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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Daß der Artikel 30 nicht zu Gunsten der geistlichen Orden angerufen
werden kann, das leuchtet, abgesehen von der bisherigen Nichtanwendung sei¬
ner einschränkenden Bedingungen, auch aus dem Folgenden ein. Vereinigun¬
gen der Staatsbürger in Gesellschaften setzen voraus, daß der Staatsbürger
Staatsbürger bleibt, also eine freie, sich selbst bedingende, der vornehmsten
äußeren Pflicht des Staatsgehorsams zugängliche Persönlichkeit. Nimmermehr
hat der Artikel 30 die Duldung solcher Vereine aussprechen wollen, deren erste
Bedingung die Selbstaufgabe der Persönlichkeit an eine staatsfremde Gewalt
ist. Man kann sagen, daß die Mittel solcher Vereine durch das Strafgesetz
verpönt werden müßten.

Die Gründe, welche wir ausgeführt, um den gesetzlichen Ungrund der
bisherigen Duldung der Orden darzuthun, machen auch klar, warum es un¬
möglich ist, die Duldung der Orden etwa gesetzlich auszusprechen, und warum
es geboten ist, der bisherigen mißbräuchlichen Duldung ein Ende zu machen.
In die Einzelheiten der Verhandlung brauchen wir nicht einzugehen. Sehr
wunderlich geberdete sich dabei wieder der Abgeordnete Windthorst, indem er
sich immerfort stellte, als müßten die Orden zulässig sein, weil die Handlun¬
gen der Ordensmitglieder, nicht heirathen, u. s. w. nicht verboten werden
können. Dabei ging der Redner so weit, sich darauf zu berufen, daß die
Staatsgesetze die Aufrechterhaltung der Gelübde nicht erzwingen, daß folglich
der Staat auch keinen Grund habe, die Ablegung der Ordensgelübde zu hin¬
dern. Es ist dies eine Art von Sophistik, der man die äußerste Verlegen¬
heit, ansieht und die nur Kopfschütteln hervorrufen kann.

Am 8. Mai erfolgte die zweite Berathung des Ordensgesetzes, welche zur
unveränderten Annahme führte. In derselben Sitzung wurde auch der vom
Abgeordneten Petri eingebrachte Gesetzentwurf in der dritten Lesung genehmigt.


0--r.


Münchner Ariefe.

(Wahlvorbereitungen- und -Aussichten. -- Der Reichsrath.)

Am 16. April ist der bayrische Landtag durch den Oheim des Königs,
den Prinzen Luitpold, feierlich geschlossen worden und somit hat die denkwür¬
digste Landtagsperiode, die Bayern seit Existenz seiner Verfassung gesehen hat,
ihr Ende erreicht. Dies Ende war friedlicher, als man auf beiden Seiten
der Kammer gedacht hatte. Den Clerikalpatrioten schien die Lust vergangen
sein, noch zu guter Letzt Fehde anzufangen, nachdem sie bei derartigen


Daß der Artikel 30 nicht zu Gunsten der geistlichen Orden angerufen
werden kann, das leuchtet, abgesehen von der bisherigen Nichtanwendung sei¬
ner einschränkenden Bedingungen, auch aus dem Folgenden ein. Vereinigun¬
gen der Staatsbürger in Gesellschaften setzen voraus, daß der Staatsbürger
Staatsbürger bleibt, also eine freie, sich selbst bedingende, der vornehmsten
äußeren Pflicht des Staatsgehorsams zugängliche Persönlichkeit. Nimmermehr
hat der Artikel 30 die Duldung solcher Vereine aussprechen wollen, deren erste
Bedingung die Selbstaufgabe der Persönlichkeit an eine staatsfremde Gewalt
ist. Man kann sagen, daß die Mittel solcher Vereine durch das Strafgesetz
verpönt werden müßten.

Die Gründe, welche wir ausgeführt, um den gesetzlichen Ungrund der
bisherigen Duldung der Orden darzuthun, machen auch klar, warum es un¬
möglich ist, die Duldung der Orden etwa gesetzlich auszusprechen, und warum
es geboten ist, der bisherigen mißbräuchlichen Duldung ein Ende zu machen.
In die Einzelheiten der Verhandlung brauchen wir nicht einzugehen. Sehr
wunderlich geberdete sich dabei wieder der Abgeordnete Windthorst, indem er
sich immerfort stellte, als müßten die Orden zulässig sein, weil die Handlun¬
gen der Ordensmitglieder, nicht heirathen, u. s. w. nicht verboten werden
können. Dabei ging der Redner so weit, sich darauf zu berufen, daß die
Staatsgesetze die Aufrechterhaltung der Gelübde nicht erzwingen, daß folglich
der Staat auch keinen Grund habe, die Ablegung der Ordensgelübde zu hin¬
dern. Es ist dies eine Art von Sophistik, der man die äußerste Verlegen¬
heit, ansieht und die nur Kopfschütteln hervorrufen kann.

Am 8. Mai erfolgte die zweite Berathung des Ordensgesetzes, welche zur
unveränderten Annahme führte. In derselben Sitzung wurde auch der vom
Abgeordneten Petri eingebrachte Gesetzentwurf in der dritten Lesung genehmigt.


0—r.


Münchner Ariefe.

(Wahlvorbereitungen- und -Aussichten. — Der Reichsrath.)

Am 16. April ist der bayrische Landtag durch den Oheim des Königs,
den Prinzen Luitpold, feierlich geschlossen worden und somit hat die denkwür¬
digste Landtagsperiode, die Bayern seit Existenz seiner Verfassung gesehen hat,
ihr Ende erreicht. Dies Ende war friedlicher, als man auf beiden Seiten
der Kammer gedacht hatte. Den Clerikalpatrioten schien die Lust vergangen
sein, noch zu guter Letzt Fehde anzufangen, nachdem sie bei derartigen


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[0281] Daß der Artikel 30 nicht zu Gunsten der geistlichen Orden angerufen werden kann, das leuchtet, abgesehen von der bisherigen Nichtanwendung sei¬ ner einschränkenden Bedingungen, auch aus dem Folgenden ein. Vereinigun¬ gen der Staatsbürger in Gesellschaften setzen voraus, daß der Staatsbürger Staatsbürger bleibt, also eine freie, sich selbst bedingende, der vornehmsten äußeren Pflicht des Staatsgehorsams zugängliche Persönlichkeit. Nimmermehr hat der Artikel 30 die Duldung solcher Vereine aussprechen wollen, deren erste Bedingung die Selbstaufgabe der Persönlichkeit an eine staatsfremde Gewalt ist. Man kann sagen, daß die Mittel solcher Vereine durch das Strafgesetz verpönt werden müßten. Die Gründe, welche wir ausgeführt, um den gesetzlichen Ungrund der bisherigen Duldung der Orden darzuthun, machen auch klar, warum es un¬ möglich ist, die Duldung der Orden etwa gesetzlich auszusprechen, und warum es geboten ist, der bisherigen mißbräuchlichen Duldung ein Ende zu machen. In die Einzelheiten der Verhandlung brauchen wir nicht einzugehen. Sehr wunderlich geberdete sich dabei wieder der Abgeordnete Windthorst, indem er sich immerfort stellte, als müßten die Orden zulässig sein, weil die Handlun¬ gen der Ordensmitglieder, nicht heirathen, u. s. w. nicht verboten werden können. Dabei ging der Redner so weit, sich darauf zu berufen, daß die Staatsgesetze die Aufrechterhaltung der Gelübde nicht erzwingen, daß folglich der Staat auch keinen Grund habe, die Ablegung der Ordensgelübde zu hin¬ dern. Es ist dies eine Art von Sophistik, der man die äußerste Verlegen¬ heit, ansieht und die nur Kopfschütteln hervorrufen kann. Am 8. Mai erfolgte die zweite Berathung des Ordensgesetzes, welche zur unveränderten Annahme führte. In derselben Sitzung wurde auch der vom Abgeordneten Petri eingebrachte Gesetzentwurf in der dritten Lesung genehmigt. 0—r. Münchner Ariefe. (Wahlvorbereitungen- und -Aussichten. — Der Reichsrath.) Am 16. April ist der bayrische Landtag durch den Oheim des Königs, den Prinzen Luitpold, feierlich geschlossen worden und somit hat die denkwür¬ digste Landtagsperiode, die Bayern seit Existenz seiner Verfassung gesehen hat, ihr Ende erreicht. Dies Ende war friedlicher, als man auf beiden Seiten der Kammer gedacht hatte. Den Clerikalpatrioten schien die Lust vergangen sein, noch zu guter Letzt Fehde anzufangen, nachdem sie bei derartigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/281>, abgerufen am 06.05.2024.