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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band.

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Z)er Kmsächsische Kanzler Dr. Uicotaus Arell.

Unter den Insassen des Königsteins verdient ganz besonders auch der
kursächsische Kanzler Dr. Nicolaus Kreil genannt, und dessen Gedächtniß gerade
in der jetzigen Zeit wieder aufgefrischt zu werden. Man konnte ihm nichts
weiter zur Last legen, als daß er im Einverständnisse mit dem Kurfürsten
Christian I. (1386 bis 1391) die Streit- und Lästersucht der (lutherischen)
Geistlichen durch das sog. Friedens-Mandat vom 28. August 1888 zu
mäßigen, die Exorcismus. Formel bei der Taufe abzuschaffen, und den
Adel in seinen Jagdberechtigungen und Präsentations-Rechten zu beschränken
suchte. Dies führte ihn unmittelbar nach dem Tode seines Herrn (25. Sep¬
tember 1591) in Haft, sodann am 17./18. November 1591 in den nach ihm
benannten Krellen-Thurm auf der Festung Königsstein und nach lOjährigem
schweren Gefängniß am 9. October 1601 auf das Schaffst. Der Scharfrichter
hatte auf sein Schwert, welches noch in Dresden zu sehen ist, die jene Zeit
characterisirenden Worte: "<üave Olvwiane" eingraviren lassen.

Die tragische Geschichte dieses ausgezeichneten Staatsmannes ist neuer¬
dings wieder von theologischer Seite behandelt worden.*) Es verlohnt sich aber
auch der Mühe, daß das gegen Kreil eingehaltene Verfahren einmal von ju¬
ristischer Seite ins Auge gefaßt werde, um an der Hand der Gesetze und der
jetzt vollständiger vorliegenden Acten**), die ganze Abscheulichkeit des gegen
Kreil begangenen Justizmordes darzulegen.

Nachdem unter der Regierung des Kurfürsten August, des Vaters von
Christian I. der strengste Orthodoxismus des Lutherthums in Kursachsen die
Oberhand erhalten hatte, ging Christian I. von viel freieren Ansichten aus,
welche mehr der neuen Lehre von Philipp Melanchthon zugethan waren.
August hatte seinem Sohne Christian den Dr. Kreil, einen tüchtigen Juristen,




") Fricdr. Brandes, Der Kanzler Kreil, ein Opfer des Orthodoxismus. Leipzig 187".
-- Früher erschien: Leben, Schicksal und Ende des Dr, Nie. Kreil. Leipz. 1798; ferner Cas¬
par Peucer und Nie. Kreil von E, L. H, Henke. Marburg 1865.
") Die Acten wurden ziemlich vollständig mitgetheilt in dem Buche: Der Kanzler öl>.
Kreil von Richard. Dresden 1850, 2 Bände. Aber gerade die Hauptsache, die Zeugen-
Verhör-Protokolle wurden weggelassen und die Verhör-Protokolle des Dr. Kreil selbst nur
unvollständig abgedruckt.
Grenzboten II. 1874. 56
Z)er Kmsächsische Kanzler Dr. Uicotaus Arell.

Unter den Insassen des Königsteins verdient ganz besonders auch der
kursächsische Kanzler Dr. Nicolaus Kreil genannt, und dessen Gedächtniß gerade
in der jetzigen Zeit wieder aufgefrischt zu werden. Man konnte ihm nichts
weiter zur Last legen, als daß er im Einverständnisse mit dem Kurfürsten
Christian I. (1386 bis 1391) die Streit- und Lästersucht der (lutherischen)
Geistlichen durch das sog. Friedens-Mandat vom 28. August 1888 zu
mäßigen, die Exorcismus. Formel bei der Taufe abzuschaffen, und den
Adel in seinen Jagdberechtigungen und Präsentations-Rechten zu beschränken
suchte. Dies führte ihn unmittelbar nach dem Tode seines Herrn (25. Sep¬
tember 1591) in Haft, sodann am 17./18. November 1591 in den nach ihm
benannten Krellen-Thurm auf der Festung Königsstein und nach lOjährigem
schweren Gefängniß am 9. October 1601 auf das Schaffst. Der Scharfrichter
hatte auf sein Schwert, welches noch in Dresden zu sehen ist, die jene Zeit
characterisirenden Worte: „<üave Olvwiane" eingraviren lassen.

Die tragische Geschichte dieses ausgezeichneten Staatsmannes ist neuer¬
dings wieder von theologischer Seite behandelt worden.*) Es verlohnt sich aber
auch der Mühe, daß das gegen Kreil eingehaltene Verfahren einmal von ju¬
ristischer Seite ins Auge gefaßt werde, um an der Hand der Gesetze und der
jetzt vollständiger vorliegenden Acten**), die ganze Abscheulichkeit des gegen
Kreil begangenen Justizmordes darzulegen.

Nachdem unter der Regierung des Kurfürsten August, des Vaters von
Christian I. der strengste Orthodoxismus des Lutherthums in Kursachsen die
Oberhand erhalten hatte, ging Christian I. von viel freieren Ansichten aus,
welche mehr der neuen Lehre von Philipp Melanchthon zugethan waren.
August hatte seinem Sohne Christian den Dr. Kreil, einen tüchtigen Juristen,




") Fricdr. Brandes, Der Kanzler Kreil, ein Opfer des Orthodoxismus. Leipzig 187».
— Früher erschien: Leben, Schicksal und Ende des Dr, Nie. Kreil. Leipz. 1798; ferner Cas¬
par Peucer und Nie. Kreil von E, L. H, Henke. Marburg 1865.
") Die Acten wurden ziemlich vollständig mitgetheilt in dem Buche: Der Kanzler öl>.
Kreil von Richard. Dresden 1850, 2 Bände. Aber gerade die Hauptsache, die Zeugen-
Verhör-Protokolle wurden weggelassen und die Verhör-Protokolle des Dr. Kreil selbst nur
unvollständig abgedruckt.
Grenzboten II. 1874. 56
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[0449] Z)er Kmsächsische Kanzler Dr. Uicotaus Arell. Unter den Insassen des Königsteins verdient ganz besonders auch der kursächsische Kanzler Dr. Nicolaus Kreil genannt, und dessen Gedächtniß gerade in der jetzigen Zeit wieder aufgefrischt zu werden. Man konnte ihm nichts weiter zur Last legen, als daß er im Einverständnisse mit dem Kurfürsten Christian I. (1386 bis 1391) die Streit- und Lästersucht der (lutherischen) Geistlichen durch das sog. Friedens-Mandat vom 28. August 1888 zu mäßigen, die Exorcismus. Formel bei der Taufe abzuschaffen, und den Adel in seinen Jagdberechtigungen und Präsentations-Rechten zu beschränken suchte. Dies führte ihn unmittelbar nach dem Tode seines Herrn (25. Sep¬ tember 1591) in Haft, sodann am 17./18. November 1591 in den nach ihm benannten Krellen-Thurm auf der Festung Königsstein und nach lOjährigem schweren Gefängniß am 9. October 1601 auf das Schaffst. Der Scharfrichter hatte auf sein Schwert, welches noch in Dresden zu sehen ist, die jene Zeit characterisirenden Worte: „<üave Olvwiane" eingraviren lassen. Die tragische Geschichte dieses ausgezeichneten Staatsmannes ist neuer¬ dings wieder von theologischer Seite behandelt worden.*) Es verlohnt sich aber auch der Mühe, daß das gegen Kreil eingehaltene Verfahren einmal von ju¬ ristischer Seite ins Auge gefaßt werde, um an der Hand der Gesetze und der jetzt vollständiger vorliegenden Acten**), die ganze Abscheulichkeit des gegen Kreil begangenen Justizmordes darzulegen. Nachdem unter der Regierung des Kurfürsten August, des Vaters von Christian I. der strengste Orthodoxismus des Lutherthums in Kursachsen die Oberhand erhalten hatte, ging Christian I. von viel freieren Ansichten aus, welche mehr der neuen Lehre von Philipp Melanchthon zugethan waren. August hatte seinem Sohne Christian den Dr. Kreil, einen tüchtigen Juristen, ") Fricdr. Brandes, Der Kanzler Kreil, ein Opfer des Orthodoxismus. Leipzig 187». — Früher erschien: Leben, Schicksal und Ende des Dr, Nie. Kreil. Leipz. 1798; ferner Cas¬ par Peucer und Nie. Kreil von E, L. H, Henke. Marburg 1865. ") Die Acten wurden ziemlich vollständig mitgetheilt in dem Buche: Der Kanzler öl>. Kreil von Richard. Dresden 1850, 2 Bände. Aber gerade die Hauptsache, die Zeugen- Verhör-Protokolle wurden weggelassen und die Verhör-Protokolle des Dr. Kreil selbst nur unvollständig abgedruckt. Grenzboten II. 1874. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_131175/449>, abgerufen am 07.05.2024.