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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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"Historische Studien user Ion Karlos.
ii.

Wer sich die gleichzeitigen und authentischen Zeugnisse über die Jugend
und Entwickelung des Prinzen Carlos vergegenwärtigt, wer sich der Aussagen
seiner Erzieher, der besorgnißvollen Worte seines Vaters und endlich der ver¬
traulichen Mittheilung von spanischer Seite an die nächsten Verwandten er¬
innert -- (wie wir sie in dem vorhergehenden Artikel dargelegt haben) --
dem muß sich ein ganz anderes Bild jenes bemitleidenswerten spanischen Jüng¬
lings ergeben haben, als es nach der vom Dichter früher vermittelten und
neuerdings neu vorgetragenen Annahme gewesen sein soll. Fast unglaublich,
jedenfalls sehr seltsam muß es erscheinen, daß überhaupt ein Roman aus den
^schilderten Zügen entstehen konnte. Der Ausgang des Prinzen wird allein
die Erklärung für diese auffallende Thatsache uns bieten.

Wenn heute der Thronfolger eines großen Staates oder ein Prinz eines
Mächtigen Könighauses oder wenn, wie wir es so eben erlebt haben, ein her¬
vorragender Diplomat oder Staatsmann plötzlich ins Gefängniß gesetzt wird,
bleiben Erzählungen und Vermuthungen und Erfindungen über die ver¬
haftete Persönlichkeit und die Ursache der Verhaftung ganz gewiß nicht aus.
>>e seltsamer die Geschichte ausgeputzt werden kann, desto größer ist der
Andruck und Erfolg, den sie macht, bei dem staunenden und aufhorchenden
Publikum. Wenn wir uns nun in die Stimmung der öffentlichen Meinung
Kner Zeiten versetzen, tritt uns fast auf allen Seiten eine große Entfremdung
"ut Abneigung gegen Spanien und den spanischen König Philipp II. ent-
8°gen; seine politischen Widersacher in Italien und in Frankreich und in den
Niederlanden, seine religiösen Gegner in der protestantischen Welt beobachteten
^it Mißtrauen jeden seiner Schritte und nahmen mit behaglicher Genug¬
tuung von jedem Mißgeschick Notiz, das ihn in seiner Politik oder in seinem
Hause betraf. Man kann sich leicht vorstellen, wie man in diesen Kreisen
^ Gefangensetzung des Thronfolgers aufgenommen und in welcher Richtung
^ sofort die Erklärungsversuche und Deutungen bei allen diesen Feinden
Spaniens bewegt haben. Die Feinde Spaniens aber haben damals die öffent-
Meinung Europas gemacht oder beherrscht; sie haben in der Literatur


Grenzboten IV. 1874. 36
«Historische Studien user Ion Karlos.
ii.

Wer sich die gleichzeitigen und authentischen Zeugnisse über die Jugend
und Entwickelung des Prinzen Carlos vergegenwärtigt, wer sich der Aussagen
seiner Erzieher, der besorgnißvollen Worte seines Vaters und endlich der ver¬
traulichen Mittheilung von spanischer Seite an die nächsten Verwandten er¬
innert — (wie wir sie in dem vorhergehenden Artikel dargelegt haben) —
dem muß sich ein ganz anderes Bild jenes bemitleidenswerten spanischen Jüng¬
lings ergeben haben, als es nach der vom Dichter früher vermittelten und
neuerdings neu vorgetragenen Annahme gewesen sein soll. Fast unglaublich,
jedenfalls sehr seltsam muß es erscheinen, daß überhaupt ein Roman aus den
^schilderten Zügen entstehen konnte. Der Ausgang des Prinzen wird allein
die Erklärung für diese auffallende Thatsache uns bieten.

Wenn heute der Thronfolger eines großen Staates oder ein Prinz eines
Mächtigen Könighauses oder wenn, wie wir es so eben erlebt haben, ein her¬
vorragender Diplomat oder Staatsmann plötzlich ins Gefängniß gesetzt wird,
bleiben Erzählungen und Vermuthungen und Erfindungen über die ver¬
haftete Persönlichkeit und die Ursache der Verhaftung ganz gewiß nicht aus.
>>e seltsamer die Geschichte ausgeputzt werden kann, desto größer ist der
Andruck und Erfolg, den sie macht, bei dem staunenden und aufhorchenden
Publikum. Wenn wir uns nun in die Stimmung der öffentlichen Meinung
Kner Zeiten versetzen, tritt uns fast auf allen Seiten eine große Entfremdung
"ut Abneigung gegen Spanien und den spanischen König Philipp II. ent-
8°gen; seine politischen Widersacher in Italien und in Frankreich und in den
Niederlanden, seine religiösen Gegner in der protestantischen Welt beobachteten
^it Mißtrauen jeden seiner Schritte und nahmen mit behaglicher Genug¬
tuung von jedem Mißgeschick Notiz, das ihn in seiner Politik oder in seinem
Hause betraf. Man kann sich leicht vorstellen, wie man in diesen Kreisen
^ Gefangensetzung des Thronfolgers aufgenommen und in welcher Richtung
^ sofort die Erklärungsversuche und Deutungen bei allen diesen Feinden
Spaniens bewegt haben. Die Feinde Spaniens aber haben damals die öffent-
Meinung Europas gemacht oder beherrscht; sie haben in der Literatur


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[0285] «Historische Studien user Ion Karlos. ii. Wer sich die gleichzeitigen und authentischen Zeugnisse über die Jugend und Entwickelung des Prinzen Carlos vergegenwärtigt, wer sich der Aussagen seiner Erzieher, der besorgnißvollen Worte seines Vaters und endlich der ver¬ traulichen Mittheilung von spanischer Seite an die nächsten Verwandten er¬ innert — (wie wir sie in dem vorhergehenden Artikel dargelegt haben) — dem muß sich ein ganz anderes Bild jenes bemitleidenswerten spanischen Jüng¬ lings ergeben haben, als es nach der vom Dichter früher vermittelten und neuerdings neu vorgetragenen Annahme gewesen sein soll. Fast unglaublich, jedenfalls sehr seltsam muß es erscheinen, daß überhaupt ein Roman aus den ^schilderten Zügen entstehen konnte. Der Ausgang des Prinzen wird allein die Erklärung für diese auffallende Thatsache uns bieten. Wenn heute der Thronfolger eines großen Staates oder ein Prinz eines Mächtigen Könighauses oder wenn, wie wir es so eben erlebt haben, ein her¬ vorragender Diplomat oder Staatsmann plötzlich ins Gefängniß gesetzt wird, bleiben Erzählungen und Vermuthungen und Erfindungen über die ver¬ haftete Persönlichkeit und die Ursache der Verhaftung ganz gewiß nicht aus. >>e seltsamer die Geschichte ausgeputzt werden kann, desto größer ist der Andruck und Erfolg, den sie macht, bei dem staunenden und aufhorchenden Publikum. Wenn wir uns nun in die Stimmung der öffentlichen Meinung Kner Zeiten versetzen, tritt uns fast auf allen Seiten eine große Entfremdung "ut Abneigung gegen Spanien und den spanischen König Philipp II. ent- 8°gen; seine politischen Widersacher in Italien und in Frankreich und in den Niederlanden, seine religiösen Gegner in der protestantischen Welt beobachteten ^it Mißtrauen jeden seiner Schritte und nahmen mit behaglicher Genug¬ tuung von jedem Mißgeschick Notiz, das ihn in seiner Politik oder in seinem Hause betraf. Man kann sich leicht vorstellen, wie man in diesen Kreisen ^ Gefangensetzung des Thronfolgers aufgenommen und in welcher Richtung ^ sofort die Erklärungsversuche und Deutungen bei allen diesen Feinden Spaniens bewegt haben. Die Feinde Spaniens aber haben damals die öffent- Meinung Europas gemacht oder beherrscht; sie haben in der Literatur Grenzboten IV. 1874. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/285>, abgerufen am 19.05.2024.