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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band.

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Ständen hervorgegangenen Illuminaten, daß sie bei all ihrem Hasse gegen
"Pfaffentrug und Volksverdummung" -- Ausdrücke, die sehr häufig so oder
in noch drastischeren.Wendungen wiederkehren -- sichtlich herzensfromme Leute
und gläubige Katholiken sind. Ungefähr so, wie einst Luther glaubte, für
die Ehre der Kirche eintreten zu müssen, um einen so losen Gesellen wie
Tetzel zu bestrafen, so meinen auch diese der Sache der Kirche durch Denun¬
ciation dessen, was sie schändliche Mißbräuche nennen, bestens zu dienen.
Unsere heutigen Schwarzen von echtem Wasser, unsere bairischen Vorfechter
aller Gnadenacte und Bittgänge, Wunderbilder und Processionen würden
sonderbare Augen machen, wenn sie diese geharnischten Jnvectiven ihrer Vor¬
gänger, auf deren Rechtgläubigkeit damals kein Makel ruhte, zu lesen be¬
kämen. Bekanntlich aber pflegen sie sich mit Lesen das Herz am wenig¬
sten zu beschweren; wollte Gott, sie beschwerten auch Herz und Magen der
anderen ehrlichen Leute nicht mit dem, was sie ihnen gedruckt zu lesen geben!


H. Rückert.


Freiheit und Aecht in der menschlichen Gesellschaft.*)

Von der Ansicht geleitet, daß man in Deutschland mehr als in anderen
Ländern Sinn für wissenschaftliche Bestrebungen habe und der blinden Be¬
vorzugung der eigenen Schriftsteller fernbleibend am meisten einer objectiven
Beurtheilung derartiger Bestrebungen zugänglich sei, hat der Verfasser, zur
Zeit Kaiserlich Russischer Gesamter in Lissabon, sein ursprünglich in franzö¬
sischer Sprache bereits in vier Auflagen erschienenes Werk in Uebersetzung der
Beurtheilung des deutschen Publikums vorgelegt. Ein Theil des letzteren war
bereits vorher auf das geistvolle Buch aufmerksam geworden, welches mit
Recht seit seinem Erscheinen in allen gebildeten Ländern das größte Aufsehen
erregt hat, und des Verfassers Hoffnung, daß seine Theorie in Deutschland
an und für sich werde beurtheilt werden, ohne Rücksicht darauf, daß er bei
Verfechtung derselben einem gerade von deutschen Philosophen begründeten
Irrthum entgegentritt, wird sich um so mehr erfüllen, als jedes Blatt seines
Werkes zeigt, baß er die deutschen Philosophen und Historiker gründlich
studirt und von unserer einschlagenden Literatur die genaueste Kenntniß ge¬
nommen hat.



") Demetrius von Glinka, Die menschliche Gesellschaft in ihren Beziehungen zu
Freiheit und Recht. Nach der vierten Auflage aus dem Französischen übersehe. Leipzig,
F. A. Brockhaus 1S73.

Ständen hervorgegangenen Illuminaten, daß sie bei all ihrem Hasse gegen
„Pfaffentrug und Volksverdummung" — Ausdrücke, die sehr häufig so oder
in noch drastischeren.Wendungen wiederkehren — sichtlich herzensfromme Leute
und gläubige Katholiken sind. Ungefähr so, wie einst Luther glaubte, für
die Ehre der Kirche eintreten zu müssen, um einen so losen Gesellen wie
Tetzel zu bestrafen, so meinen auch diese der Sache der Kirche durch Denun¬
ciation dessen, was sie schändliche Mißbräuche nennen, bestens zu dienen.
Unsere heutigen Schwarzen von echtem Wasser, unsere bairischen Vorfechter
aller Gnadenacte und Bittgänge, Wunderbilder und Processionen würden
sonderbare Augen machen, wenn sie diese geharnischten Jnvectiven ihrer Vor¬
gänger, auf deren Rechtgläubigkeit damals kein Makel ruhte, zu lesen be¬
kämen. Bekanntlich aber pflegen sie sich mit Lesen das Herz am wenig¬
sten zu beschweren; wollte Gott, sie beschwerten auch Herz und Magen der
anderen ehrlichen Leute nicht mit dem, was sie ihnen gedruckt zu lesen geben!


H. Rückert.


Freiheit und Aecht in der menschlichen Gesellschaft.*)

Von der Ansicht geleitet, daß man in Deutschland mehr als in anderen
Ländern Sinn für wissenschaftliche Bestrebungen habe und der blinden Be¬
vorzugung der eigenen Schriftsteller fernbleibend am meisten einer objectiven
Beurtheilung derartiger Bestrebungen zugänglich sei, hat der Verfasser, zur
Zeit Kaiserlich Russischer Gesamter in Lissabon, sein ursprünglich in franzö¬
sischer Sprache bereits in vier Auflagen erschienenes Werk in Uebersetzung der
Beurtheilung des deutschen Publikums vorgelegt. Ein Theil des letzteren war
bereits vorher auf das geistvolle Buch aufmerksam geworden, welches mit
Recht seit seinem Erscheinen in allen gebildeten Ländern das größte Aufsehen
erregt hat, und des Verfassers Hoffnung, daß seine Theorie in Deutschland
an und für sich werde beurtheilt werden, ohne Rücksicht darauf, daß er bei
Verfechtung derselben einem gerade von deutschen Philosophen begründeten
Irrthum entgegentritt, wird sich um so mehr erfüllen, als jedes Blatt seines
Werkes zeigt, baß er die deutschen Philosophen und Historiker gründlich
studirt und von unserer einschlagenden Literatur die genaueste Kenntniß ge¬
nommen hat.



") Demetrius von Glinka, Die menschliche Gesellschaft in ihren Beziehungen zu
Freiheit und Recht. Nach der vierten Auflage aus dem Französischen übersehe. Leipzig,
F. A. Brockhaus 1S73.
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[0226] Ständen hervorgegangenen Illuminaten, daß sie bei all ihrem Hasse gegen „Pfaffentrug und Volksverdummung" — Ausdrücke, die sehr häufig so oder in noch drastischeren.Wendungen wiederkehren — sichtlich herzensfromme Leute und gläubige Katholiken sind. Ungefähr so, wie einst Luther glaubte, für die Ehre der Kirche eintreten zu müssen, um einen so losen Gesellen wie Tetzel zu bestrafen, so meinen auch diese der Sache der Kirche durch Denun¬ ciation dessen, was sie schändliche Mißbräuche nennen, bestens zu dienen. Unsere heutigen Schwarzen von echtem Wasser, unsere bairischen Vorfechter aller Gnadenacte und Bittgänge, Wunderbilder und Processionen würden sonderbare Augen machen, wenn sie diese geharnischten Jnvectiven ihrer Vor¬ gänger, auf deren Rechtgläubigkeit damals kein Makel ruhte, zu lesen be¬ kämen. Bekanntlich aber pflegen sie sich mit Lesen das Herz am wenig¬ sten zu beschweren; wollte Gott, sie beschwerten auch Herz und Magen der anderen ehrlichen Leute nicht mit dem, was sie ihnen gedruckt zu lesen geben! H. Rückert. Freiheit und Aecht in der menschlichen Gesellschaft.*) Von der Ansicht geleitet, daß man in Deutschland mehr als in anderen Ländern Sinn für wissenschaftliche Bestrebungen habe und der blinden Be¬ vorzugung der eigenen Schriftsteller fernbleibend am meisten einer objectiven Beurtheilung derartiger Bestrebungen zugänglich sei, hat der Verfasser, zur Zeit Kaiserlich Russischer Gesamter in Lissabon, sein ursprünglich in franzö¬ sischer Sprache bereits in vier Auflagen erschienenes Werk in Uebersetzung der Beurtheilung des deutschen Publikums vorgelegt. Ein Theil des letzteren war bereits vorher auf das geistvolle Buch aufmerksam geworden, welches mit Recht seit seinem Erscheinen in allen gebildeten Ländern das größte Aufsehen erregt hat, und des Verfassers Hoffnung, daß seine Theorie in Deutschland an und für sich werde beurtheilt werden, ohne Rücksicht darauf, daß er bei Verfechtung derselben einem gerade von deutschen Philosophen begründeten Irrthum entgegentritt, wird sich um so mehr erfüllen, als jedes Blatt seines Werkes zeigt, baß er die deutschen Philosophen und Historiker gründlich studirt und von unserer einschlagenden Literatur die genaueste Kenntniß ge¬ nommen hat. ") Demetrius von Glinka, Die menschliche Gesellschaft in ihren Beziehungen zu Freiheit und Recht. Nach der vierten Auflage aus dem Französischen übersehe. Leipzig, F. A. Brockhaus 1S73.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_131175/226>, abgerufen am 07.05.2024.