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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band.

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Gewiß wird die Reichsregierung sich diese practischen, von ebenso großer
Rechtskenntniß als Staatsklugheit getragenen Vorschläge im wesentlichen zur
Richtschnur dienen lassen, wenn einer der darin hypothetisch angenommenen
Fälle zur thatsächlichen Entscheidung steht.


Hans Blum.


Aas jüngste Gericht über die Uationattiberaten in der
zweiten Sächsischen Kammer.

Daß unser Herrenhaus auf die Nationalliberalen nicht gut zu sprechen
ist, habe ich oftmals Ihnen zu beweisen Gelegenheit gehabt. Aber Scenen,
wie sie in unserer Volkskammer am letzten Donnerstag (30. April) sich ab¬
spielten, sind glücklicherweise auch in der ersten Kammer zu den Seltenheiten
zu zählen, und etwa nur den berufenen Catilinarien des Herrn von Zehner
vontiÄ Koch an die Seite zu stellen; in der zweiten Kammer aber geradezu
unerhört. Namentlich unterscheidet sich selbst die beschämendste Sitzung dieser
Art, welche die zweite Kammer gehalten, ihre Verhandlung vom 10. Nov.
1869 über den famosen Abrüstungsantrag der Herren May und Genossen,
welchem der große Krieg Deutschlands gegen Frankreich ein Jahr später ein
so gewaltiges Dementi ertheilte, sehr zu Ungunsten der jüngsten Donnerstags¬
sitzung von dieser letzteren. Denn am 10. Nov. 1869 fielen doch nur die
sog. "Fortschrittsleute" und "Conservativen" unserer Kammer über die bösen
Nationalliberalen her und brachten durch die Vereinigung ihrer sonst so dis-
paraten Kräfte den Antrag der Nationalliberalen zu Fall: die Regierung
möge nur dann auf eine Verminderung der Militärlast im Bundesrathe hin¬
wirken , "wenn die nothwendige Sicherheit und Machtstellung Deutschlands
dies gestattet". Damals, sage ich. schwieg die Regierung. Sie ließ es ge¬
schehen, daß die sächsische Volkskammer., nach Ansicht sehr vieler Politiker,
gegen die Bundesverfassung von 1867, und eingreifend in die Souveränetäts-
rechte der Sächsischen Krone, der Sächsischen Regierung bindende Vorschriften
geben wollte, wie die sächsischen Mitglieder des Bundesrathes sich der bundes¬
verfassungsmäßig bereits festgestellten Militärpräsenzziffer gegenüber herab¬
drückend verhalten sollten. Ob dieses damalige Verhalten unserer Re.
gierung staatsklug war. darauf sind wir nach den Ereignissen, die zwischen
jenem Tage und der Gegenwart liegen, jeder Antwort überhoben. Am letzten
Ultimo dagegen sprach die Regierung. sie verbündete sich durch ihre


Gewiß wird die Reichsregierung sich diese practischen, von ebenso großer
Rechtskenntniß als Staatsklugheit getragenen Vorschläge im wesentlichen zur
Richtschnur dienen lassen, wenn einer der darin hypothetisch angenommenen
Fälle zur thatsächlichen Entscheidung steht.


Hans Blum.


Aas jüngste Gericht über die Uationattiberaten in der
zweiten Sächsischen Kammer.

Daß unser Herrenhaus auf die Nationalliberalen nicht gut zu sprechen
ist, habe ich oftmals Ihnen zu beweisen Gelegenheit gehabt. Aber Scenen,
wie sie in unserer Volkskammer am letzten Donnerstag (30. April) sich ab¬
spielten, sind glücklicherweise auch in der ersten Kammer zu den Seltenheiten
zu zählen, und etwa nur den berufenen Catilinarien des Herrn von Zehner
vontiÄ Koch an die Seite zu stellen; in der zweiten Kammer aber geradezu
unerhört. Namentlich unterscheidet sich selbst die beschämendste Sitzung dieser
Art, welche die zweite Kammer gehalten, ihre Verhandlung vom 10. Nov.
1869 über den famosen Abrüstungsantrag der Herren May und Genossen,
welchem der große Krieg Deutschlands gegen Frankreich ein Jahr später ein
so gewaltiges Dementi ertheilte, sehr zu Ungunsten der jüngsten Donnerstags¬
sitzung von dieser letzteren. Denn am 10. Nov. 1869 fielen doch nur die
sog. „Fortschrittsleute" und „Conservativen" unserer Kammer über die bösen
Nationalliberalen her und brachten durch die Vereinigung ihrer sonst so dis-
paraten Kräfte den Antrag der Nationalliberalen zu Fall: die Regierung
möge nur dann auf eine Verminderung der Militärlast im Bundesrathe hin¬
wirken , „wenn die nothwendige Sicherheit und Machtstellung Deutschlands
dies gestattet". Damals, sage ich. schwieg die Regierung. Sie ließ es ge¬
schehen, daß die sächsische Volkskammer., nach Ansicht sehr vieler Politiker,
gegen die Bundesverfassung von 1867, und eingreifend in die Souveränetäts-
rechte der Sächsischen Krone, der Sächsischen Regierung bindende Vorschriften
geben wollte, wie die sächsischen Mitglieder des Bundesrathes sich der bundes¬
verfassungsmäßig bereits festgestellten Militärpräsenzziffer gegenüber herab¬
drückend verhalten sollten. Ob dieses damalige Verhalten unserer Re.
gierung staatsklug war. darauf sind wir nach den Ereignissen, die zwischen
jenem Tage und der Gegenwart liegen, jeder Antwort überhoben. Am letzten
Ultimo dagegen sprach die Regierung. sie verbündete sich durch ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_131175/243>, abgerufen am 07.05.2024.