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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Am Geschichte der französischen Jusionsbewegung.
Dritter Artikel.

In der kritischen Zeit, da man allgemein annahm, die Wiederherstellung
der Monarchie werde an der Unmöglichkeit, dem Grafen von Chambord
Zugeständnisse abzuringen, scheitern, hatten die Parteien, in dem Gefühl, daß
der Gang der Ereignisse völlig ihrer Einwirkung entzogen sei, ihre Thätigkeit
auf eine lebhaft und mit Erbitterung geführte, aber durchaus ergebnißlose
Zeitungsfehde beschränkt. Von dem Augenblick an, wo die Anhänger des
Königthums sich entschlossen hatten, von Neuem, und diesmal mit der besten
Hoffnung auf Erfolg, Verhandlungen mit dem Grafen anzuknüpfen, mußten
die Gegner des Plans ernstlich an die Vorbereitung zu dem Kampfe in
der Nationalversammlung denken, von dem, sobald der Bund zwischen der
Mehrheit und dem Prinzen abgeschlossen und besiegelt war. allein das
Schicksal Frankreichs abhing. Wer sollte in dem Kampfe die Führung der
republicanischen Partei übernehmen und welchen Entschluß wird das linke
Centrum fassen? -- das waren die beiden Fragen, deren Beantwortung für
die Republikaner von der höchsten Wichtigkeit war, und betreffs derer man
nicht säumen durfte, sich Klarheit zu verschaffen.

Unter diesen Umständen wurde ein Schreiben des ExPräsidenten Thiers,
mit welchem derselbe unzweideutig seine Ansichten und Entschließungen kund¬
gab, als ein Ereigniß von höchster Wichtigkeit angesehen. Thiers hatte sich
in die Lage des gestürzten Machthabers mit Anstand und Geschicklichkeit ge¬
funden. Er hatte sich der offenen Theilnahme an den wider seinen Nach¬
folger eröffneten Kämpfen enthalten. Sehr selten zeigte er sich in der Ver-
sammlung, um die Huldigungen seiner Getreuen entgegenzunehmen. Man
sagte, daß er ganz seinen Kunstliebhabereien lebe, daß er eifrig an einem Werke
über die Geschichte der italienischen Malerschulen arbeite, daß er im Genuß
eines otium oum äiAmtate seine höchste Befriedigung fände. Aber weder
Freund noch Feind mochte diesen Mittheilungen unbedingt Glauben schenken.
Man kannte Herrn Thiers gut genug, um zu wissen, daß seine Liebhaberei
für Kunst und Wissenschaft ihn niemals von der thätigen Theilnahme an


Gvmzbot-n I. 1874, Ki
Am Geschichte der französischen Jusionsbewegung.
Dritter Artikel.

In der kritischen Zeit, da man allgemein annahm, die Wiederherstellung
der Monarchie werde an der Unmöglichkeit, dem Grafen von Chambord
Zugeständnisse abzuringen, scheitern, hatten die Parteien, in dem Gefühl, daß
der Gang der Ereignisse völlig ihrer Einwirkung entzogen sei, ihre Thätigkeit
auf eine lebhaft und mit Erbitterung geführte, aber durchaus ergebnißlose
Zeitungsfehde beschränkt. Von dem Augenblick an, wo die Anhänger des
Königthums sich entschlossen hatten, von Neuem, und diesmal mit der besten
Hoffnung auf Erfolg, Verhandlungen mit dem Grafen anzuknüpfen, mußten
die Gegner des Plans ernstlich an die Vorbereitung zu dem Kampfe in
der Nationalversammlung denken, von dem, sobald der Bund zwischen der
Mehrheit und dem Prinzen abgeschlossen und besiegelt war. allein das
Schicksal Frankreichs abhing. Wer sollte in dem Kampfe die Führung der
republicanischen Partei übernehmen und welchen Entschluß wird das linke
Centrum fassen? — das waren die beiden Fragen, deren Beantwortung für
die Republikaner von der höchsten Wichtigkeit war, und betreffs derer man
nicht säumen durfte, sich Klarheit zu verschaffen.

Unter diesen Umständen wurde ein Schreiben des ExPräsidenten Thiers,
mit welchem derselbe unzweideutig seine Ansichten und Entschließungen kund¬
gab, als ein Ereigniß von höchster Wichtigkeit angesehen. Thiers hatte sich
in die Lage des gestürzten Machthabers mit Anstand und Geschicklichkeit ge¬
funden. Er hatte sich der offenen Theilnahme an den wider seinen Nach¬
folger eröffneten Kämpfen enthalten. Sehr selten zeigte er sich in der Ver-
sammlung, um die Huldigungen seiner Getreuen entgegenzunehmen. Man
sagte, daß er ganz seinen Kunstliebhabereien lebe, daß er eifrig an einem Werke
über die Geschichte der italienischen Malerschulen arbeite, daß er im Genuß
eines otium oum äiAmtate seine höchste Befriedigung fände. Aber weder
Freund noch Feind mochte diesen Mittheilungen unbedingt Glauben schenken.
Man kannte Herrn Thiers gut genug, um zu wissen, daß seine Liebhaberei
für Kunst und Wissenschaft ihn niemals von der thätigen Theilnahme an


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[0487] Am Geschichte der französischen Jusionsbewegung. Dritter Artikel. In der kritischen Zeit, da man allgemein annahm, die Wiederherstellung der Monarchie werde an der Unmöglichkeit, dem Grafen von Chambord Zugeständnisse abzuringen, scheitern, hatten die Parteien, in dem Gefühl, daß der Gang der Ereignisse völlig ihrer Einwirkung entzogen sei, ihre Thätigkeit auf eine lebhaft und mit Erbitterung geführte, aber durchaus ergebnißlose Zeitungsfehde beschränkt. Von dem Augenblick an, wo die Anhänger des Königthums sich entschlossen hatten, von Neuem, und diesmal mit der besten Hoffnung auf Erfolg, Verhandlungen mit dem Grafen anzuknüpfen, mußten die Gegner des Plans ernstlich an die Vorbereitung zu dem Kampfe in der Nationalversammlung denken, von dem, sobald der Bund zwischen der Mehrheit und dem Prinzen abgeschlossen und besiegelt war. allein das Schicksal Frankreichs abhing. Wer sollte in dem Kampfe die Führung der republicanischen Partei übernehmen und welchen Entschluß wird das linke Centrum fassen? — das waren die beiden Fragen, deren Beantwortung für die Republikaner von der höchsten Wichtigkeit war, und betreffs derer man nicht säumen durfte, sich Klarheit zu verschaffen. Unter diesen Umständen wurde ein Schreiben des ExPräsidenten Thiers, mit welchem derselbe unzweideutig seine Ansichten und Entschließungen kund¬ gab, als ein Ereigniß von höchster Wichtigkeit angesehen. Thiers hatte sich in die Lage des gestürzten Machthabers mit Anstand und Geschicklichkeit ge¬ funden. Er hatte sich der offenen Theilnahme an den wider seinen Nach¬ folger eröffneten Kämpfen enthalten. Sehr selten zeigte er sich in der Ver- sammlung, um die Huldigungen seiner Getreuen entgegenzunehmen. Man sagte, daß er ganz seinen Kunstliebhabereien lebe, daß er eifrig an einem Werke über die Geschichte der italienischen Malerschulen arbeite, daß er im Genuß eines otium oum äiAmtate seine höchste Befriedigung fände. Aber weder Freund noch Feind mochte diesen Mittheilungen unbedingt Glauben schenken. Man kannte Herrn Thiers gut genug, um zu wissen, daß seine Liebhaberei für Kunst und Wissenschaft ihn niemals von der thätigen Theilnahme an Gvmzbot-n I. 1874, Ki

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/487>, abgerufen am 27.04.2024.