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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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dem Wiener Hofburgtheater. An dieses kehrt sie jetzt, nach kurzer Zurückge¬
zogenheit ins Privatleben, zurück. Ihre Stärke ist heute, wie ehedem, trotz
der dazwischen liegenden Jahre, die Jngenuite'. Sie debütirte diesmal mit
dem sehr zweifelhaften Frauencharakter der Heldin in Feuillee's "Sphinx, in
welcher Partie sie auf die Berliner gradezu befremdend wirkte. Erst mit jener
vielbewunderten Rolle der reizenden Unschuld in Sardon's "Alte Junggesellen"
gewann sie mit Einem Schlage wieder alle Herzen und seitdem hat sie fast
allabendlich einem dichtgedrängten Auditorium den schönsten Genuß geboten.


X X-


Nicht länger als eine Woche war unsere Ständekammer versammelt, als
ihre Vertagung bis zum 27. April erfolgte. Aber schon dieser kurze, haupt¬
sächlich durch Präsidenten- und Commissionswahlen ausgefüllte Zeitraum war
nicht ohne politisches Interesse. Vor allem fiel die Geschlossenheit auf, mit
welcher zum ersten Mal sämmtliche übrigen Fractionen des Hauses gegenüber
der ca. 14 Mann starken Volkspartei auftraten. Der Abgeordnete Oesterlen,
welcher jetzt mit dem clerikalen Obertribunalrath Streich sich in die Führung
dieser Partei theilt, hatte nun Gelegenheit, an die Hinfälligkeit der irdischen
Dinge recht lebhaft erinnert zu werden. Welcher Gegensatz zwischen heute
und den Dezembertagen des Jahres 1867, als man Arm in Arm mit den
machthabenden Ministern, Angesichts der soeben stattgehabten Besuche des
französischen und österreichischen Imperators mit siegessicherer Zuversicht das
damals auch nur ca. 14 Köpfe zählende Häuflein der nationalen Parteigänger
von oben herab behandeln zu dürfen glaubte, wie war man damals -- wir
erinnern nur an die Justizcommission -- mit dem hervorragendsten Führer
der deutschen Partei umgegangen! Und doch mit welchen ganz andern geisti¬
gen Kräften trat damals die deutsche Partei in die Arena! Kaum läßt sich
ein unglücklicheres Debüt denken, als dasjenige, mit welchem soeben die
Herren Oesterlen und Streich an der Spitze der neu constituirten Linken ihre
Thätigkeit begannen. Sie behaupteten nämlich, als bei der geheimen Präsi¬
dentenwahl etliche 14 leere Stimmzettel sich in der Wahlurne vorfanden, daß
diese Stimmzettel von ihnen und ihren Freunden herrühren und nahmen das
Recht in Anspruch, für diese anonymen Zettel eine nicht anonyme motivirte
Erklärung über angeblich nicht genügende Berücksichtigung der Minorität bei
den Commissionswahlen abgeben zu dürfen. Gewiß ein Unicum für jeden,
der sich den Begriff einer geheimen Abstimmung einigermaßen klar zu machen


dem Wiener Hofburgtheater. An dieses kehrt sie jetzt, nach kurzer Zurückge¬
zogenheit ins Privatleben, zurück. Ihre Stärke ist heute, wie ehedem, trotz
der dazwischen liegenden Jahre, die Jngenuite'. Sie debütirte diesmal mit
dem sehr zweifelhaften Frauencharakter der Heldin in Feuillee's „Sphinx, in
welcher Partie sie auf die Berliner gradezu befremdend wirkte. Erst mit jener
vielbewunderten Rolle der reizenden Unschuld in Sardon's „Alte Junggesellen"
gewann sie mit Einem Schlage wieder alle Herzen und seitdem hat sie fast
allabendlich einem dichtgedrängten Auditorium den schönsten Genuß geboten.


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Nicht länger als eine Woche war unsere Ständekammer versammelt, als
ihre Vertagung bis zum 27. April erfolgte. Aber schon dieser kurze, haupt¬
sächlich durch Präsidenten- und Commissionswahlen ausgefüllte Zeitraum war
nicht ohne politisches Interesse. Vor allem fiel die Geschlossenheit auf, mit
welcher zum ersten Mal sämmtliche übrigen Fractionen des Hauses gegenüber
der ca. 14 Mann starken Volkspartei auftraten. Der Abgeordnete Oesterlen,
welcher jetzt mit dem clerikalen Obertribunalrath Streich sich in die Führung
dieser Partei theilt, hatte nun Gelegenheit, an die Hinfälligkeit der irdischen
Dinge recht lebhaft erinnert zu werden. Welcher Gegensatz zwischen heute
und den Dezembertagen des Jahres 1867, als man Arm in Arm mit den
machthabenden Ministern, Angesichts der soeben stattgehabten Besuche des
französischen und österreichischen Imperators mit siegessicherer Zuversicht das
damals auch nur ca. 14 Köpfe zählende Häuflein der nationalen Parteigänger
von oben herab behandeln zu dürfen glaubte, wie war man damals — wir
erinnern nur an die Justizcommission — mit dem hervorragendsten Führer
der deutschen Partei umgegangen! Und doch mit welchen ganz andern geisti¬
gen Kräften trat damals die deutsche Partei in die Arena! Kaum läßt sich
ein unglücklicheres Debüt denken, als dasjenige, mit welchem soeben die
Herren Oesterlen und Streich an der Spitze der neu constituirten Linken ihre
Thätigkeit begannen. Sie behaupteten nämlich, als bei der geheimen Präsi¬
dentenwahl etliche 14 leere Stimmzettel sich in der Wahlurne vorfanden, daß
diese Stimmzettel von ihnen und ihren Freunden herrühren und nahmen das
Recht in Anspruch, für diese anonymen Zettel eine nicht anonyme motivirte
Erklärung über angeblich nicht genügende Berücksichtigung der Minorität bei
den Commissionswahlen abgeben zu dürfen. Gewiß ein Unicum für jeden,
der sich den Begriff einer geheimen Abstimmung einigermaßen klar zu machen


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[0038] dem Wiener Hofburgtheater. An dieses kehrt sie jetzt, nach kurzer Zurückge¬ zogenheit ins Privatleben, zurück. Ihre Stärke ist heute, wie ehedem, trotz der dazwischen liegenden Jahre, die Jngenuite'. Sie debütirte diesmal mit dem sehr zweifelhaften Frauencharakter der Heldin in Feuillee's „Sphinx, in welcher Partie sie auf die Berliner gradezu befremdend wirkte. Erst mit jener vielbewunderten Rolle der reizenden Unschuld in Sardon's „Alte Junggesellen" gewann sie mit Einem Schlage wieder alle Herzen und seitdem hat sie fast allabendlich einem dichtgedrängten Auditorium den schönsten Genuß geboten. X X- Nicht länger als eine Woche war unsere Ständekammer versammelt, als ihre Vertagung bis zum 27. April erfolgte. Aber schon dieser kurze, haupt¬ sächlich durch Präsidenten- und Commissionswahlen ausgefüllte Zeitraum war nicht ohne politisches Interesse. Vor allem fiel die Geschlossenheit auf, mit welcher zum ersten Mal sämmtliche übrigen Fractionen des Hauses gegenüber der ca. 14 Mann starken Volkspartei auftraten. Der Abgeordnete Oesterlen, welcher jetzt mit dem clerikalen Obertribunalrath Streich sich in die Führung dieser Partei theilt, hatte nun Gelegenheit, an die Hinfälligkeit der irdischen Dinge recht lebhaft erinnert zu werden. Welcher Gegensatz zwischen heute und den Dezembertagen des Jahres 1867, als man Arm in Arm mit den machthabenden Ministern, Angesichts der soeben stattgehabten Besuche des französischen und österreichischen Imperators mit siegessicherer Zuversicht das damals auch nur ca. 14 Köpfe zählende Häuflein der nationalen Parteigänger von oben herab behandeln zu dürfen glaubte, wie war man damals — wir erinnern nur an die Justizcommission — mit dem hervorragendsten Führer der deutschen Partei umgegangen! Und doch mit welchen ganz andern geisti¬ gen Kräften trat damals die deutsche Partei in die Arena! Kaum läßt sich ein unglücklicheres Debüt denken, als dasjenige, mit welchem soeben die Herren Oesterlen und Streich an der Spitze der neu constituirten Linken ihre Thätigkeit begannen. Sie behaupteten nämlich, als bei der geheimen Präsi¬ dentenwahl etliche 14 leere Stimmzettel sich in der Wahlurne vorfanden, daß diese Stimmzettel von ihnen und ihren Freunden herrühren und nahmen das Recht in Anspruch, für diese anonymen Zettel eine nicht anonyme motivirte Erklärung über angeblich nicht genügende Berücksichtigung der Minorität bei den Commissionswahlen abgeben zu dürfen. Gewiß ein Unicum für jeden, der sich den Begriff einer geheimen Abstimmung einigermaßen klar zu machen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/38>, abgerufen am 06.05.2024.