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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Mes durch denselben in der Herbstsession abwarten. Sie könnte aber auch
den Reichstag jetzt auflösen. Welchen Entschluß sie fassen wird, läßt sich noch
nicht voraussehen. Die Hoffnung, daß die Majorität des Reichstages den
richtigen Entschluß ihrerseits finden wird, ist noch nicht verschwunden, aber
L--r. gering geworden.




Iriefe aus der Kaiserstadt.

So reich, wie heute, hat sich die Hauptstadt wohl noch nie zur Feier
des kaiserlichen Geburtstags geschmückt. Auch in den öffentlichen Blättern ist
der Heldengreis niemals einmüthiger und freudiger beglückwünscht worden,
als heute. Warum es so ist, weiß jedes Kind, so weit die deutsche Zunge
klingt. Möge denn ein gütig Geschick dem Siebundsiebzigjährigen herrlich er¬
füllen, was heute im ganzen deutschen Volk, vom Palast bis zur Hütte, für
ihn erfleht wird! Ein Leben voll pflichttreuer Arbeit ist es, auf welches Kaiser
Wilhelm zurückblickt. Und heute weniger, als je. glaubt er die Zeit beschau¬
licher Ruhe für sich gekommen. Möge denn der aufkeimende Frühling des
Winters herbe Unbilden verscheuchend, dem Gefeierten des Leibes volle Kraft
zurückgeben, möge das neue Lebensjahr ihm fort und fort den tapfern Muth
erhalten, der ihn bisher auch vor dem Schwersten nicht erzittern ließ!

Welch außerordentliche Anforderungen "Hie Weiterbildung unserer poli¬
tischen und socialen Organisation an die Einsicht und die Thatkraft der lei¬
tenden Männer, wie an die Vaterlandsliebe und den Bürgermuth der ganzen
Nation noch stellt, ist ja allgemein bekannt. Kein Tag vergeht, ohne daß
wir an die Hinvernisse und Gefahren recht vernehmlich erinnert würden.
Heute im Parlamente, morgen in ihren zahlreichen Vereinen und Volksver¬
sammlungen versichern uns die Staats- und gesellschaftsfeindlichen Elemente,
daß die Zukunft ihnen gehöre. In der verflossenen Woche haben namentlich
die Socialdemokraten die Gelegenheit wahrgenommen, indem sie mit Pauken
und Trompeten die Feier des 18. März begingen, oder wenigstens begehen
zu wollen ankündigten. In verschiedenen Städten ist die Feier untersagt
worden, hier in Berlin ließ man sie -- was sicherlich das Richtigere war
-- richtig gewähren. An oppositionelle Demonstrationen am 18. März ist
man hier ja gewöhnt. Freilich, bisher pflegten sich dieselben auf eine Be¬
kränzung der Gräber der im Friedrichshain ruhenden Märzgefallenen zu be¬
schränken; die diesmalige socialistische Feier aber galt gar nicht dem Berliner
Aufstande von 1848. der laut Hasenclever, nur das letzte blutige Zucken des


Mes durch denselben in der Herbstsession abwarten. Sie könnte aber auch
den Reichstag jetzt auflösen. Welchen Entschluß sie fassen wird, läßt sich noch
nicht voraussehen. Die Hoffnung, daß die Majorität des Reichstages den
richtigen Entschluß ihrerseits finden wird, ist noch nicht verschwunden, aber
L—r. gering geworden.




Iriefe aus der Kaiserstadt.

So reich, wie heute, hat sich die Hauptstadt wohl noch nie zur Feier
des kaiserlichen Geburtstags geschmückt. Auch in den öffentlichen Blättern ist
der Heldengreis niemals einmüthiger und freudiger beglückwünscht worden,
als heute. Warum es so ist, weiß jedes Kind, so weit die deutsche Zunge
klingt. Möge denn ein gütig Geschick dem Siebundsiebzigjährigen herrlich er¬
füllen, was heute im ganzen deutschen Volk, vom Palast bis zur Hütte, für
ihn erfleht wird! Ein Leben voll pflichttreuer Arbeit ist es, auf welches Kaiser
Wilhelm zurückblickt. Und heute weniger, als je. glaubt er die Zeit beschau¬
licher Ruhe für sich gekommen. Möge denn der aufkeimende Frühling des
Winters herbe Unbilden verscheuchend, dem Gefeierten des Leibes volle Kraft
zurückgeben, möge das neue Lebensjahr ihm fort und fort den tapfern Muth
erhalten, der ihn bisher auch vor dem Schwersten nicht erzittern ließ!

Welch außerordentliche Anforderungen "Hie Weiterbildung unserer poli¬
tischen und socialen Organisation an die Einsicht und die Thatkraft der lei¬
tenden Männer, wie an die Vaterlandsliebe und den Bürgermuth der ganzen
Nation noch stellt, ist ja allgemein bekannt. Kein Tag vergeht, ohne daß
wir an die Hinvernisse und Gefahren recht vernehmlich erinnert würden.
Heute im Parlamente, morgen in ihren zahlreichen Vereinen und Volksver¬
sammlungen versichern uns die Staats- und gesellschaftsfeindlichen Elemente,
daß die Zukunft ihnen gehöre. In der verflossenen Woche haben namentlich
die Socialdemokraten die Gelegenheit wahrgenommen, indem sie mit Pauken
und Trompeten die Feier des 18. März begingen, oder wenigstens begehen
zu wollen ankündigten. In verschiedenen Städten ist die Feier untersagt
worden, hier in Berlin ließ man sie — was sicherlich das Richtigere war
— richtig gewähren. An oppositionelle Demonstrationen am 18. März ist
man hier ja gewöhnt. Freilich, bisher pflegten sich dieselben auf eine Be¬
kränzung der Gräber der im Friedrichshain ruhenden Märzgefallenen zu be¬
schränken; die diesmalige socialistische Feier aber galt gar nicht dem Berliner
Aufstande von 1848. der laut Hasenclever, nur das letzte blutige Zucken des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/524>, abgerufen am 27.04.2024.