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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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und Ganzen verderbt war, beweisen die unerhörten Thatsachen, welche die Gift¬
prozesse zu Tage förderten. Unter diesem Gesichtspunkte erscheint die drohende
Zwingburg der Bastille in einer Zeit des schlaffen und langsamen gerichtlichen
Verfahrens und der weitverbreiteten Entsittlichung allerdings wie ein großes
Correctionshaus, das nicht selten heilsamen Schrecken zu erregen und Gutes
zu stiften wußte. Andrerseits hat auch sie als Symbol der Willkürherrschaft
und Werkzeug der Unterdrückung ihren Antheil an den Ursachen, welche den
Umsturz alles Bestehenden zur unabwendbaren Nothwendigkeit gemacht haben.
Darum richteten sich denn auch der Haß und die Wuth des durch lange,
schmähliche Mißregierung erbitterten Volkes zuerst gegen die Wälle der ge-
fürchteten Bastille.

Zum Schluße mag hier übrigens nochmals im Namen der historischen
Gerechtigkeit auf die schon oben berührte Thatsache hingewiesen werden, daß
die in dem vortrefflichen Werke Ravaisson's zugänglich gemachten Acten nir¬
gends einen Anhalt für die irrige Behauptung bieten, daß die Behandlung
der Gefangenen in der Bastille, abgesehen von der vor der französischen Revo-
lution überall im gerichtlichen Verfahren gebräuchlich gewesenen Tortur, un¬
menschlich und grausamer als in andren Gefängnissen gewesen sei. Vielmehr
sprechen nicht wenige Zeugen, wenigstens was die Regierung Ludwig's des
Vierzehnten betrifft, dafür, daß eine ziemlich milde Praxis herrschte.


Wilhelm Henkel.


Aeuere lürchmpoütische Schriften.
2.

Unter der Ueberschrift "das Gesetz vom 25. Mai v. I. betreffend die
evangelische Gemeinde- und Synodalordnung" bespricht Professor Dr. Wach")
die Stellung, welche der preußische Landtag und das Ministerium zu dem
neuen Entwurf der kirchlichen Verfassung eingenommen haben. Er will in
diesem Aufsatz die staatskirchliche Seite derselben zur Erörterung bringen. Es
erhebt sich nun hier zuerst die Frage, kraft welcher Vollmacht der Landesherr
den Verfassungsentwurf erlassen hat. Der Herr Verfasser beantwortet sie
etwas anders als es die Commission des Abgeordnetenhauses gethan hat.
Es handelt sich um die Bedeutung der Contrasignatur des Kultusministers,
öl-. Wach sagt, sie stelle nur die Authentie des landesherrlichen Erlasses fest,
die Commission behauptete, der Erlaß stelle sich damit innerhalb der Grenzen
des konstitutionellen Rechts und der Verfassung. Darüber aber herrscht auf
beiden Seiten Uebereinstimmung, daß der Erlaß auf der Vollmacht des Kirchen-



Syiwdnlsrage". Velhage" 6- Klasmg, Bielefeld und Leipzig.

und Ganzen verderbt war, beweisen die unerhörten Thatsachen, welche die Gift¬
prozesse zu Tage förderten. Unter diesem Gesichtspunkte erscheint die drohende
Zwingburg der Bastille in einer Zeit des schlaffen und langsamen gerichtlichen
Verfahrens und der weitverbreiteten Entsittlichung allerdings wie ein großes
Correctionshaus, das nicht selten heilsamen Schrecken zu erregen und Gutes
zu stiften wußte. Andrerseits hat auch sie als Symbol der Willkürherrschaft
und Werkzeug der Unterdrückung ihren Antheil an den Ursachen, welche den
Umsturz alles Bestehenden zur unabwendbaren Nothwendigkeit gemacht haben.
Darum richteten sich denn auch der Haß und die Wuth des durch lange,
schmähliche Mißregierung erbitterten Volkes zuerst gegen die Wälle der ge-
fürchteten Bastille.

Zum Schluße mag hier übrigens nochmals im Namen der historischen
Gerechtigkeit auf die schon oben berührte Thatsache hingewiesen werden, daß
die in dem vortrefflichen Werke Ravaisson's zugänglich gemachten Acten nir¬
gends einen Anhalt für die irrige Behauptung bieten, daß die Behandlung
der Gefangenen in der Bastille, abgesehen von der vor der französischen Revo-
lution überall im gerichtlichen Verfahren gebräuchlich gewesenen Tortur, un¬
menschlich und grausamer als in andren Gefängnissen gewesen sei. Vielmehr
sprechen nicht wenige Zeugen, wenigstens was die Regierung Ludwig's des
Vierzehnten betrifft, dafür, daß eine ziemlich milde Praxis herrschte.


Wilhelm Henkel.


Aeuere lürchmpoütische Schriften.
2.

Unter der Ueberschrift „das Gesetz vom 25. Mai v. I. betreffend die
evangelische Gemeinde- und Synodalordnung" bespricht Professor Dr. Wach")
die Stellung, welche der preußische Landtag und das Ministerium zu dem
neuen Entwurf der kirchlichen Verfassung eingenommen haben. Er will in
diesem Aufsatz die staatskirchliche Seite derselben zur Erörterung bringen. Es
erhebt sich nun hier zuerst die Frage, kraft welcher Vollmacht der Landesherr
den Verfassungsentwurf erlassen hat. Der Herr Verfasser beantwortet sie
etwas anders als es die Commission des Abgeordnetenhauses gethan hat.
Es handelt sich um die Bedeutung der Contrasignatur des Kultusministers,
öl-. Wach sagt, sie stelle nur die Authentie des landesherrlichen Erlasses fest,
die Commission behauptete, der Erlaß stelle sich damit innerhalb der Grenzen
des konstitutionellen Rechts und der Verfassung. Darüber aber herrscht auf
beiden Seiten Uebereinstimmung, daß der Erlaß auf der Vollmacht des Kirchen-



Syiwdnlsrage«. Velhage» 6- Klasmg, Bielefeld und Leipzig.
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[0144] und Ganzen verderbt war, beweisen die unerhörten Thatsachen, welche die Gift¬ prozesse zu Tage förderten. Unter diesem Gesichtspunkte erscheint die drohende Zwingburg der Bastille in einer Zeit des schlaffen und langsamen gerichtlichen Verfahrens und der weitverbreiteten Entsittlichung allerdings wie ein großes Correctionshaus, das nicht selten heilsamen Schrecken zu erregen und Gutes zu stiften wußte. Andrerseits hat auch sie als Symbol der Willkürherrschaft und Werkzeug der Unterdrückung ihren Antheil an den Ursachen, welche den Umsturz alles Bestehenden zur unabwendbaren Nothwendigkeit gemacht haben. Darum richteten sich denn auch der Haß und die Wuth des durch lange, schmähliche Mißregierung erbitterten Volkes zuerst gegen die Wälle der ge- fürchteten Bastille. Zum Schluße mag hier übrigens nochmals im Namen der historischen Gerechtigkeit auf die schon oben berührte Thatsache hingewiesen werden, daß die in dem vortrefflichen Werke Ravaisson's zugänglich gemachten Acten nir¬ gends einen Anhalt für die irrige Behauptung bieten, daß die Behandlung der Gefangenen in der Bastille, abgesehen von der vor der französischen Revo- lution überall im gerichtlichen Verfahren gebräuchlich gewesenen Tortur, un¬ menschlich und grausamer als in andren Gefängnissen gewesen sei. Vielmehr sprechen nicht wenige Zeugen, wenigstens was die Regierung Ludwig's des Vierzehnten betrifft, dafür, daß eine ziemlich milde Praxis herrschte. Wilhelm Henkel. Aeuere lürchmpoütische Schriften. 2. Unter der Ueberschrift „das Gesetz vom 25. Mai v. I. betreffend die evangelische Gemeinde- und Synodalordnung" bespricht Professor Dr. Wach") die Stellung, welche der preußische Landtag und das Ministerium zu dem neuen Entwurf der kirchlichen Verfassung eingenommen haben. Er will in diesem Aufsatz die staatskirchliche Seite derselben zur Erörterung bringen. Es erhebt sich nun hier zuerst die Frage, kraft welcher Vollmacht der Landesherr den Verfassungsentwurf erlassen hat. Der Herr Verfasser beantwortet sie etwas anders als es die Commission des Abgeordnetenhauses gethan hat. Es handelt sich um die Bedeutung der Contrasignatur des Kultusministers, öl-. Wach sagt, sie stelle nur die Authentie des landesherrlichen Erlasses fest, die Commission behauptete, der Erlaß stelle sich damit innerhalb der Grenzen des konstitutionellen Rechts und der Verfassung. Darüber aber herrscht auf beiden Seiten Uebereinstimmung, daß der Erlaß auf der Vollmacht des Kirchen- Syiwdnlsrage«. Velhage» 6- Klasmg, Bielefeld und Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/144>, abgerufen am 06.05.2024.