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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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schmalen und niedrigen Backsteinhäusern, welche den Straßen das Ansehen
von langen Kasernen verleihen. Wenn auch das Innere zu diesem Aeußeren
im vortheilhaften Gegensatz steht, wenn da der englische Comfort aus den
Palästen des Adels und der reichen Industriellen in gewissen Typen der all¬
gemeinen Lebensbedürfnisse bis in die Wohnung des bescheidenen Handwerkers
dringt, so gewährt nach Außen die englische Fabrik- und Handelsstadt einen
so schmutzigen und trostlosen Anblick, daß man sich gar nicht wundern darf,
wenn das größte Contingent von den Reisenden in Europa von den Eng¬
ländern geliefert wird und daß keine Nation mehr im Auslande lebende
Pensionäre und kleine Rentiers liefert, als England. Eine Ausnahme von
jener Regel bilden diejenigen Bauten, welche auf eigenem Grund aufgeführt
sind oder bei denen der Pachtvertrag auf 999 Jahre sich erstreckt, der in der
Wirkung dem reinen Eigenthumsrecht gleich kommt. Solche Verträge kommen
indessen nur selten und nur in einzelnen Gegenden vor. In allen diesen
Fällen gewinnen die Gebäude sofort ein Ansehen, daß jener Spruch zur vollen
Wahrheit wird. So giebt es im Londoner Westend ein ganzes Quartier von
Zinshäusern -- I>gMi"Atom --, welche so groß und schön sind, wie die Paläste
am Wiener Ring und durch ihren eleganten Oelanstrich merkwürdig abstechen
von dem trostlosen Anblick, den die Mehrzahl der übrigen Quartiere gewährt.

Zu diesen Ausnahmen gehören vor allen Dingen auch die Landsitze der
Reichen und Vornehmen, welche an Behaglichkeit und solidem Luxus ihres
Gleichen nur in den italienischen Villen finden, und erst in neuerer Zeit im
übrigen Europa sporadisch nachgeahmt werden. Der an die Bibliothek, das
sentir- oder Empfangs - Zimmer stoßende Wintergarten, welcher auf dem
Continent bis jetzt noch mit wenigen Ausnahmen ein Privilegium fürstlicher
Familien zu sein scheint, ist in England Gemeingut jedes behäbigen Land¬
sitzes. Man begreift bei deren Anblick, warum die vornehmen Familien den
größten Theil des Jahres in denselben zubringen, wie die englischen Staats¬
männer da die Muße finden ihre Gedanken zu sammeln, um dann vor ihren
Wählern jene großen politischen Reden zu halten, mit denen sie den Gang der
Politik in großen Zügen vorzuzeichnen Pflegen. Da begreift man erst, wie
der Spruch so beliebt werden konnte: "mein Haus ist meine Burg".




Dom preußischen Landtag.

Wir haben die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses seit dem 16. Fe¬
bruar nachzuholen. An dem genannten Tage erfolgte die erste Berathung


schmalen und niedrigen Backsteinhäusern, welche den Straßen das Ansehen
von langen Kasernen verleihen. Wenn auch das Innere zu diesem Aeußeren
im vortheilhaften Gegensatz steht, wenn da der englische Comfort aus den
Palästen des Adels und der reichen Industriellen in gewissen Typen der all¬
gemeinen Lebensbedürfnisse bis in die Wohnung des bescheidenen Handwerkers
dringt, so gewährt nach Außen die englische Fabrik- und Handelsstadt einen
so schmutzigen und trostlosen Anblick, daß man sich gar nicht wundern darf,
wenn das größte Contingent von den Reisenden in Europa von den Eng¬
ländern geliefert wird und daß keine Nation mehr im Auslande lebende
Pensionäre und kleine Rentiers liefert, als England. Eine Ausnahme von
jener Regel bilden diejenigen Bauten, welche auf eigenem Grund aufgeführt
sind oder bei denen der Pachtvertrag auf 999 Jahre sich erstreckt, der in der
Wirkung dem reinen Eigenthumsrecht gleich kommt. Solche Verträge kommen
indessen nur selten und nur in einzelnen Gegenden vor. In allen diesen
Fällen gewinnen die Gebäude sofort ein Ansehen, daß jener Spruch zur vollen
Wahrheit wird. So giebt es im Londoner Westend ein ganzes Quartier von
Zinshäusern — I>gMi»Atom —, welche so groß und schön sind, wie die Paläste
am Wiener Ring und durch ihren eleganten Oelanstrich merkwürdig abstechen
von dem trostlosen Anblick, den die Mehrzahl der übrigen Quartiere gewährt.

Zu diesen Ausnahmen gehören vor allen Dingen auch die Landsitze der
Reichen und Vornehmen, welche an Behaglichkeit und solidem Luxus ihres
Gleichen nur in den italienischen Villen finden, und erst in neuerer Zeit im
übrigen Europa sporadisch nachgeahmt werden. Der an die Bibliothek, das
sentir- oder Empfangs - Zimmer stoßende Wintergarten, welcher auf dem
Continent bis jetzt noch mit wenigen Ausnahmen ein Privilegium fürstlicher
Familien zu sein scheint, ist in England Gemeingut jedes behäbigen Land¬
sitzes. Man begreift bei deren Anblick, warum die vornehmen Familien den
größten Theil des Jahres in denselben zubringen, wie die englischen Staats¬
männer da die Muße finden ihre Gedanken zu sammeln, um dann vor ihren
Wählern jene großen politischen Reden zu halten, mit denen sie den Gang der
Politik in großen Zügen vorzuzeichnen Pflegen. Da begreift man erst, wie
der Spruch so beliebt werden konnte: „mein Haus ist meine Burg".




Dom preußischen Landtag.

Wir haben die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses seit dem 16. Fe¬
bruar nachzuholen. An dem genannten Tage erfolgte die erste Berathung


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[0398] schmalen und niedrigen Backsteinhäusern, welche den Straßen das Ansehen von langen Kasernen verleihen. Wenn auch das Innere zu diesem Aeußeren im vortheilhaften Gegensatz steht, wenn da der englische Comfort aus den Palästen des Adels und der reichen Industriellen in gewissen Typen der all¬ gemeinen Lebensbedürfnisse bis in die Wohnung des bescheidenen Handwerkers dringt, so gewährt nach Außen die englische Fabrik- und Handelsstadt einen so schmutzigen und trostlosen Anblick, daß man sich gar nicht wundern darf, wenn das größte Contingent von den Reisenden in Europa von den Eng¬ ländern geliefert wird und daß keine Nation mehr im Auslande lebende Pensionäre und kleine Rentiers liefert, als England. Eine Ausnahme von jener Regel bilden diejenigen Bauten, welche auf eigenem Grund aufgeführt sind oder bei denen der Pachtvertrag auf 999 Jahre sich erstreckt, der in der Wirkung dem reinen Eigenthumsrecht gleich kommt. Solche Verträge kommen indessen nur selten und nur in einzelnen Gegenden vor. In allen diesen Fällen gewinnen die Gebäude sofort ein Ansehen, daß jener Spruch zur vollen Wahrheit wird. So giebt es im Londoner Westend ein ganzes Quartier von Zinshäusern — I>gMi»Atom —, welche so groß und schön sind, wie die Paläste am Wiener Ring und durch ihren eleganten Oelanstrich merkwürdig abstechen von dem trostlosen Anblick, den die Mehrzahl der übrigen Quartiere gewährt. Zu diesen Ausnahmen gehören vor allen Dingen auch die Landsitze der Reichen und Vornehmen, welche an Behaglichkeit und solidem Luxus ihres Gleichen nur in den italienischen Villen finden, und erst in neuerer Zeit im übrigen Europa sporadisch nachgeahmt werden. Der an die Bibliothek, das sentir- oder Empfangs - Zimmer stoßende Wintergarten, welcher auf dem Continent bis jetzt noch mit wenigen Ausnahmen ein Privilegium fürstlicher Familien zu sein scheint, ist in England Gemeingut jedes behäbigen Land¬ sitzes. Man begreift bei deren Anblick, warum die vornehmen Familien den größten Theil des Jahres in denselben zubringen, wie die englischen Staats¬ männer da die Muße finden ihre Gedanken zu sammeln, um dann vor ihren Wählern jene großen politischen Reden zu halten, mit denen sie den Gang der Politik in großen Zügen vorzuzeichnen Pflegen. Da begreift man erst, wie der Spruch so beliebt werden konnte: „mein Haus ist meine Burg". Dom preußischen Landtag. Wir haben die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses seit dem 16. Fe¬ bruar nachzuholen. An dem genannten Tage erfolgte die erste Berathung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/398>, abgerufen am 06.05.2024.