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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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scharf ausgebildet, daß sie ihn abgehalten hätte, ihre physische Unerschrocken-
heit mit einer moralischen Eigenschaft zu vermengen. Selbst in seiner Wuth
konnte er nicht umhin, diese furchtlose Kranke zu bewundern.

"Warum solltest du das nicht thun?" wiederholte sie mit einem Lächeln.
"Du gabst mir Leben, Gesundheit und Geist, Jack. Du gabst mir deine
Liebe. Warum solltest du nicht wieder nehmen, was du gegeben hast? Fahre
fort. Ich bin bereit."

Sie hielt ihm mit jener selben unendlichen Anmuth der Hingebung die
Hände hin, mit welcher sie am ersten Tage ihres Zusammentreffens im Hotel
die seinigen ergriffen hatte. Jack erhob den Kopf, blickte sie einen einzigen
verwirrten Augenblick lang an, fiel neben ihr auf die Knie und drückte die
Falten ihres Kleides an seine fieberhaften Lippen. Aber sie war zu schlau,
um nicht augenblicklich ihren Sieg zu sehen, sie war zu sehr Weib, trotz all
ihrer Schlauheit, um sich enthalten zu können, diesen Sieg sofort zu verfolgen.
In demselben Moment, wo sie mit der Regung eines beleidigten und ver¬
wundeten Weibes sich erhob und mit einer gebieterischen Geberde nach der
Glasthür zeigte, erhob sich seinerseits auch Herr Oakhurst, warf noch einen
einzigen Blick auf sie und ging, ohne noch ein Wort zu sagen, um sie für
immer zu verlassen."

So das große Schlußtableau dieses mit einer Seelenkenntniß ohne Gleichen
ausgeführten Dramas dämonischer Liebe und dämonischer Heuchelei. Was
weiter folgt, ist unwesentlich, weil voraus zu sehen. Frau Decker verbrennt
die fatalen Briefe und feiert mit dem guthmüthiger Hahnrei, ihrem Gatten,
dann eine anmuthige kleine Ehestandsseene. Jack Oakhurst aber nimmt in seiner
alten Weise seinen Sitz am Pharaotische wieder ein.

(Schluß folgt.)




Münchner Arche.
(Der Reichsrath.)

Der Standort, von welchem man den Reichstag tagen sieht, ist kein beson>
ders günstiger, denn die Tribüne, welche den nicht mit einem Anspruch auf
die bayrische Peerswürde gebornen Publicum eingeräumt ist, faßt so wenig
Personen, daß der Photograph des hohen Hauses seinen Apparat schwer
aufstellen kann. So vermag er nur flüchtig die äußere Charakteristik des
Sitzungssaales anzugeben. Er trägt aristokratischeres Gepräge, als der unter
ihm liegende der Abgeordneten, wie sich's in einem Lande, wo man sich noch


scharf ausgebildet, daß sie ihn abgehalten hätte, ihre physische Unerschrocken-
heit mit einer moralischen Eigenschaft zu vermengen. Selbst in seiner Wuth
konnte er nicht umhin, diese furchtlose Kranke zu bewundern.

„Warum solltest du das nicht thun?" wiederholte sie mit einem Lächeln.
„Du gabst mir Leben, Gesundheit und Geist, Jack. Du gabst mir deine
Liebe. Warum solltest du nicht wieder nehmen, was du gegeben hast? Fahre
fort. Ich bin bereit."

Sie hielt ihm mit jener selben unendlichen Anmuth der Hingebung die
Hände hin, mit welcher sie am ersten Tage ihres Zusammentreffens im Hotel
die seinigen ergriffen hatte. Jack erhob den Kopf, blickte sie einen einzigen
verwirrten Augenblick lang an, fiel neben ihr auf die Knie und drückte die
Falten ihres Kleides an seine fieberhaften Lippen. Aber sie war zu schlau,
um nicht augenblicklich ihren Sieg zu sehen, sie war zu sehr Weib, trotz all
ihrer Schlauheit, um sich enthalten zu können, diesen Sieg sofort zu verfolgen.
In demselben Moment, wo sie mit der Regung eines beleidigten und ver¬
wundeten Weibes sich erhob und mit einer gebieterischen Geberde nach der
Glasthür zeigte, erhob sich seinerseits auch Herr Oakhurst, warf noch einen
einzigen Blick auf sie und ging, ohne noch ein Wort zu sagen, um sie für
immer zu verlassen."

So das große Schlußtableau dieses mit einer Seelenkenntniß ohne Gleichen
ausgeführten Dramas dämonischer Liebe und dämonischer Heuchelei. Was
weiter folgt, ist unwesentlich, weil voraus zu sehen. Frau Decker verbrennt
die fatalen Briefe und feiert mit dem guthmüthiger Hahnrei, ihrem Gatten,
dann eine anmuthige kleine Ehestandsseene. Jack Oakhurst aber nimmt in seiner
alten Weise seinen Sitz am Pharaotische wieder ein.

(Schluß folgt.)




Münchner Arche.
(Der Reichsrath.)

Der Standort, von welchem man den Reichstag tagen sieht, ist kein beson>
ders günstiger, denn die Tribüne, welche den nicht mit einem Anspruch auf
die bayrische Peerswürde gebornen Publicum eingeräumt ist, faßt so wenig
Personen, daß der Photograph des hohen Hauses seinen Apparat schwer
aufstellen kann. So vermag er nur flüchtig die äußere Charakteristik des
Sitzungssaales anzugeben. Er trägt aristokratischeres Gepräge, als der unter
ihm liegende der Abgeordneten, wie sich's in einem Lande, wo man sich noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/311>, abgerufen am 07.05.2024.