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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band.

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fast thierischen Junkermajorität in der Kammer stellte sich alsbald ein Wider¬
streit heraus, dem der Freund Frankreichs nur mit Schmerzen zusehen konnte.
Man mußte gegen die vollständig unzurechnungsfähige, von einigen der eor-
rumpirtesten Intriganten und eitelsten Schwachköpfe. Broglie, Changarnier.
Audiffret-Pasquier u. s. w. geleitete Majorität eigentlich für den gebildeten,
aber bornirten Bourgeois Thiers Partei nehmen. Allein! wie schwer ward
dieses wieder!

Gegen das Versailler Unglück reagirte das verständige französische Volk in
theils unsinniger, bedauerlicher, thätiger Weise, theils in höchst vernünftiger,
aber leider zu passiver Weise, wie einmal die Verhältnisse lagen. In der be¬
dauerlichen, aber thätigen Weise durch den Pariser Communekrieg, in der
vernünftigen, aber passiven Weise durch die immense Arbeit, an welche sich
das Volk in den Departements sogleich wieder begab, als kaum der Friede
geschlossen war, und an welcher es mit der Gleichgültigkeit, welche die Noth
des Einzelnen gegen das Allgemeinwohl erzeugt, auch während des Commune¬
krieges blieb, durch diese immense Arbeit, welche so große Triumphe an der
Wiener Weltausstellung von 1873 feierte. -- dann durch die Wahlen, für
die Municipalitäten, für die Generalräthe, für die Ergänzung der National¬
versammlung von Versailles, Wahlen, welche den Volkswillen deutlich genug
documentirten. Aber was kümmerten diese Wahlen die Herren zu Versailles.
Diese sagten einfach, man müsse die Wahlgesetze "verbessern", d. h. so abän¬
dern, daß die Wahlen zu ihren Gunsten ausfallen müßten. -- und sie wer¬
den schwerlich jemals anders denken lernen, als bis eine große Revolution
von oben oder unten sie für immer wegschwemmt.

Die Keime der Dinge, welche sich 1872 und 1873 bis heute entwickeln
sollten, sind in allen Hauptzügen schon 1871 sichtbar.


S es e r e r.


Sinken des "Uolenthums.

"Die Zeiten, wo das Großherzogthum Posen auf dem Leuchter stand und
ganz Polen durch Bildung und Wissenschaft vorleuchtete, sind unwiederbringlich
vorüber. Das sich auf den Schauplatz der Oeffentlichkeit drängende neue Ge¬
schlecht erweckt keine Hoffnung für die Zukunft. In dem unaufhörlichen
Kampfe mit dem deutschen und jüdischen Element räumen wir den Gegnern
das Feld. statt daß wir aus dem unversieglichen Lebensquell unserer
Nationalität neue Kräfte schöpfen sollten. Gott hat uns über das "Stück"


fast thierischen Junkermajorität in der Kammer stellte sich alsbald ein Wider¬
streit heraus, dem der Freund Frankreichs nur mit Schmerzen zusehen konnte.
Man mußte gegen die vollständig unzurechnungsfähige, von einigen der eor-
rumpirtesten Intriganten und eitelsten Schwachköpfe. Broglie, Changarnier.
Audiffret-Pasquier u. s. w. geleitete Majorität eigentlich für den gebildeten,
aber bornirten Bourgeois Thiers Partei nehmen. Allein! wie schwer ward
dieses wieder!

Gegen das Versailler Unglück reagirte das verständige französische Volk in
theils unsinniger, bedauerlicher, thätiger Weise, theils in höchst vernünftiger,
aber leider zu passiver Weise, wie einmal die Verhältnisse lagen. In der be¬
dauerlichen, aber thätigen Weise durch den Pariser Communekrieg, in der
vernünftigen, aber passiven Weise durch die immense Arbeit, an welche sich
das Volk in den Departements sogleich wieder begab, als kaum der Friede
geschlossen war, und an welcher es mit der Gleichgültigkeit, welche die Noth
des Einzelnen gegen das Allgemeinwohl erzeugt, auch während des Commune¬
krieges blieb, durch diese immense Arbeit, welche so große Triumphe an der
Wiener Weltausstellung von 1873 feierte. — dann durch die Wahlen, für
die Municipalitäten, für die Generalräthe, für die Ergänzung der National¬
versammlung von Versailles, Wahlen, welche den Volkswillen deutlich genug
documentirten. Aber was kümmerten diese Wahlen die Herren zu Versailles.
Diese sagten einfach, man müsse die Wahlgesetze „verbessern", d. h. so abän¬
dern, daß die Wahlen zu ihren Gunsten ausfallen müßten. — und sie wer¬
den schwerlich jemals anders denken lernen, als bis eine große Revolution
von oben oder unten sie für immer wegschwemmt.

Die Keime der Dinge, welche sich 1872 und 1873 bis heute entwickeln
sollten, sind in allen Hauptzügen schon 1871 sichtbar.


S es e r e r.


Sinken des "Uolenthums.

„Die Zeiten, wo das Großherzogthum Posen auf dem Leuchter stand und
ganz Polen durch Bildung und Wissenschaft vorleuchtete, sind unwiederbringlich
vorüber. Das sich auf den Schauplatz der Oeffentlichkeit drängende neue Ge¬
schlecht erweckt keine Hoffnung für die Zukunft. In dem unaufhörlichen
Kampfe mit dem deutschen und jüdischen Element räumen wir den Gegnern
das Feld. statt daß wir aus dem unversieglichen Lebensquell unserer
Nationalität neue Kräfte schöpfen sollten. Gott hat uns über das „Stück"


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[0517] fast thierischen Junkermajorität in der Kammer stellte sich alsbald ein Wider¬ streit heraus, dem der Freund Frankreichs nur mit Schmerzen zusehen konnte. Man mußte gegen die vollständig unzurechnungsfähige, von einigen der eor- rumpirtesten Intriganten und eitelsten Schwachköpfe. Broglie, Changarnier. Audiffret-Pasquier u. s. w. geleitete Majorität eigentlich für den gebildeten, aber bornirten Bourgeois Thiers Partei nehmen. Allein! wie schwer ward dieses wieder! Gegen das Versailler Unglück reagirte das verständige französische Volk in theils unsinniger, bedauerlicher, thätiger Weise, theils in höchst vernünftiger, aber leider zu passiver Weise, wie einmal die Verhältnisse lagen. In der be¬ dauerlichen, aber thätigen Weise durch den Pariser Communekrieg, in der vernünftigen, aber passiven Weise durch die immense Arbeit, an welche sich das Volk in den Departements sogleich wieder begab, als kaum der Friede geschlossen war, und an welcher es mit der Gleichgültigkeit, welche die Noth des Einzelnen gegen das Allgemeinwohl erzeugt, auch während des Commune¬ krieges blieb, durch diese immense Arbeit, welche so große Triumphe an der Wiener Weltausstellung von 1873 feierte. — dann durch die Wahlen, für die Municipalitäten, für die Generalräthe, für die Ergänzung der National¬ versammlung von Versailles, Wahlen, welche den Volkswillen deutlich genug documentirten. Aber was kümmerten diese Wahlen die Herren zu Versailles. Diese sagten einfach, man müsse die Wahlgesetze „verbessern", d. h. so abän¬ dern, daß die Wahlen zu ihren Gunsten ausfallen müßten. — und sie wer¬ den schwerlich jemals anders denken lernen, als bis eine große Revolution von oben oder unten sie für immer wegschwemmt. Die Keime der Dinge, welche sich 1872 und 1873 bis heute entwickeln sollten, sind in allen Hauptzügen schon 1871 sichtbar. S es e r e r. Sinken des "Uolenthums. „Die Zeiten, wo das Großherzogthum Posen auf dem Leuchter stand und ganz Polen durch Bildung und Wissenschaft vorleuchtete, sind unwiederbringlich vorüber. Das sich auf den Schauplatz der Oeffentlichkeit drängende neue Ge¬ schlecht erweckt keine Hoffnung für die Zukunft. In dem unaufhörlichen Kampfe mit dem deutschen und jüdischen Element räumen wir den Gegnern das Feld. statt daß wir aus dem unversieglichen Lebensquell unserer Nationalität neue Kräfte schöpfen sollten. Gott hat uns über das „Stück"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_131175/517>, abgerufen am 07.05.2024.