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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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bittet nun der Advocat des Herrn von Jtzelwitz den Advocaten des Schusters
um die Kostenrechnung für seinen Herrn Mandanten und fragt in collegialischer
Hochachtung an, ob noch der Klageschein gegen den Ccindidaten X. gefällig
sei, worauf ihm Collega natürlich ergebenst erwidert, daß er den Klageschein
jetzt nicht mehr brauchen könne; er übersende gleichzeitig seine Kostenrechnung
mit der freundlichen Bitte, deren Berichtigung zu veranlassen. Die Kosten
werden zur Zufriedenheit entrichtet, der Schuster freuet sich, Herr von Jtzelwitz
ärgert sich, daß die Sache so ausgefallen -- und damit könnte sie schließen.

Aber die beiden Collegen haben leider eine Vorschrift der Gerichtsordnung
außer Auge gelassen, laut deren jede Sache von Amtswegen ihren Fortgang
nimmt, wenn nicht an die Großherzogliche Justiz-Kanzlei innerhalb der ge¬
stellten Frist von acht Tagen die Anzeige ergeht, daß die Angelegenheit er¬
ledigt sei. Diese Vorschrift führt noch ein düsteres Nachspiel herbei. Nach
dem Ablauf von acht Tagen fällt nämlich dem verurtheilten Patrimonial-
herren, wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel, die Zwangsexecution ins
Haus, in Gestalt eines Soldaten, der sich bei Herrn von Jtzelwitz auf Pritzel-
witz ins Quartier legt. Starr vor Entsetzen schickt von Jtzelwitz auf das
Allerschleunigste den fatalen Klageschein recommandirt mit Retourrecepisse an
den staunenden Schuster, und bescheinigt diese Sendung bei der Großherzog¬
lichen Justiz-Kanzlei. Nun marschirt endlich der Soldat ab -- und die Ge¬
schichte von dem Klageschein hat für dies Mal ein Ende.




Als ich vorige Woche von Zürich nach Se. Gallen fuhr, saß ein Elsässer
mit mir im Wagen, der sich mit seinem Nachbarn, einem Schweizer, lebhaft
über die Lage feiner Heimath und die "Preißen" unterhielt. Er war aus
Schlettstadt, ein kleiner Bürger, und, soviel ich bei dem Gerassel des Zuges
von dem Gespräch verstehen konnte, kein Freund von uns. Unter Anderem
sprach er die Hoffnung aus, es noch zu erleben, daß die Franzosen das Elsaß
wiedernehmen. Sein Nachbar, der Schweizer, war aber anderer Ansicht.
Trocken lächelnd erwiederte er: "Das erleben Sie nicht, lieber Freund, und
wenn Sie hundert Jahre alt werden." Mein neuer Landsmann, der Mu߬
germane aus Schlettstadt, war von dieser Antwort sichtlich betroffen. Daheim
im Elsaß gehört es zum guten Tone, daß man an die Wiederkunft des
welschen Messias glaubt, oder wenigstens gelegentlich versichert, daran zu


Grenzboten III. 1874, 55

bittet nun der Advocat des Herrn von Jtzelwitz den Advocaten des Schusters
um die Kostenrechnung für seinen Herrn Mandanten und fragt in collegialischer
Hochachtung an, ob noch der Klageschein gegen den Ccindidaten X. gefällig
sei, worauf ihm Collega natürlich ergebenst erwidert, daß er den Klageschein
jetzt nicht mehr brauchen könne; er übersende gleichzeitig seine Kostenrechnung
mit der freundlichen Bitte, deren Berichtigung zu veranlassen. Die Kosten
werden zur Zufriedenheit entrichtet, der Schuster freuet sich, Herr von Jtzelwitz
ärgert sich, daß die Sache so ausgefallen — und damit könnte sie schließen.

Aber die beiden Collegen haben leider eine Vorschrift der Gerichtsordnung
außer Auge gelassen, laut deren jede Sache von Amtswegen ihren Fortgang
nimmt, wenn nicht an die Großherzogliche Justiz-Kanzlei innerhalb der ge¬
stellten Frist von acht Tagen die Anzeige ergeht, daß die Angelegenheit er¬
ledigt sei. Diese Vorschrift führt noch ein düsteres Nachspiel herbei. Nach
dem Ablauf von acht Tagen fällt nämlich dem verurtheilten Patrimonial-
herren, wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel, die Zwangsexecution ins
Haus, in Gestalt eines Soldaten, der sich bei Herrn von Jtzelwitz auf Pritzel-
witz ins Quartier legt. Starr vor Entsetzen schickt von Jtzelwitz auf das
Allerschleunigste den fatalen Klageschein recommandirt mit Retourrecepisse an
den staunenden Schuster, und bescheinigt diese Sendung bei der Großherzog¬
lichen Justiz-Kanzlei. Nun marschirt endlich der Soldat ab — und die Ge¬
schichte von dem Klageschein hat für dies Mal ein Ende.




Als ich vorige Woche von Zürich nach Se. Gallen fuhr, saß ein Elsässer
mit mir im Wagen, der sich mit seinem Nachbarn, einem Schweizer, lebhaft
über die Lage feiner Heimath und die „Preißen" unterhielt. Er war aus
Schlettstadt, ein kleiner Bürger, und, soviel ich bei dem Gerassel des Zuges
von dem Gespräch verstehen konnte, kein Freund von uns. Unter Anderem
sprach er die Hoffnung aus, es noch zu erleben, daß die Franzosen das Elsaß
wiedernehmen. Sein Nachbar, der Schweizer, war aber anderer Ansicht.
Trocken lächelnd erwiederte er: „Das erleben Sie nicht, lieber Freund, und
wenn Sie hundert Jahre alt werden." Mein neuer Landsmann, der Mu߬
germane aus Schlettstadt, war von dieser Antwort sichtlich betroffen. Daheim
im Elsaß gehört es zum guten Tone, daß man an die Wiederkunft des
welschen Messias glaubt, oder wenigstens gelegentlich versichert, daran zu


Grenzboten III. 1874, 55
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[0441] bittet nun der Advocat des Herrn von Jtzelwitz den Advocaten des Schusters um die Kostenrechnung für seinen Herrn Mandanten und fragt in collegialischer Hochachtung an, ob noch der Klageschein gegen den Ccindidaten X. gefällig sei, worauf ihm Collega natürlich ergebenst erwidert, daß er den Klageschein jetzt nicht mehr brauchen könne; er übersende gleichzeitig seine Kostenrechnung mit der freundlichen Bitte, deren Berichtigung zu veranlassen. Die Kosten werden zur Zufriedenheit entrichtet, der Schuster freuet sich, Herr von Jtzelwitz ärgert sich, daß die Sache so ausgefallen — und damit könnte sie schließen. Aber die beiden Collegen haben leider eine Vorschrift der Gerichtsordnung außer Auge gelassen, laut deren jede Sache von Amtswegen ihren Fortgang nimmt, wenn nicht an die Großherzogliche Justiz-Kanzlei innerhalb der ge¬ stellten Frist von acht Tagen die Anzeige ergeht, daß die Angelegenheit er¬ ledigt sei. Diese Vorschrift führt noch ein düsteres Nachspiel herbei. Nach dem Ablauf von acht Tagen fällt nämlich dem verurtheilten Patrimonial- herren, wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel, die Zwangsexecution ins Haus, in Gestalt eines Soldaten, der sich bei Herrn von Jtzelwitz auf Pritzel- witz ins Quartier legt. Starr vor Entsetzen schickt von Jtzelwitz auf das Allerschleunigste den fatalen Klageschein recommandirt mit Retourrecepisse an den staunenden Schuster, und bescheinigt diese Sendung bei der Großherzog¬ lichen Justiz-Kanzlei. Nun marschirt endlich der Soldat ab — und die Ge¬ schichte von dem Klageschein hat für dies Mal ein Ende. Als ich vorige Woche von Zürich nach Se. Gallen fuhr, saß ein Elsässer mit mir im Wagen, der sich mit seinem Nachbarn, einem Schweizer, lebhaft über die Lage feiner Heimath und die „Preißen" unterhielt. Er war aus Schlettstadt, ein kleiner Bürger, und, soviel ich bei dem Gerassel des Zuges von dem Gespräch verstehen konnte, kein Freund von uns. Unter Anderem sprach er die Hoffnung aus, es noch zu erleben, daß die Franzosen das Elsaß wiedernehmen. Sein Nachbar, der Schweizer, war aber anderer Ansicht. Trocken lächelnd erwiederte er: „Das erleben Sie nicht, lieber Freund, und wenn Sie hundert Jahre alt werden." Mein neuer Landsmann, der Mu߬ germane aus Schlettstadt, war von dieser Antwort sichtlich betroffen. Daheim im Elsaß gehört es zum guten Tone, daß man an die Wiederkunft des welschen Messias glaubt, oder wenigstens gelegentlich versichert, daran zu Grenzboten III. 1874, 55

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/441>, abgerufen am 06.05.2024.