Zwar will es noch Niemandem recht glaublich erscheinen; aber da

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/317>, abgerufen am 27.04.2024.