Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
preußische Heschichten.

Nicht ganz ungegründet ist der Vorwurf, den manche Freunde der Ge¬
schichtswissenschaft ihren Jüngern machen, daß gegenwärtig keine irgendwie
genügende Darstellung deutscher Geschichte vorhanden ist. Die alte kahle
eollvellue, die man für die Geschichte des deutschen Volkes ausgegeben hat,
ist an den meisten Stellen erschüttert. Die neuere kritische Forschung ist in
voller Thätigkeit, an ihrer Stelle ein neues Gebäude aufzuführen; -- diese
Thätigkeit ist aber noch nicht vollendet; und so entschließt sich ein wissenschaft¬
licher Historiker einstweilen nicht leicht, eine zusammenhängende und alles um¬
fassende Darstellung zu geben. Es bleibt heute anderen Händen überlassen,
Grundrisse und kurze Handbücher zu verfassen. Jedenfalls was von größeren
und ausführlicheren Werken über deutsche Gesammtgeschichte in letzter Zeit
ausgeboten worden, wird nicht wirklich empfohlen werden dürfen.

Anders steht es mit der Preußischen Geschichte. Nicht als ob man sagen
könnte, wir besitzen eine allen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechende
Gesammtgeschichte des preußischen Staates; -- aber hervorragende Historiker
haben sich an diese Arbeit gemacht und es liegen Werke über preußische Ge¬
schichte vor, an die man den Maaßstab wissenschaftlicher kritischer Geschicht¬
schreibung anlegen darf. Wir erinnern kurz an die älteren Versuche, um dann
die neueren Bearbeitungen genauer zu charakterisiren.

Die Geschichte des preußischen Staates wächst heraus aus der Geschichte
des brandenburgischen Kurfürstenthumes. Um die Wende des 16. auf das
17. Jahrhundert trat die höher hinaufstrebende Tendenz der Brandenburger
zu Tage, da begann die brandenburgische Landesgeschichte einen anderen
Charakter anzunehmen als die der anderen deutschen Landesfürstenthümer.
In dieser Zeit und aus diesen Verhältnissen der kühner emporkommenden
brandenburgischen Politik heraus schrieb der erste brandenburgische Historiker
Leutinger seine Werke über die Geschichte der heimischen Lande.

Im 17. Jahrhundert hat sodann der große Kurfürst aus dem von seinen
Vorfahren gewonnenen Materials den neuen brandenburgisch-preußischen
Staat gebildet. Während seiner Regierung entwickelte sich das eigenthümliche
Gepräge des neuen deutschen Zukunftsreiches. Damals griffen Viele zur


Grenzboten IV. 1874. 56
preußische Heschichten.

Nicht ganz ungegründet ist der Vorwurf, den manche Freunde der Ge¬
schichtswissenschaft ihren Jüngern machen, daß gegenwärtig keine irgendwie
genügende Darstellung deutscher Geschichte vorhanden ist. Die alte kahle
eollvellue, die man für die Geschichte des deutschen Volkes ausgegeben hat,
ist an den meisten Stellen erschüttert. Die neuere kritische Forschung ist in
voller Thätigkeit, an ihrer Stelle ein neues Gebäude aufzuführen; — diese
Thätigkeit ist aber noch nicht vollendet; und so entschließt sich ein wissenschaft¬
licher Historiker einstweilen nicht leicht, eine zusammenhängende und alles um¬
fassende Darstellung zu geben. Es bleibt heute anderen Händen überlassen,
Grundrisse und kurze Handbücher zu verfassen. Jedenfalls was von größeren
und ausführlicheren Werken über deutsche Gesammtgeschichte in letzter Zeit
ausgeboten worden, wird nicht wirklich empfohlen werden dürfen.

Anders steht es mit der Preußischen Geschichte. Nicht als ob man sagen
könnte, wir besitzen eine allen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechende
Gesammtgeschichte des preußischen Staates; — aber hervorragende Historiker
haben sich an diese Arbeit gemacht und es liegen Werke über preußische Ge¬
schichte vor, an die man den Maaßstab wissenschaftlicher kritischer Geschicht¬
schreibung anlegen darf. Wir erinnern kurz an die älteren Versuche, um dann
die neueren Bearbeitungen genauer zu charakterisiren.

Die Geschichte des preußischen Staates wächst heraus aus der Geschichte
des brandenburgischen Kurfürstenthumes. Um die Wende des 16. auf das
17. Jahrhundert trat die höher hinaufstrebende Tendenz der Brandenburger
zu Tage, da begann die brandenburgische Landesgeschichte einen anderen
Charakter anzunehmen als die der anderen deutschen Landesfürstenthümer.
In dieser Zeit und aus diesen Verhältnissen der kühner emporkommenden
brandenburgischen Politik heraus schrieb der erste brandenburgische Historiker
Leutinger seine Werke über die Geschichte der heimischen Lande.

Im 17. Jahrhundert hat sodann der große Kurfürst aus dem von seinen
Vorfahren gewonnenen Materials den neuen brandenburgisch-preußischen
Staat gebildet. Während seiner Regierung entwickelte sich das eigenthümliche
Gepräge des neuen deutschen Zukunftsreiches. Damals griffen Viele zur


Grenzboten IV. 1874. 56
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0445" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132667"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> preußische Heschichten.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1294"> Nicht ganz ungegründet ist der Vorwurf, den manche Freunde der Ge¬<lb/>
schichtswissenschaft ihren Jüngern machen, daß gegenwärtig keine irgendwie<lb/>
genügende Darstellung deutscher Geschichte vorhanden ist. Die alte kahle<lb/>
eollvellue, die man für die Geschichte des deutschen Volkes ausgegeben hat,<lb/>
ist an den meisten Stellen erschüttert. Die neuere kritische Forschung ist in<lb/>
voller Thätigkeit, an ihrer Stelle ein neues Gebäude aufzuführen; &#x2014; diese<lb/>
Thätigkeit ist aber noch nicht vollendet; und so entschließt sich ein wissenschaft¬<lb/>
licher Historiker einstweilen nicht leicht, eine zusammenhängende und alles um¬<lb/>
fassende Darstellung zu geben. Es bleibt heute anderen Händen überlassen,<lb/>
Grundrisse und kurze Handbücher zu verfassen. Jedenfalls was von größeren<lb/>
und ausführlicheren Werken über deutsche Gesammtgeschichte in letzter Zeit<lb/>
ausgeboten worden, wird nicht wirklich empfohlen werden dürfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1295"> Anders steht es mit der Preußischen Geschichte. Nicht als ob man sagen<lb/>
könnte, wir besitzen eine allen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechende<lb/>
Gesammtgeschichte des preußischen Staates; &#x2014; aber hervorragende Historiker<lb/>
haben sich an diese Arbeit gemacht und es liegen Werke über preußische Ge¬<lb/>
schichte vor, an die man den Maaßstab wissenschaftlicher kritischer Geschicht¬<lb/>
schreibung anlegen darf. Wir erinnern kurz an die älteren Versuche, um dann<lb/>
die neueren Bearbeitungen genauer zu charakterisiren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1296"> Die Geschichte des preußischen Staates wächst heraus aus der Geschichte<lb/>
des brandenburgischen Kurfürstenthumes. Um die Wende des 16. auf das<lb/>
17. Jahrhundert trat die höher hinaufstrebende Tendenz der Brandenburger<lb/>
zu Tage, da begann die brandenburgische Landesgeschichte einen anderen<lb/>
Charakter anzunehmen als die der anderen deutschen Landesfürstenthümer.<lb/>
In dieser Zeit und aus diesen Verhältnissen der kühner emporkommenden<lb/>
brandenburgischen Politik heraus schrieb der erste brandenburgische Historiker<lb/>
Leutinger seine Werke über die Geschichte der heimischen Lande.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1297" next="#ID_1298"> Im 17. Jahrhundert hat sodann der große Kurfürst aus dem von seinen<lb/>
Vorfahren gewonnenen Materials den neuen brandenburgisch-preußischen<lb/>
Staat gebildet. Während seiner Regierung entwickelte sich das eigenthümliche<lb/>
Gepräge des neuen deutschen Zukunftsreiches.  Damals griffen Viele zur</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1874. 56</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0445] preußische Heschichten. Nicht ganz ungegründet ist der Vorwurf, den manche Freunde der Ge¬ schichtswissenschaft ihren Jüngern machen, daß gegenwärtig keine irgendwie genügende Darstellung deutscher Geschichte vorhanden ist. Die alte kahle eollvellue, die man für die Geschichte des deutschen Volkes ausgegeben hat, ist an den meisten Stellen erschüttert. Die neuere kritische Forschung ist in voller Thätigkeit, an ihrer Stelle ein neues Gebäude aufzuführen; — diese Thätigkeit ist aber noch nicht vollendet; und so entschließt sich ein wissenschaft¬ licher Historiker einstweilen nicht leicht, eine zusammenhängende und alles um¬ fassende Darstellung zu geben. Es bleibt heute anderen Händen überlassen, Grundrisse und kurze Handbücher zu verfassen. Jedenfalls was von größeren und ausführlicheren Werken über deutsche Gesammtgeschichte in letzter Zeit ausgeboten worden, wird nicht wirklich empfohlen werden dürfen. Anders steht es mit der Preußischen Geschichte. Nicht als ob man sagen könnte, wir besitzen eine allen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechende Gesammtgeschichte des preußischen Staates; — aber hervorragende Historiker haben sich an diese Arbeit gemacht und es liegen Werke über preußische Ge¬ schichte vor, an die man den Maaßstab wissenschaftlicher kritischer Geschicht¬ schreibung anlegen darf. Wir erinnern kurz an die älteren Versuche, um dann die neueren Bearbeitungen genauer zu charakterisiren. Die Geschichte des preußischen Staates wächst heraus aus der Geschichte des brandenburgischen Kurfürstenthumes. Um die Wende des 16. auf das 17. Jahrhundert trat die höher hinaufstrebende Tendenz der Brandenburger zu Tage, da begann die brandenburgische Landesgeschichte einen anderen Charakter anzunehmen als die der anderen deutschen Landesfürstenthümer. In dieser Zeit und aus diesen Verhältnissen der kühner emporkommenden brandenburgischen Politik heraus schrieb der erste brandenburgische Historiker Leutinger seine Werke über die Geschichte der heimischen Lande. Im 17. Jahrhundert hat sodann der große Kurfürst aus dem von seinen Vorfahren gewonnenen Materials den neuen brandenburgisch-preußischen Staat gebildet. Während seiner Regierung entwickelte sich das eigenthümliche Gepräge des neuen deutschen Zukunftsreiches. Damals griffen Viele zur Grenzboten IV. 1874. 56

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/445
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/445>, abgerufen am 19.05.2024.