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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Im Geschichte der Justonsöewegung in Frankreich.
Zweiter Artikel.

Wir schlössen den vorigen Artikel mit der Frage nach dem Inhalt, der
in dem Symbol des Lilienbanners seinen Ausdruck findet. Welche Principien
bargen sich in seinen Falten? Weshalb hielt vor Allem der Graf von Cham-
bord mit einer so großen Zähigkeit an diesem Symbol fest und weshalb ge¬
riet!) andrerseits bei der bloßen Erwähnung der weißen Fahne ganz Frank¬
reich in eine nervöse Aufregung, welche es von Anfang außer Zweifel
stellte, daß, wenn es nicht gelang, den Widerstand des Prätendenten in die¬
sem Punkt zu brechen, alle Bemühungen der monarchischen Partei für seine
Wiederherstellung fruchtlos sein würden?

Eine allgemeine Antwort auf diese Frage ist nicht schwer zu finden, und
ich habe sie bereits im vorigen Artikel gegeben. Der Graf von Chambord
betrachtet das "reine" Königthum, als dessen einzigen Vertreter er sich an¬
sieht, als etwas seinem Wesen nach sowohl von dem Königthum, wie es aus der
Umwälzung von 1830 hervorging, wie auch von dem Kaiserthum Verschiedenes,
und grade eben so sehen die Franzosen die Sache an. Ader worin liegt denn nun
diese Verschiedenheit? Wenn die weiße Fahne nur das Sinnbild des Princips der
Erblichkeit wäre, warum sollte man sie sich dann nicht gefallen lassen, da ja
an der Rückkehr zu diesem Princip auch die freisinnigsten Anhänger des Kö¬
nigthums keineswegs Anstoß nehmen, im Gegentheil in der Wiederherstellung
des Erblichkeitsprincips nur eine Bürgschaft für die Festigkeit der wiederher¬
zustellenden Monarchie erblicken? Wie hatte man sich abgemüht, einen Rechts¬
titel für das Bürgerkönigthum zu formuliren! Und trotz des aufgebotenen
Scharfsinns war man über Halbheiten und Unklarheiten nicht herausgekom¬
men. stellten die Orleans sich auf das Princip der Erblichkeit, so mußten
sie anerkennen, daß die Legitimisten das bessere Recht für sich hatten, be¬
riefen sie sich auf die Volkssouveränetät, so wiesen ihnen Republikaner und
Bonapartisten ohne Mühe die Grundlosigkeit ihrer Behauptung nach.

Wäre daher Heinrich's von Bourbon weiße Fahne nur das nothwen-


Srenzbotm l. 1874. öl
Im Geschichte der Justonsöewegung in Frankreich.
Zweiter Artikel.

Wir schlössen den vorigen Artikel mit der Frage nach dem Inhalt, der
in dem Symbol des Lilienbanners seinen Ausdruck findet. Welche Principien
bargen sich in seinen Falten? Weshalb hielt vor Allem der Graf von Cham-
bord mit einer so großen Zähigkeit an diesem Symbol fest und weshalb ge¬
riet!) andrerseits bei der bloßen Erwähnung der weißen Fahne ganz Frank¬
reich in eine nervöse Aufregung, welche es von Anfang außer Zweifel
stellte, daß, wenn es nicht gelang, den Widerstand des Prätendenten in die¬
sem Punkt zu brechen, alle Bemühungen der monarchischen Partei für seine
Wiederherstellung fruchtlos sein würden?

Eine allgemeine Antwort auf diese Frage ist nicht schwer zu finden, und
ich habe sie bereits im vorigen Artikel gegeben. Der Graf von Chambord
betrachtet das „reine" Königthum, als dessen einzigen Vertreter er sich an¬
sieht, als etwas seinem Wesen nach sowohl von dem Königthum, wie es aus der
Umwälzung von 1830 hervorging, wie auch von dem Kaiserthum Verschiedenes,
und grade eben so sehen die Franzosen die Sache an. Ader worin liegt denn nun
diese Verschiedenheit? Wenn die weiße Fahne nur das Sinnbild des Princips der
Erblichkeit wäre, warum sollte man sie sich dann nicht gefallen lassen, da ja
an der Rückkehr zu diesem Princip auch die freisinnigsten Anhänger des Kö¬
nigthums keineswegs Anstoß nehmen, im Gegentheil in der Wiederherstellung
des Erblichkeitsprincips nur eine Bürgschaft für die Festigkeit der wiederher¬
zustellenden Monarchie erblicken? Wie hatte man sich abgemüht, einen Rechts¬
titel für das Bürgerkönigthum zu formuliren! Und trotz des aufgebotenen
Scharfsinns war man über Halbheiten und Unklarheiten nicht herausgekom¬
men. stellten die Orleans sich auf das Princip der Erblichkeit, so mußten
sie anerkennen, daß die Legitimisten das bessere Recht für sich hatten, be¬
riefen sie sich auf die Volkssouveränetät, so wiesen ihnen Republikaner und
Bonapartisten ohne Mühe die Grundlosigkeit ihrer Behauptung nach.

Wäre daher Heinrich's von Bourbon weiße Fahne nur das nothwen-


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[0407] Im Geschichte der Justonsöewegung in Frankreich. Zweiter Artikel. Wir schlössen den vorigen Artikel mit der Frage nach dem Inhalt, der in dem Symbol des Lilienbanners seinen Ausdruck findet. Welche Principien bargen sich in seinen Falten? Weshalb hielt vor Allem der Graf von Cham- bord mit einer so großen Zähigkeit an diesem Symbol fest und weshalb ge¬ riet!) andrerseits bei der bloßen Erwähnung der weißen Fahne ganz Frank¬ reich in eine nervöse Aufregung, welche es von Anfang außer Zweifel stellte, daß, wenn es nicht gelang, den Widerstand des Prätendenten in die¬ sem Punkt zu brechen, alle Bemühungen der monarchischen Partei für seine Wiederherstellung fruchtlos sein würden? Eine allgemeine Antwort auf diese Frage ist nicht schwer zu finden, und ich habe sie bereits im vorigen Artikel gegeben. Der Graf von Chambord betrachtet das „reine" Königthum, als dessen einzigen Vertreter er sich an¬ sieht, als etwas seinem Wesen nach sowohl von dem Königthum, wie es aus der Umwälzung von 1830 hervorging, wie auch von dem Kaiserthum Verschiedenes, und grade eben so sehen die Franzosen die Sache an. Ader worin liegt denn nun diese Verschiedenheit? Wenn die weiße Fahne nur das Sinnbild des Princips der Erblichkeit wäre, warum sollte man sie sich dann nicht gefallen lassen, da ja an der Rückkehr zu diesem Princip auch die freisinnigsten Anhänger des Kö¬ nigthums keineswegs Anstoß nehmen, im Gegentheil in der Wiederherstellung des Erblichkeitsprincips nur eine Bürgschaft für die Festigkeit der wiederher¬ zustellenden Monarchie erblicken? Wie hatte man sich abgemüht, einen Rechts¬ titel für das Bürgerkönigthum zu formuliren! Und trotz des aufgebotenen Scharfsinns war man über Halbheiten und Unklarheiten nicht herausgekom¬ men. stellten die Orleans sich auf das Princip der Erblichkeit, so mußten sie anerkennen, daß die Legitimisten das bessere Recht für sich hatten, be¬ riefen sie sich auf die Volkssouveränetät, so wiesen ihnen Republikaner und Bonapartisten ohne Mühe die Grundlosigkeit ihrer Behauptung nach. Wäre daher Heinrich's von Bourbon weiße Fahne nur das nothwen- Srenzbotm l. 1874. öl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/407>, abgerufen am 27.04.2024.