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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Wilhelm Koscher's Geschichte der Kational-AeKonomiK
in Deutschland.

Im Staatsrecht und in der Gesetzgebung ist überall jene Streitfrage
längst entschieden, die beim Uebergang aus der absoluten Monarchie in die
konstitutionelle Staatsordnung die Gemüther zu bewegen pflegt: wer über
die höchsten Beamten des Staates Controle üben, wer über die höchsten
Richter urtheilen soll. In der Wissenschaft wird sie niemals ganz zu lösen
sein -- am wenigsten durch starre unbeugsame Formeln, wie deren das öffent¬
liche Recht bedarf, um allen Staatsbürgern gegenüber mit gleicher Macht.und
in gleichem Sinne sich zu behaupten. In allen Wissenschaften ist im Gegen¬
theil die Formel der Controle und des Urtheils, mit welcher die vornehmsten
Vertreter des stolzen Reiches der Geister zu messen sind, so wandelbar wie
die Entwickelung und Geschichte der Menschen und wie die individuelle
Leistungsfähigkeit insbesondere. Ja, in jeder Wissenschaft und Kunst hat es
einige wenige bevorzugte Geister gegeben, für die es unter den Zeitgenossen
Lilien Richter, keinen O deren gab; leitende, führende Geister, welche erst durch
die vereinte Arbeit der Besten, die kommende Jahrhunderte hervorbrachten,
völlig verstanden, richtig beurtheilt, bisweilen erreicht, manchmal wohl auch
überholt worden sind. Aber unter den Zeitgenossen, wie gesagt, ist jenen
höchsten Würdenträgern der Wissenschaft und Kunst selten ein ebenbürtiger
Kritiker. ein competenter Richter erwachsen. Daß ihren Werken auch von
Zeitgenossen Lob gespendet, Tadel zu Theil geworden ist, soll nicht in Ab-
^de gestellt werden -- Tadel insbesondere ist selten einem Sterblichen erspart
worden. Denn weit mehr ist unsere Natur dazu geeignet, die Schwächen
der Mitstrebenden zu erkennen, als ihre Vorzüge. Und jene großen Geister
haben vielleicht wirklich aus den lobenden und tadelnden Stimmen der Zeit¬
genossen wesentliche Förderung empfangen für ihr hohes Streben. Aber
sicherlich bei weitem mehr durch die Lebendigkeit des eignen Pflichtgefühls,
durch die Hoheit der Auffassung ihres Lebensberufes, als durch den Maßstab
Kritik, die an ihnen geübt wurde. --

In mannichfacher Hinsicht ruft das neueste Werk") Wilh ein No sah e r 's



""" *) "Geschichte der National - Oekonomik in Deutschland" von Wilhelm No scher,
-"tünchen 1874. N. Oldcnl'mira.-
Grenzboten IV. 1874. 46
Wilhelm Koscher's Geschichte der Kational-AeKonomiK
in Deutschland.

Im Staatsrecht und in der Gesetzgebung ist überall jene Streitfrage
längst entschieden, die beim Uebergang aus der absoluten Monarchie in die
konstitutionelle Staatsordnung die Gemüther zu bewegen pflegt: wer über
die höchsten Beamten des Staates Controle üben, wer über die höchsten
Richter urtheilen soll. In der Wissenschaft wird sie niemals ganz zu lösen
sein — am wenigsten durch starre unbeugsame Formeln, wie deren das öffent¬
liche Recht bedarf, um allen Staatsbürgern gegenüber mit gleicher Macht.und
in gleichem Sinne sich zu behaupten. In allen Wissenschaften ist im Gegen¬
theil die Formel der Controle und des Urtheils, mit welcher die vornehmsten
Vertreter des stolzen Reiches der Geister zu messen sind, so wandelbar wie
die Entwickelung und Geschichte der Menschen und wie die individuelle
Leistungsfähigkeit insbesondere. Ja, in jeder Wissenschaft und Kunst hat es
einige wenige bevorzugte Geister gegeben, für die es unter den Zeitgenossen
Lilien Richter, keinen O deren gab; leitende, führende Geister, welche erst durch
die vereinte Arbeit der Besten, die kommende Jahrhunderte hervorbrachten,
völlig verstanden, richtig beurtheilt, bisweilen erreicht, manchmal wohl auch
überholt worden sind. Aber unter den Zeitgenossen, wie gesagt, ist jenen
höchsten Würdenträgern der Wissenschaft und Kunst selten ein ebenbürtiger
Kritiker. ein competenter Richter erwachsen. Daß ihren Werken auch von
Zeitgenossen Lob gespendet, Tadel zu Theil geworden ist, soll nicht in Ab-
^de gestellt werden — Tadel insbesondere ist selten einem Sterblichen erspart
worden. Denn weit mehr ist unsere Natur dazu geeignet, die Schwächen
der Mitstrebenden zu erkennen, als ihre Vorzüge. Und jene großen Geister
haben vielleicht wirklich aus den lobenden und tadelnden Stimmen der Zeit¬
genossen wesentliche Förderung empfangen für ihr hohes Streben. Aber
sicherlich bei weitem mehr durch die Lebendigkeit des eignen Pflichtgefühls,
durch die Hoheit der Auffassung ihres Lebensberufes, als durch den Maßstab
Kritik, die an ihnen geübt wurde. —

In mannichfacher Hinsicht ruft das neueste Werk") Wilh ein No sah e r 's



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[0365] Wilhelm Koscher's Geschichte der Kational-AeKonomiK in Deutschland. Im Staatsrecht und in der Gesetzgebung ist überall jene Streitfrage längst entschieden, die beim Uebergang aus der absoluten Monarchie in die konstitutionelle Staatsordnung die Gemüther zu bewegen pflegt: wer über die höchsten Beamten des Staates Controle üben, wer über die höchsten Richter urtheilen soll. In der Wissenschaft wird sie niemals ganz zu lösen sein — am wenigsten durch starre unbeugsame Formeln, wie deren das öffent¬ liche Recht bedarf, um allen Staatsbürgern gegenüber mit gleicher Macht.und in gleichem Sinne sich zu behaupten. In allen Wissenschaften ist im Gegen¬ theil die Formel der Controle und des Urtheils, mit welcher die vornehmsten Vertreter des stolzen Reiches der Geister zu messen sind, so wandelbar wie die Entwickelung und Geschichte der Menschen und wie die individuelle Leistungsfähigkeit insbesondere. Ja, in jeder Wissenschaft und Kunst hat es einige wenige bevorzugte Geister gegeben, für die es unter den Zeitgenossen Lilien Richter, keinen O deren gab; leitende, führende Geister, welche erst durch die vereinte Arbeit der Besten, die kommende Jahrhunderte hervorbrachten, völlig verstanden, richtig beurtheilt, bisweilen erreicht, manchmal wohl auch überholt worden sind. Aber unter den Zeitgenossen, wie gesagt, ist jenen höchsten Würdenträgern der Wissenschaft und Kunst selten ein ebenbürtiger Kritiker. ein competenter Richter erwachsen. Daß ihren Werken auch von Zeitgenossen Lob gespendet, Tadel zu Theil geworden ist, soll nicht in Ab- ^de gestellt werden — Tadel insbesondere ist selten einem Sterblichen erspart worden. Denn weit mehr ist unsere Natur dazu geeignet, die Schwächen der Mitstrebenden zu erkennen, als ihre Vorzüge. Und jene großen Geister haben vielleicht wirklich aus den lobenden und tadelnden Stimmen der Zeit¬ genossen wesentliche Förderung empfangen für ihr hohes Streben. Aber sicherlich bei weitem mehr durch die Lebendigkeit des eignen Pflichtgefühls, durch die Hoheit der Auffassung ihres Lebensberufes, als durch den Maßstab Kritik, die an ihnen geübt wurde. — In mannichfacher Hinsicht ruft das neueste Werk") Wilh ein No sah e r 's „„„ *) „Geschichte der National - Oekonomik in Deutschland" von Wilhelm No scher, -"tünchen 1874. N. Oldcnl'mira.- Grenzboten IV. 1874. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/365>, abgerufen am 29.05.2024.