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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Dom preußischen Landtag und vom deutschen Ueichstag.

Von den Häusern des Landtags hat in dieser Woche nur das Herren¬
haus Sitzungen gehalten, um den vom Abgeordnetenhaus aufgehäuften Be¬
rathungsstoff zu erledigen. Wir übergehen die Verhandlungen über das Staats¬
haushaltgesetz, die nicht, wie einige Mitglieder um der von den Abgeordneten
abgesetzten Prämien für die Rennsiege willen verlangten, zur Verwerfung des
Gesetzes führten, sondern zur Annahme mit allen gegen drei Stimmen. Be¬
kanntlich kann das Staatshaushaltgesetz vom Herrenhaus nur im Ganzen
angenommen oder abgelehnt werden.

Am 17. Februar begann das Herrenhaus die Berathung des Gesetzent¬
wurfs über die Einführung der bürgerlichen Standesbücher und der bürger¬
lichen Form der Eheschließung. Die Wortführer der altständischen Opposition,
Gras Brühl. Kleist-Retzow, Freiherr Otto von Manteuffel u. s. w. schütteten
ihr ganzes Herz aus. Aber man wird nicht sagen können, daß auch nur ein
einziges bedeutungsvolles Wort gefallen sei. Die Herren von der altständi¬
schen Opposition sind nicht im Stande zu begreifen, daß die religiöse Weihe
der Ehe nicht verboten wird, wenn der Staat verlangt, daß das Rechtsver¬
hältniß, welches zum Ehebund gehört, durch bürgerliche Behörden beurkundet
werde. Es ist ja richtig, daß das Volk in einem großen Theile von Deutsch¬
land die rechtliche Seite des Ehebundes von der sittlich-religiösen nicht unter¬
schieden hat. Man kann auch zugeben, daß diese Unterscheidung im Anfang
zu manchen Mißverständnissen führen wird. Im Ganzen bleibt sie ein großer
Fortschritt. Es ist ein heilbringender Fortschritt, den ein Volk macht, wenn
es lernt, die Religion und alle religiösen Handlungen als Folge der uner-
zwungenen Sitte und des äußerlich ungebundenen Gemüthsbedürfnisfes zu
verstehen. Es ist eine Culturstufe, welche die Völker durchleben und auf wel¬
cher sie lange verweilen müssen, wo die Religion zu demjenigen Guten gehört,
zu welchem der Mensch gezwungen werden muß. Aber die wahre Blüthe der
Religion öffnet sich nur in der Freiheit. Man kann von dieser Wahrheit tief
überzeugt sein, und doch sehr weit entfernt von der unreifen Schwärmerei,
welche das ganze sittliche Leben jetzt oder in irgend einer Zukunft auf die
Freiwilligkeit zu gründen hofft. Darum handelt es sich hier gar nicht. Man
will nur die gesetzliche Seite des Ehebundes und die innere Seite, die kein
Gesetz erreicht, in ihren Symbolen trennen, weil die erste erzwingbar ist und
erzwungen werden muß, während die letztere kein Zwang berühren kann.

Die technischen Veränderungen, welche das Herrenhaus an dem Gesetzent-


Dom preußischen Landtag und vom deutschen Ueichstag.

Von den Häusern des Landtags hat in dieser Woche nur das Herren¬
haus Sitzungen gehalten, um den vom Abgeordnetenhaus aufgehäuften Be¬
rathungsstoff zu erledigen. Wir übergehen die Verhandlungen über das Staats¬
haushaltgesetz, die nicht, wie einige Mitglieder um der von den Abgeordneten
abgesetzten Prämien für die Rennsiege willen verlangten, zur Verwerfung des
Gesetzes führten, sondern zur Annahme mit allen gegen drei Stimmen. Be¬
kanntlich kann das Staatshaushaltgesetz vom Herrenhaus nur im Ganzen
angenommen oder abgelehnt werden.

Am 17. Februar begann das Herrenhaus die Berathung des Gesetzent¬
wurfs über die Einführung der bürgerlichen Standesbücher und der bürger¬
lichen Form der Eheschließung. Die Wortführer der altständischen Opposition,
Gras Brühl. Kleist-Retzow, Freiherr Otto von Manteuffel u. s. w. schütteten
ihr ganzes Herz aus. Aber man wird nicht sagen können, daß auch nur ein
einziges bedeutungsvolles Wort gefallen sei. Die Herren von der altständi¬
schen Opposition sind nicht im Stande zu begreifen, daß die religiöse Weihe
der Ehe nicht verboten wird, wenn der Staat verlangt, daß das Rechtsver¬
hältniß, welches zum Ehebund gehört, durch bürgerliche Behörden beurkundet
werde. Es ist ja richtig, daß das Volk in einem großen Theile von Deutsch¬
land die rechtliche Seite des Ehebundes von der sittlich-religiösen nicht unter¬
schieden hat. Man kann auch zugeben, daß diese Unterscheidung im Anfang
zu manchen Mißverständnissen führen wird. Im Ganzen bleibt sie ein großer
Fortschritt. Es ist ein heilbringender Fortschritt, den ein Volk macht, wenn
es lernt, die Religion und alle religiösen Handlungen als Folge der uner-
zwungenen Sitte und des äußerlich ungebundenen Gemüthsbedürfnisfes zu
verstehen. Es ist eine Culturstufe, welche die Völker durchleben und auf wel¬
cher sie lange verweilen müssen, wo die Religion zu demjenigen Guten gehört,
zu welchem der Mensch gezwungen werden muß. Aber die wahre Blüthe der
Religion öffnet sich nur in der Freiheit. Man kann von dieser Wahrheit tief
überzeugt sein, und doch sehr weit entfernt von der unreifen Schwärmerei,
welche das ganze sittliche Leben jetzt oder in irgend einer Zukunft auf die
Freiwilligkeit zu gründen hofft. Darum handelt es sich hier gar nicht. Man
will nur die gesetzliche Seite des Ehebundes und die innere Seite, die kein
Gesetz erreicht, in ihren Symbolen trennen, weil die erste erzwingbar ist und
erzwungen werden muß, während die letztere kein Zwang berühren kann.

Die technischen Veränderungen, welche das Herrenhaus an dem Gesetzent-


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[0357] Dom preußischen Landtag und vom deutschen Ueichstag. Von den Häusern des Landtags hat in dieser Woche nur das Herren¬ haus Sitzungen gehalten, um den vom Abgeordnetenhaus aufgehäuften Be¬ rathungsstoff zu erledigen. Wir übergehen die Verhandlungen über das Staats¬ haushaltgesetz, die nicht, wie einige Mitglieder um der von den Abgeordneten abgesetzten Prämien für die Rennsiege willen verlangten, zur Verwerfung des Gesetzes führten, sondern zur Annahme mit allen gegen drei Stimmen. Be¬ kanntlich kann das Staatshaushaltgesetz vom Herrenhaus nur im Ganzen angenommen oder abgelehnt werden. Am 17. Februar begann das Herrenhaus die Berathung des Gesetzent¬ wurfs über die Einführung der bürgerlichen Standesbücher und der bürger¬ lichen Form der Eheschließung. Die Wortführer der altständischen Opposition, Gras Brühl. Kleist-Retzow, Freiherr Otto von Manteuffel u. s. w. schütteten ihr ganzes Herz aus. Aber man wird nicht sagen können, daß auch nur ein einziges bedeutungsvolles Wort gefallen sei. Die Herren von der altständi¬ schen Opposition sind nicht im Stande zu begreifen, daß die religiöse Weihe der Ehe nicht verboten wird, wenn der Staat verlangt, daß das Rechtsver¬ hältniß, welches zum Ehebund gehört, durch bürgerliche Behörden beurkundet werde. Es ist ja richtig, daß das Volk in einem großen Theile von Deutsch¬ land die rechtliche Seite des Ehebundes von der sittlich-religiösen nicht unter¬ schieden hat. Man kann auch zugeben, daß diese Unterscheidung im Anfang zu manchen Mißverständnissen führen wird. Im Ganzen bleibt sie ein großer Fortschritt. Es ist ein heilbringender Fortschritt, den ein Volk macht, wenn es lernt, die Religion und alle religiösen Handlungen als Folge der uner- zwungenen Sitte und des äußerlich ungebundenen Gemüthsbedürfnisfes zu verstehen. Es ist eine Culturstufe, welche die Völker durchleben und auf wel¬ cher sie lange verweilen müssen, wo die Religion zu demjenigen Guten gehört, zu welchem der Mensch gezwungen werden muß. Aber die wahre Blüthe der Religion öffnet sich nur in der Freiheit. Man kann von dieser Wahrheit tief überzeugt sein, und doch sehr weit entfernt von der unreifen Schwärmerei, welche das ganze sittliche Leben jetzt oder in irgend einer Zukunft auf die Freiwilligkeit zu gründen hofft. Darum handelt es sich hier gar nicht. Man will nur die gesetzliche Seite des Ehebundes und die innere Seite, die kein Gesetz erreicht, in ihren Symbolen trennen, weil die erste erzwingbar ist und erzwungen werden muß, während die letztere kein Zwang berühren kann. Die technischen Veränderungen, welche das Herrenhaus an dem Gesetzent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/357>, abgerufen am 27.04.2024.