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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Protest erheben müssen. Hätten sie dies wirklich gethan, so wären sie noch
Franzosen. Heute dürfen sie sich nicht beklagen über die Folgen einer Ver-
säumniß. an deren Möglichkeit sie denken mußten. -- Daß die Fortschritts¬
partei bis auf zwölf ehrenwerthe Ausnahmen für den klerikal-französischen
Antrag stimmte, davon ist auch hier Akt zu nehmen.

Am 6. März wurde in zweiter Lesung ein Gesetz über den Impfzwang
berathen, das bei seiner technischen Natur hier übergangen werden könnte.
Erwähnung verdient nur der seltsame Umstand, daß Klerikale und Social¬
demokraten mit gleicher Heftigkeit gegen den Impfzwang auftraten. Das ist
eine gute Illustration zu der Kulturfeindschaft der beiden Richtungen. Beide
schmeicheln den Vorurtheilen der ungebildeten Masse, beide sträuben sich gegen
den Zwang der Kultur. Mit der Kultur aber hat es bald ein Ende, wenn
sie überall auf die freiwillige Annahme angewiesen wird. Klerikale und
Socialdemokraten sind sonst gegen den Zwang nicht blöde, sie sind weit ent¬
fernt, in der absoluten Freiwilligkeit des Manchesterthums die Universalmedicin
der Welt zu sehen. Nur zur Bildung und zur Praxis der Bildung sollen
die Menschen nach klerikaler wie socialdemokratischer Ansicht in keinem Fall
gezwungen werden, selbst dann nicht, wenn die Praxis der Unbildung gemein¬
gefährliche Folgen hat. Ein gebildeter Mann, wie August Reichensperger
trug kein Bedenken, gegen die Erfahrungen zu Gunsten der Impfung, das
"post Koe, non xroxwr Koe" ins Gefecht zu führen. Als ob, wo es sich
um praktische Regeln handelt, nicht in tausend Fällen die Erfahrung allein
Lehrerin sein müßte! Wo die Wissenschaft manchmal Jahrhunderte braucht,
um das xroxter Koe zu erkennen, hat die methodische Erfahrung längst auf
Grund des xost Koe ihre Regel vorgeschrieben. Wo wären wir, wenn wir
diese Regeln nicht befolgen wollten! Die Wissenschaft thut ihre Pflicht, sich
bei dem xost nov nicht zu beruhigen. Aber nur die Thorheit kann rathen,
in der Praxis das xost Koe zu ignoriren.

Um den wichtigen Commissionsberathungen Raum zu schaffen, hat die
L--r. Reichsvertretung in dieser Woche nur zweimal getagt.




Der neue Mckettarif und der deutsche Buchhandel.

Es ist ein Rest der Anschauungen aus jener Stagnationszeit im Leben
der deutschen Nation, wenn einer von großen Gesichtspunkten ausgehenden,
den Interessen der Allgemeinheit dienenden Reform, wie es die Ein-


Protest erheben müssen. Hätten sie dies wirklich gethan, so wären sie noch
Franzosen. Heute dürfen sie sich nicht beklagen über die Folgen einer Ver-
säumniß. an deren Möglichkeit sie denken mußten. — Daß die Fortschritts¬
partei bis auf zwölf ehrenwerthe Ausnahmen für den klerikal-französischen
Antrag stimmte, davon ist auch hier Akt zu nehmen.

Am 6. März wurde in zweiter Lesung ein Gesetz über den Impfzwang
berathen, das bei seiner technischen Natur hier übergangen werden könnte.
Erwähnung verdient nur der seltsame Umstand, daß Klerikale und Social¬
demokraten mit gleicher Heftigkeit gegen den Impfzwang auftraten. Das ist
eine gute Illustration zu der Kulturfeindschaft der beiden Richtungen. Beide
schmeicheln den Vorurtheilen der ungebildeten Masse, beide sträuben sich gegen
den Zwang der Kultur. Mit der Kultur aber hat es bald ein Ende, wenn
sie überall auf die freiwillige Annahme angewiesen wird. Klerikale und
Socialdemokraten sind sonst gegen den Zwang nicht blöde, sie sind weit ent¬
fernt, in der absoluten Freiwilligkeit des Manchesterthums die Universalmedicin
der Welt zu sehen. Nur zur Bildung und zur Praxis der Bildung sollen
die Menschen nach klerikaler wie socialdemokratischer Ansicht in keinem Fall
gezwungen werden, selbst dann nicht, wenn die Praxis der Unbildung gemein¬
gefährliche Folgen hat. Ein gebildeter Mann, wie August Reichensperger
trug kein Bedenken, gegen die Erfahrungen zu Gunsten der Impfung, das
„post Koe, non xroxwr Koe" ins Gefecht zu führen. Als ob, wo es sich
um praktische Regeln handelt, nicht in tausend Fällen die Erfahrung allein
Lehrerin sein müßte! Wo die Wissenschaft manchmal Jahrhunderte braucht,
um das xroxter Koe zu erkennen, hat die methodische Erfahrung längst auf
Grund des xost Koe ihre Regel vorgeschrieben. Wo wären wir, wenn wir
diese Regeln nicht befolgen wollten! Die Wissenschaft thut ihre Pflicht, sich
bei dem xost nov nicht zu beruhigen. Aber nur die Thorheit kann rathen,
in der Praxis das xost Koe zu ignoriren.

Um den wichtigen Commissionsberathungen Raum zu schaffen, hat die
L—r. Reichsvertretung in dieser Woche nur zweimal getagt.




Der neue Mckettarif und der deutsche Buchhandel.

Es ist ein Rest der Anschauungen aus jener Stagnationszeit im Leben
der deutschen Nation, wenn einer von großen Gesichtspunkten ausgehenden,
den Interessen der Allgemeinheit dienenden Reform, wie es die Ein-


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[0437] Protest erheben müssen. Hätten sie dies wirklich gethan, so wären sie noch Franzosen. Heute dürfen sie sich nicht beklagen über die Folgen einer Ver- säumniß. an deren Möglichkeit sie denken mußten. — Daß die Fortschritts¬ partei bis auf zwölf ehrenwerthe Ausnahmen für den klerikal-französischen Antrag stimmte, davon ist auch hier Akt zu nehmen. Am 6. März wurde in zweiter Lesung ein Gesetz über den Impfzwang berathen, das bei seiner technischen Natur hier übergangen werden könnte. Erwähnung verdient nur der seltsame Umstand, daß Klerikale und Social¬ demokraten mit gleicher Heftigkeit gegen den Impfzwang auftraten. Das ist eine gute Illustration zu der Kulturfeindschaft der beiden Richtungen. Beide schmeicheln den Vorurtheilen der ungebildeten Masse, beide sträuben sich gegen den Zwang der Kultur. Mit der Kultur aber hat es bald ein Ende, wenn sie überall auf die freiwillige Annahme angewiesen wird. Klerikale und Socialdemokraten sind sonst gegen den Zwang nicht blöde, sie sind weit ent¬ fernt, in der absoluten Freiwilligkeit des Manchesterthums die Universalmedicin der Welt zu sehen. Nur zur Bildung und zur Praxis der Bildung sollen die Menschen nach klerikaler wie socialdemokratischer Ansicht in keinem Fall gezwungen werden, selbst dann nicht, wenn die Praxis der Unbildung gemein¬ gefährliche Folgen hat. Ein gebildeter Mann, wie August Reichensperger trug kein Bedenken, gegen die Erfahrungen zu Gunsten der Impfung, das „post Koe, non xroxwr Koe" ins Gefecht zu führen. Als ob, wo es sich um praktische Regeln handelt, nicht in tausend Fällen die Erfahrung allein Lehrerin sein müßte! Wo die Wissenschaft manchmal Jahrhunderte braucht, um das xroxter Koe zu erkennen, hat die methodische Erfahrung längst auf Grund des xost Koe ihre Regel vorgeschrieben. Wo wären wir, wenn wir diese Regeln nicht befolgen wollten! Die Wissenschaft thut ihre Pflicht, sich bei dem xost nov nicht zu beruhigen. Aber nur die Thorheit kann rathen, in der Praxis das xost Koe zu ignoriren. Um den wichtigen Commissionsberathungen Raum zu schaffen, hat die L—r. Reichsvertretung in dieser Woche nur zweimal getagt. Der neue Mckettarif und der deutsche Buchhandel. Es ist ein Rest der Anschauungen aus jener Stagnationszeit im Leben der deutschen Nation, wenn einer von großen Gesichtspunkten ausgehenden, den Interessen der Allgemeinheit dienenden Reform, wie es die Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/437>, abgerufen am 27.04.2024.