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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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geboren" und "Hochwohlgeboren". Diese Ausdrücke sind gradezu nichtssagend
und für einen den Fesseln einer abstrusen höfischen Etiquette prinzipiell abhol¬
den Reichsbürger -- und dazu zähle ich die meisten Elsässer -- höchst wider¬
lich. Dennoch begegnet man ihnen auf jedem dritten, vierten Couverte an
den kaiserlichen Reichsbeamten so und so. Auch dieser Punkt ist schon von
Mit scher in einer Anmerkung zu seiner vorher allegirten Broschüre gerügt
worden, welcher der Ansicht ist: "Wenn ein Elsaß-Lothringer frage, was
"Wohlgeboren" denn eigentlich bedeute, so sei es das Beste, ihm einfach die
Antwort schuldig zu bleiben."

Endlich -- auch das muß ich noch berühren, ohne damit irgend Jemandem
zu nahe treten zu wollen -- ist noch hervorzuheben die nicht immer den
Anforderungen der Höflichkeit und Bescheidenheit entsprechende Behandlung,
der hier und da Einheimische wie Fremde seitens der niedern Beamten in
Civil und Militair ausgesetzt sind, namentlich seitens des untern Bahnperso¬
nals. Wer einmal eine Reise durch die Reichslande gemacht hat, weiß davon
zu erzählen und wird das Gesagte bestätigen können. Auch hier ist die An¬
gabe vorr Details aus naheliegenden Gründen unthunlich und unfruchtbar,
trotzdem mir in diesem Augenblicke mehrere unangenehme Scenen nach dieser
Richtung gegenwärtig sind, denen ich als Augen- und Ohrenzeuge beiwohnen
mußte. --

Das sind einige von den Ursachen, welche die gänzliche "Versöhnung der
Gemüther mit den Thatsachen" zur Zeit noch nicht haben zur Reife gedeihen
lassen und die im Verein mit andern, hier nicht berührten es erklärlich machen,
weshalb die "moralische Eroberung" Elsaß-Lothringens nur sehr giÄäatiin
vor sich geht. Als gewissenhafter Correspondent, der es nicht versteht xn.r
vrai-o an muM zu schreiben, habe ich Ihnen und Ihren geneigten Lesern
dieselben mit Ruhe vortragen und mittheilen wollen, ohne etwas daran zu
bemänteln oder zu beschönigen, ohne aber auch damit dem Einzelnen irgendwie
Pe rsönlich einen Vorwurf machen zu wollen.




Dom preußischen Landtag.

Das Herrenhaus hat in mehreren Sitzungen der vergangenen Woche den
Entwurf einer neuen Vormundschaftsordnung durchberathen und außerdem
das Staatshaushaltsgesetz angenommen, nachdem letzteres vom Abgeordneten¬
haus in dritter Lesung am 15. März genehmigt worden.

Die Hauptaufgabe des Abgeordnetenhauses in der vergangenen Woche


geboren" und „Hochwohlgeboren". Diese Ausdrücke sind gradezu nichtssagend
und für einen den Fesseln einer abstrusen höfischen Etiquette prinzipiell abhol¬
den Reichsbürger — und dazu zähle ich die meisten Elsässer — höchst wider¬
lich. Dennoch begegnet man ihnen auf jedem dritten, vierten Couverte an
den kaiserlichen Reichsbeamten so und so. Auch dieser Punkt ist schon von
Mit scher in einer Anmerkung zu seiner vorher allegirten Broschüre gerügt
worden, welcher der Ansicht ist: „Wenn ein Elsaß-Lothringer frage, was
„Wohlgeboren" denn eigentlich bedeute, so sei es das Beste, ihm einfach die
Antwort schuldig zu bleiben."

Endlich — auch das muß ich noch berühren, ohne damit irgend Jemandem
zu nahe treten zu wollen — ist noch hervorzuheben die nicht immer den
Anforderungen der Höflichkeit und Bescheidenheit entsprechende Behandlung,
der hier und da Einheimische wie Fremde seitens der niedern Beamten in
Civil und Militair ausgesetzt sind, namentlich seitens des untern Bahnperso¬
nals. Wer einmal eine Reise durch die Reichslande gemacht hat, weiß davon
zu erzählen und wird das Gesagte bestätigen können. Auch hier ist die An¬
gabe vorr Details aus naheliegenden Gründen unthunlich und unfruchtbar,
trotzdem mir in diesem Augenblicke mehrere unangenehme Scenen nach dieser
Richtung gegenwärtig sind, denen ich als Augen- und Ohrenzeuge beiwohnen
mußte. —

Das sind einige von den Ursachen, welche die gänzliche „Versöhnung der
Gemüther mit den Thatsachen" zur Zeit noch nicht haben zur Reife gedeihen
lassen und die im Verein mit andern, hier nicht berührten es erklärlich machen,
weshalb die „moralische Eroberung" Elsaß-Lothringens nur sehr giÄäatiin
vor sich geht. Als gewissenhafter Correspondent, der es nicht versteht xn.r
vrai-o an muM zu schreiben, habe ich Ihnen und Ihren geneigten Lesern
dieselben mit Ruhe vortragen und mittheilen wollen, ohne etwas daran zu
bemänteln oder zu beschönigen, ohne aber auch damit dem Einzelnen irgendwie
Pe rsönlich einen Vorwurf machen zu wollen.




Dom preußischen Landtag.

Das Herrenhaus hat in mehreren Sitzungen der vergangenen Woche den
Entwurf einer neuen Vormundschaftsordnung durchberathen und außerdem
das Staatshaushaltsgesetz angenommen, nachdem letzteres vom Abgeordneten¬
haus in dritter Lesung am 15. März genehmigt worden.

Die Hauptaufgabe des Abgeordnetenhauses in der vergangenen Woche


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[0525] geboren" und „Hochwohlgeboren". Diese Ausdrücke sind gradezu nichtssagend und für einen den Fesseln einer abstrusen höfischen Etiquette prinzipiell abhol¬ den Reichsbürger — und dazu zähle ich die meisten Elsässer — höchst wider¬ lich. Dennoch begegnet man ihnen auf jedem dritten, vierten Couverte an den kaiserlichen Reichsbeamten so und so. Auch dieser Punkt ist schon von Mit scher in einer Anmerkung zu seiner vorher allegirten Broschüre gerügt worden, welcher der Ansicht ist: „Wenn ein Elsaß-Lothringer frage, was „Wohlgeboren" denn eigentlich bedeute, so sei es das Beste, ihm einfach die Antwort schuldig zu bleiben." Endlich — auch das muß ich noch berühren, ohne damit irgend Jemandem zu nahe treten zu wollen — ist noch hervorzuheben die nicht immer den Anforderungen der Höflichkeit und Bescheidenheit entsprechende Behandlung, der hier und da Einheimische wie Fremde seitens der niedern Beamten in Civil und Militair ausgesetzt sind, namentlich seitens des untern Bahnperso¬ nals. Wer einmal eine Reise durch die Reichslande gemacht hat, weiß davon zu erzählen und wird das Gesagte bestätigen können. Auch hier ist die An¬ gabe vorr Details aus naheliegenden Gründen unthunlich und unfruchtbar, trotzdem mir in diesem Augenblicke mehrere unangenehme Scenen nach dieser Richtung gegenwärtig sind, denen ich als Augen- und Ohrenzeuge beiwohnen mußte. — Das sind einige von den Ursachen, welche die gänzliche „Versöhnung der Gemüther mit den Thatsachen" zur Zeit noch nicht haben zur Reife gedeihen lassen und die im Verein mit andern, hier nicht berührten es erklärlich machen, weshalb die „moralische Eroberung" Elsaß-Lothringens nur sehr giÄäatiin vor sich geht. Als gewissenhafter Correspondent, der es nicht versteht xn.r vrai-o an muM zu schreiben, habe ich Ihnen und Ihren geneigten Lesern dieselben mit Ruhe vortragen und mittheilen wollen, ohne etwas daran zu bemänteln oder zu beschönigen, ohne aber auch damit dem Einzelnen irgendwie Pe rsönlich einen Vorwurf machen zu wollen. Dom preußischen Landtag. Das Herrenhaus hat in mehreren Sitzungen der vergangenen Woche den Entwurf einer neuen Vormundschaftsordnung durchberathen und außerdem das Staatshaushaltsgesetz angenommen, nachdem letzteres vom Abgeordneten¬ haus in dritter Lesung am 15. März genehmigt worden. Die Hauptaufgabe des Abgeordnetenhauses in der vergangenen Woche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/525>, abgerufen am 06.05.2024.