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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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und fünfzig unbekannte Sprüche Herder's", Distichen lehrhaften Inhalts, viel-
leicht, wie der Herausgeber wahrscheinlich zu machen sucht, an Sophie von
Schaadt gerichtet und wohl noch aus den 80. Jahren, aus der Periode, wo
Herder weder mit der Welt noch mit Weimar zerfallen, im Großen und Ganzen
auf der Höhe seiner geistigen Leistungsfähigkeit stand, wie seine "Ideen" be¬
weisen. Obwohl die normalen Verdienste dieser Distichen sich nicht über das
damals übliche Niveau erhoben und von der schlanken, wenn auch "incor-
recten" Geschmeidigkeit der römischen Elegien oder venetianischen Distichen
hier nicht ein Hauch wahrzunehmen ist, so verdienen sie doch wegen der wuch¬
tigen Tiefe und Fülle ihrer Conception und wo auch dies weniger hervor¬
tritt, als authentische Reliquien Herder's, alle Beachtung. -- Erquicklicher
noch muthen uns und gewiß jeden Leser an die Briefe der Frau Rath an
den bekannten Schauspieler, Theaterdirector und Schauspielverfertiger --
Dichter wäre zu viel -- Großmann, ihren lieben, aber oft sehr unbequemen
Gevatter, der ihr mit seiner Wandertruppe während der Messe so oft die
größten Genüsse, aber durch bedenkliche Geldaffairen auch viele schwere Sorge
und Aerger bereitete. Die Originale im Besitz von Herrn G. Kastner in Dres¬
den sind von diesem dem Herausgeber mit seltener Liberalität zur Verfügung
gestellt worden und wir dürfen aus diesem überreichen handschriftlichen
Schatze noch der ansprechendsten Veröffentlichungen in dieser Zeitschrift ge¬
H. Rucke re. wärtig sein. --




Karlsbad zu Weihnachten.

Wer als Fremder im Winter nach Karlsbad reist, hat zweifellos andre
Beweggründe, als den, die eigene Gesundheit zu stärken oder wiederherzustellen,
oder das Treiben eines der interessantesten Kur- und Modebäder der Welt
kennen zu lernen. Welche Beweggründe zu der seltsamen Reise die meinigen
gewesen, kann dem Leser gleichgültig sein. Doch mag er die beruhigende Ver¬
sicherung entgegennehmen, daß sie weder mit der Weinversorgung des Kur¬
ortes noch mit den Nachwehen des großen Krachs zusammenhingen, und dem
Verfasser einige Gelegenheit zu Beobachtungen verschiedenster Art gewährten.

Das Zutrauen zu der Ordnung der menschlichen Gesellschaft, welches
dem Europäer inne zu wohnen pflegt, hat mich eines Tages auch zu dem
heroischen Entschluß veranlaßt, Jnterlaken im tiefen Winter zu besuchen. Es
ist aber beim bloßen Entschluß geblieben, da mich bereits auf einer Zwischen-


und fünfzig unbekannte Sprüche Herder's", Distichen lehrhaften Inhalts, viel-
leicht, wie der Herausgeber wahrscheinlich zu machen sucht, an Sophie von
Schaadt gerichtet und wohl noch aus den 80. Jahren, aus der Periode, wo
Herder weder mit der Welt noch mit Weimar zerfallen, im Großen und Ganzen
auf der Höhe seiner geistigen Leistungsfähigkeit stand, wie seine „Ideen" be¬
weisen. Obwohl die normalen Verdienste dieser Distichen sich nicht über das
damals übliche Niveau erhoben und von der schlanken, wenn auch „incor-
recten" Geschmeidigkeit der römischen Elegien oder venetianischen Distichen
hier nicht ein Hauch wahrzunehmen ist, so verdienen sie doch wegen der wuch¬
tigen Tiefe und Fülle ihrer Conception und wo auch dies weniger hervor¬
tritt, als authentische Reliquien Herder's, alle Beachtung. — Erquicklicher
noch muthen uns und gewiß jeden Leser an die Briefe der Frau Rath an
den bekannten Schauspieler, Theaterdirector und Schauspielverfertiger —
Dichter wäre zu viel — Großmann, ihren lieben, aber oft sehr unbequemen
Gevatter, der ihr mit seiner Wandertruppe während der Messe so oft die
größten Genüsse, aber durch bedenkliche Geldaffairen auch viele schwere Sorge
und Aerger bereitete. Die Originale im Besitz von Herrn G. Kastner in Dres¬
den sind von diesem dem Herausgeber mit seltener Liberalität zur Verfügung
gestellt worden und wir dürfen aus diesem überreichen handschriftlichen
Schatze noch der ansprechendsten Veröffentlichungen in dieser Zeitschrift ge¬
H. Rucke re. wärtig sein. —




Karlsbad zu Weihnachten.

Wer als Fremder im Winter nach Karlsbad reist, hat zweifellos andre
Beweggründe, als den, die eigene Gesundheit zu stärken oder wiederherzustellen,
oder das Treiben eines der interessantesten Kur- und Modebäder der Welt
kennen zu lernen. Welche Beweggründe zu der seltsamen Reise die meinigen
gewesen, kann dem Leser gleichgültig sein. Doch mag er die beruhigende Ver¬
sicherung entgegennehmen, daß sie weder mit der Weinversorgung des Kur¬
ortes noch mit den Nachwehen des großen Krachs zusammenhingen, und dem
Verfasser einige Gelegenheit zu Beobachtungen verschiedenster Art gewährten.

Das Zutrauen zu der Ordnung der menschlichen Gesellschaft, welches
dem Europäer inne zu wohnen pflegt, hat mich eines Tages auch zu dem
heroischen Entschluß veranlaßt, Jnterlaken im tiefen Winter zu besuchen. Es
ist aber beim bloßen Entschluß geblieben, da mich bereits auf einer Zwischen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/66>, abgerufen am 27.04.2024.