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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band.

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in den höheren Klassen und bei den Literaten häufiges Erlöschen aller reli¬
giösen Ueberzeugungen."

VMeile est --. Dem Katholiken mußten hier unwillkürlich Parallelen
aufstoßen. Kennt doch der Buddhismus den Rosenkranz, die geopferten
Wachsherzen, all die übrigen Ceremonien, nur ein Unterschied scheint uns
gegenwärtig noch zu herrschen. Der buddhistische Papst, der Tale Lama in
Lhassa sitzt dort sicherer als sein europäischer College im Vatican.


".


Dom preußischen Landtag.

Mit den technischen Angelegenheiten, welche den am 21. Mai geschlossenen
Landtag in seiner letzten Woche beschäftigt haben, wollen wir uns hier nur
noch kurz befassen. Weil die nächste Landtagssession erst im Januar 1876
beginnt, da die drei letzten Jahresmonate nunmehr regelmäßig dem Reichstag
eingeräumt werden sollen, so war es nöthig, der Regierung eine Ermächtigung
zu verschaffen zur Leistung von Staatsausgaben vor Feststellung des Haus¬
haltes von 1875. Alsdann ist eine Novelle zur Gewerbsteuer beschlossen
worden. Ein Gesetz über die Vererbung des bäuerlichen Grundbesitzes in der
Provinz Hannover, über das sogenannte Höferecht, hebt das dortige Gewohn¬
heitsrecht mit seinen nach und nach zweifelhaft und widerspruchsvoll gewordenen
Bestimmungen zwar einestheils auf. verleiht aber den Hofbesitzern das Recht,
über das Leben hinaus Bestimmungen behufs der Zusammenballung des
Grundbesitzes zu treffen. Das Gesetz hat die Zustimmung beider Häuser ge¬
funden. Von zwei Interpellationen des Centrums erwähnen wir nur die des
Abgeordneten v. Mallinckrodt betreffend die gegen einen auf Grund gesetz-
widriger Anstellung der Amtsfunktionen enthobenen Pfarrer verhängte Exe¬
kutivhaft wegen verweigerter Herausgabe der Kirchenbücher. Der Vorfall
ward dadurch'bemerkenswerth, daß Laster dem Herrn v. Mallinckrodt sekundirte.
Er hielt dabei eine seiner feurigen Reden über die Herrlichkeit des Rechts¬
staates. Wir unsererseits haben sehr viel Billigung für Laster's Moral, wie
unser voriger Brief wiederum beweist, aber wir haben sehr wenig Geschmack
an Laster's Jurisprudenz. Wenn Jemand das Staatsgesetz offen verhöhnt,
oben er einfach den Gehorsam verweigert, da soll der Staat, nachdem er
den Rebellen mit höchstens vier Wochen milder Haft zu seiner Pflicht ein-



D. Red. Der am 26. Mai in Berlin verschieden ist
Gttnzbote" II. 1,874.45

in den höheren Klassen und bei den Literaten häufiges Erlöschen aller reli¬
giösen Ueberzeugungen."

VMeile est —. Dem Katholiken mußten hier unwillkürlich Parallelen
aufstoßen. Kennt doch der Buddhismus den Rosenkranz, die geopferten
Wachsherzen, all die übrigen Ceremonien, nur ein Unterschied scheint uns
gegenwärtig noch zu herrschen. Der buddhistische Papst, der Tale Lama in
Lhassa sitzt dort sicherer als sein europäischer College im Vatican.


«.


Dom preußischen Landtag.

Mit den technischen Angelegenheiten, welche den am 21. Mai geschlossenen
Landtag in seiner letzten Woche beschäftigt haben, wollen wir uns hier nur
noch kurz befassen. Weil die nächste Landtagssession erst im Januar 1876
beginnt, da die drei letzten Jahresmonate nunmehr regelmäßig dem Reichstag
eingeräumt werden sollen, so war es nöthig, der Regierung eine Ermächtigung
zu verschaffen zur Leistung von Staatsausgaben vor Feststellung des Haus¬
haltes von 1875. Alsdann ist eine Novelle zur Gewerbsteuer beschlossen
worden. Ein Gesetz über die Vererbung des bäuerlichen Grundbesitzes in der
Provinz Hannover, über das sogenannte Höferecht, hebt das dortige Gewohn¬
heitsrecht mit seinen nach und nach zweifelhaft und widerspruchsvoll gewordenen
Bestimmungen zwar einestheils auf. verleiht aber den Hofbesitzern das Recht,
über das Leben hinaus Bestimmungen behufs der Zusammenballung des
Grundbesitzes zu treffen. Das Gesetz hat die Zustimmung beider Häuser ge¬
funden. Von zwei Interpellationen des Centrums erwähnen wir nur die des
Abgeordneten v. Mallinckrodt betreffend die gegen einen auf Grund gesetz-
widriger Anstellung der Amtsfunktionen enthobenen Pfarrer verhängte Exe¬
kutivhaft wegen verweigerter Herausgabe der Kirchenbücher. Der Vorfall
ward dadurch'bemerkenswerth, daß Laster dem Herrn v. Mallinckrodt sekundirte.
Er hielt dabei eine seiner feurigen Reden über die Herrlichkeit des Rechts¬
staates. Wir unsererseits haben sehr viel Billigung für Laster's Moral, wie
unser voriger Brief wiederum beweist, aber wir haben sehr wenig Geschmack
an Laster's Jurisprudenz. Wenn Jemand das Staatsgesetz offen verhöhnt,
oben er einfach den Gehorsam verweigert, da soll der Staat, nachdem er
den Rebellen mit höchstens vier Wochen milder Haft zu seiner Pflicht ein-



D. Red. Der am 26. Mai in Berlin verschieden ist
Gttnzbote» II. 1,874.45
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[0361] in den höheren Klassen und bei den Literaten häufiges Erlöschen aller reli¬ giösen Ueberzeugungen." VMeile est —. Dem Katholiken mußten hier unwillkürlich Parallelen aufstoßen. Kennt doch der Buddhismus den Rosenkranz, die geopferten Wachsherzen, all die übrigen Ceremonien, nur ein Unterschied scheint uns gegenwärtig noch zu herrschen. Der buddhistische Papst, der Tale Lama in Lhassa sitzt dort sicherer als sein europäischer College im Vatican. «. Dom preußischen Landtag. Mit den technischen Angelegenheiten, welche den am 21. Mai geschlossenen Landtag in seiner letzten Woche beschäftigt haben, wollen wir uns hier nur noch kurz befassen. Weil die nächste Landtagssession erst im Januar 1876 beginnt, da die drei letzten Jahresmonate nunmehr regelmäßig dem Reichstag eingeräumt werden sollen, so war es nöthig, der Regierung eine Ermächtigung zu verschaffen zur Leistung von Staatsausgaben vor Feststellung des Haus¬ haltes von 1875. Alsdann ist eine Novelle zur Gewerbsteuer beschlossen worden. Ein Gesetz über die Vererbung des bäuerlichen Grundbesitzes in der Provinz Hannover, über das sogenannte Höferecht, hebt das dortige Gewohn¬ heitsrecht mit seinen nach und nach zweifelhaft und widerspruchsvoll gewordenen Bestimmungen zwar einestheils auf. verleiht aber den Hofbesitzern das Recht, über das Leben hinaus Bestimmungen behufs der Zusammenballung des Grundbesitzes zu treffen. Das Gesetz hat die Zustimmung beider Häuser ge¬ funden. Von zwei Interpellationen des Centrums erwähnen wir nur die des Abgeordneten v. Mallinckrodt betreffend die gegen einen auf Grund gesetz- widriger Anstellung der Amtsfunktionen enthobenen Pfarrer verhängte Exe¬ kutivhaft wegen verweigerter Herausgabe der Kirchenbücher. Der Vorfall ward dadurch'bemerkenswerth, daß Laster dem Herrn v. Mallinckrodt sekundirte. Er hielt dabei eine seiner feurigen Reden über die Herrlichkeit des Rechts¬ staates. Wir unsererseits haben sehr viel Billigung für Laster's Moral, wie unser voriger Brief wiederum beweist, aber wir haben sehr wenig Geschmack an Laster's Jurisprudenz. Wenn Jemand das Staatsgesetz offen verhöhnt, oben er einfach den Gehorsam verweigert, da soll der Staat, nachdem er den Rebellen mit höchstens vier Wochen milder Haft zu seiner Pflicht ein- D. Red. Der am 26. Mai in Berlin verschieden ist Gttnzbote» II. 1,874.45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_131175/361>, abgerufen am 08.05.2024.