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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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ragevuch mit all seinen persönlichen und zufälligen Erlebnissen steht jedenfalls
eine solche ideale Reise, wie sie Braun -- natürlich auf Grund wirklich ge¬
machter Reisen -- mit dem Leser unternimmt. Hier ist nicht nur aller
störende und verschleppende Ballast über Bord geworfen, sondern es ist auf
diesem Wege auch wirklich etwas Ganzes gegeben, während das Reisetagebuch
immer nur Stückwerk bieten kann. Braun's "Kunstgeschichte" ist selbst
ein schriftstellerisches Kunstwerk ersten Ranges. Es läßt sich nicht läugnen,
daß im einzelnen viel Veraltetes darin steckt, mehr vielleicht, als des Heraus¬
gebers edles Wohlwollen für den verstorbenen Verfasser einräumen möchte.
Aber soviel steht fest, daß das Buch als Ganzes weit davon entfernt ist, ver¬
altet zu sein. Vor diesem Schicksale wird es der umfassende Blick, die gro߬
artige Beherrschung des Materials, die divinatorische Gabe und nicht zu aller¬
letzt das frische und ursprüngliche Darstellungstalent seines Verfassers noch
auf lange Jahre hinaus bewahren. Das Kadent, sua law hat Braun's
Buch schmerzlich erfahren müssen; wir wünschen aufrichtig, daß ihm wenigstens
das LLmpei' g,Iiquiä Iiasl-et, von dem auch manches kunstgeschichtliche Werk
> * . zu erzählen weiß, erspart bleiben möge.




Dom deutschen Aeichstag.

Die Sitzungstage der vergangenen Reichstagswoche hat das Preßgesetz
in Anspruch genommen, ohne daß der Reichstag mit diesem Gesetz zu Ende
gekommen wäre. Das Schauspiel der Berathung hat nichts Erfreuliches ge¬
boten und als Lehre nur die negative Einsicht, wie weit die Vertreter unseres
Bildungsdurchschnittes noch entfernt sind von einer Gesetzgebungspolitik, welche
die Probleme des modern-socialen Lebens beherrscht. Die Presse erscheint
unseren Reichsboten in einem höchst widerspruchsvollen Lichte, bald in senti¬
mentaler Glorie als Göttin der Weisheit selbst, indem sie ohne Weiteres für
die geistige Produktion genommen wird, bald erscheint sie als bösartige Hexe,
die jeden Unschuldigen mit brennendem Höllenschmntz bewirft. Wahr ist es:
Göttin und Hexe bedienen sich der Schrift, darum darf man den Gebrauch
der Schrift nicht blos erschweren, aber man darf das Schrifterzeugniß auch
nicht apotheosiren. als wäre es schon die Läuterung des Inhaltes, den es
wiedergiebt. Bei vielen unserer Neichsboten vollzieht sich eine merkwürdige
Theilung der guten und bösen Eigenschaften der Presse; wenn sie den Staat


Grenzb-ten I. 1874. 65

ragevuch mit all seinen persönlichen und zufälligen Erlebnissen steht jedenfalls
eine solche ideale Reise, wie sie Braun — natürlich auf Grund wirklich ge¬
machter Reisen — mit dem Leser unternimmt. Hier ist nicht nur aller
störende und verschleppende Ballast über Bord geworfen, sondern es ist auf
diesem Wege auch wirklich etwas Ganzes gegeben, während das Reisetagebuch
immer nur Stückwerk bieten kann. Braun's „Kunstgeschichte" ist selbst
ein schriftstellerisches Kunstwerk ersten Ranges. Es läßt sich nicht läugnen,
daß im einzelnen viel Veraltetes darin steckt, mehr vielleicht, als des Heraus¬
gebers edles Wohlwollen für den verstorbenen Verfasser einräumen möchte.
Aber soviel steht fest, daß das Buch als Ganzes weit davon entfernt ist, ver¬
altet zu sein. Vor diesem Schicksale wird es der umfassende Blick, die gro߬
artige Beherrschung des Materials, die divinatorische Gabe und nicht zu aller¬
letzt das frische und ursprüngliche Darstellungstalent seines Verfassers noch
auf lange Jahre hinaus bewahren. Das Kadent, sua law hat Braun's
Buch schmerzlich erfahren müssen; wir wünschen aufrichtig, daß ihm wenigstens
das LLmpei' g,Iiquiä Iiasl-et, von dem auch manches kunstgeschichtliche Werk
> * . zu erzählen weiß, erspart bleiben möge.




Dom deutschen Aeichstag.

Die Sitzungstage der vergangenen Reichstagswoche hat das Preßgesetz
in Anspruch genommen, ohne daß der Reichstag mit diesem Gesetz zu Ende
gekommen wäre. Das Schauspiel der Berathung hat nichts Erfreuliches ge¬
boten und als Lehre nur die negative Einsicht, wie weit die Vertreter unseres
Bildungsdurchschnittes noch entfernt sind von einer Gesetzgebungspolitik, welche
die Probleme des modern-socialen Lebens beherrscht. Die Presse erscheint
unseren Reichsboten in einem höchst widerspruchsvollen Lichte, bald in senti¬
mentaler Glorie als Göttin der Weisheit selbst, indem sie ohne Weiteres für
die geistige Produktion genommen wird, bald erscheint sie als bösartige Hexe,
die jeden Unschuldigen mit brennendem Höllenschmntz bewirft. Wahr ist es:
Göttin und Hexe bedienen sich der Schrift, darum darf man den Gebrauch
der Schrift nicht blos erschweren, aber man darf das Schrifterzeugniß auch
nicht apotheosiren. als wäre es schon die Läuterung des Inhaltes, den es
wiedergiebt. Bei vielen unserer Neichsboten vollzieht sich eine merkwürdige
Theilung der guten und bösen Eigenschaften der Presse; wenn sie den Staat


Grenzb-ten I. 1874. 65
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/519>, abgerufen am 27.04.2024.