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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Aus dem Aeichsl'ante.

Manch' Einem erscheint die Ruhe, die tiefe politische und sociale Wind¬
stille, die bei uns herrscht, wie eine Art Zauberschlaf, eine melancholische, kraft-
und thatlose Lethargie, die gerade kein besonders gutes Zeichen physischer
und geistiger Gesundheit und des Wohlbefindens des Landes ist. Es giebt
Viele, denen die allgemeine Entwicklung der reichsländischen Verhältnisse viel
zu langsam vorwärts zu schreiten scheint. Sie wollen mehr Resultate sehen,
womöglich eine sofortige Lösung aller Fragen, die doch erst langsam heran¬
reifen muß. Man muß dabei eben berücksichtigen, daß jene Ruhe und das
langsame Vorwärtsschreiten der neuen Entwicklung der Dinge für Land und
Leute zu unumgänglicher Nothwendigkeit geworden sind, und daß die durch
den Krieg gewissermaßen im Handumdrehen geschlagenen Wunden einer langen
Zeit, vielleicht Jahrzehnte bedürfen, um allmählig zu heilen und zu verharr-
schen. Gerade diese ruhige und allmählig vorwärts schreitende Entwicklung
der politischen und allgemeinen Verhältnisse in Elsaß-Lothringen giebt uns
die sicherste Bürgschaft der allmähligen Versöhnung des Volksgeistes auf allen
Gebieten. Man mag es dabei immerhin beklagen, daß auch die geselligen
Beziehungen zwischen dem heimischen und eingewanderten Elemente noch immer
auf dem früheren Standpunkt sich befinden. Namentlich in den größern
Städten des Elsasses und vornehmlich in Lothringen steht man sich in dieser
Hinsicht noch immer so kühl und fremd gegenüber, wie in den ersten Monaten
"ach der Annexion. Und'wenn nicht alle Zeichen trügen, fo scheint dieses
Verhältniß noch auf eine Reihe von Jahren dasselbe bleiben zu sollen. Das
ist aber ein nothwendiges Uebel, das eben die gegenwärtige Generation ver¬
winden muß. Auch hier muß man der Zeit, der Allheilerin, das Uebrige
anheimstellen.

In Straßburg ist die diesjährige Theater-Saison ohne Sang und
^arg zu Grabe gegangen. Der ständige Berichterstatter des Elsässer Jour¬
nals in diesem Fache. Herr F. Schwob, hat ihr zu guter Letzt einen gar
Melancholischen Grabgesang gesungen. Er meint: damit im nächsten Jahre
in dieser Beziehung eine Wendung zum Bessern eintrete, d. h. daß das Haus
"icht in der Regel leer stehe und 'in Folge dessen die Primadonnen und ersten
Tenore nicht immer an Verschnupfung und Erkältung leiden, solle man doch
^ Zukunft abwechselnd eine deutsche und eine französische Truppe dort Vor¬
stellungen geben lassen, damit doch auch die geborenen Straßburger wieder
^nige theatralische Genüsse haben, und der alte Ruhm des Straßburger
Theaters wieder floriren könne. Indessen hat Herr Sachse aus Berlin in
dem Foyer des Stadttheaters einen Theil der Gemälde seines "Jnternatio-


Aus dem Aeichsl'ante.

Manch' Einem erscheint die Ruhe, die tiefe politische und sociale Wind¬
stille, die bei uns herrscht, wie eine Art Zauberschlaf, eine melancholische, kraft-
und thatlose Lethargie, die gerade kein besonders gutes Zeichen physischer
und geistiger Gesundheit und des Wohlbefindens des Landes ist. Es giebt
Viele, denen die allgemeine Entwicklung der reichsländischen Verhältnisse viel
zu langsam vorwärts zu schreiten scheint. Sie wollen mehr Resultate sehen,
womöglich eine sofortige Lösung aller Fragen, die doch erst langsam heran¬
reifen muß. Man muß dabei eben berücksichtigen, daß jene Ruhe und das
langsame Vorwärtsschreiten der neuen Entwicklung der Dinge für Land und
Leute zu unumgänglicher Nothwendigkeit geworden sind, und daß die durch
den Krieg gewissermaßen im Handumdrehen geschlagenen Wunden einer langen
Zeit, vielleicht Jahrzehnte bedürfen, um allmählig zu heilen und zu verharr-
schen. Gerade diese ruhige und allmählig vorwärts schreitende Entwicklung
der politischen und allgemeinen Verhältnisse in Elsaß-Lothringen giebt uns
die sicherste Bürgschaft der allmähligen Versöhnung des Volksgeistes auf allen
Gebieten. Man mag es dabei immerhin beklagen, daß auch die geselligen
Beziehungen zwischen dem heimischen und eingewanderten Elemente noch immer
auf dem früheren Standpunkt sich befinden. Namentlich in den größern
Städten des Elsasses und vornehmlich in Lothringen steht man sich in dieser
Hinsicht noch immer so kühl und fremd gegenüber, wie in den ersten Monaten
"ach der Annexion. Und'wenn nicht alle Zeichen trügen, fo scheint dieses
Verhältniß noch auf eine Reihe von Jahren dasselbe bleiben zu sollen. Das
ist aber ein nothwendiges Uebel, das eben die gegenwärtige Generation ver¬
winden muß. Auch hier muß man der Zeit, der Allheilerin, das Uebrige
anheimstellen.

In Straßburg ist die diesjährige Theater-Saison ohne Sang und
^arg zu Grabe gegangen. Der ständige Berichterstatter des Elsässer Jour¬
nals in diesem Fache. Herr F. Schwob, hat ihr zu guter Letzt einen gar
Melancholischen Grabgesang gesungen. Er meint: damit im nächsten Jahre
in dieser Beziehung eine Wendung zum Bessern eintrete, d. h. daß das Haus
"icht in der Regel leer stehe und 'in Folge dessen die Primadonnen und ersten
Tenore nicht immer an Verschnupfung und Erkältung leiden, solle man doch
^ Zukunft abwechselnd eine deutsche und eine französische Truppe dort Vor¬
stellungen geben lassen, damit doch auch die geborenen Straßburger wieder
^nige theatralische Genüsse haben, und der alte Ruhm des Straßburger
Theaters wieder floriren könne. Indessen hat Herr Sachse aus Berlin in
dem Foyer des Stadttheaters einen Theil der Gemälde seines „Jnternatio-


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[0391] Aus dem Aeichsl'ante. Manch' Einem erscheint die Ruhe, die tiefe politische und sociale Wind¬ stille, die bei uns herrscht, wie eine Art Zauberschlaf, eine melancholische, kraft- und thatlose Lethargie, die gerade kein besonders gutes Zeichen physischer und geistiger Gesundheit und des Wohlbefindens des Landes ist. Es giebt Viele, denen die allgemeine Entwicklung der reichsländischen Verhältnisse viel zu langsam vorwärts zu schreiten scheint. Sie wollen mehr Resultate sehen, womöglich eine sofortige Lösung aller Fragen, die doch erst langsam heran¬ reifen muß. Man muß dabei eben berücksichtigen, daß jene Ruhe und das langsame Vorwärtsschreiten der neuen Entwicklung der Dinge für Land und Leute zu unumgänglicher Nothwendigkeit geworden sind, und daß die durch den Krieg gewissermaßen im Handumdrehen geschlagenen Wunden einer langen Zeit, vielleicht Jahrzehnte bedürfen, um allmählig zu heilen und zu verharr- schen. Gerade diese ruhige und allmählig vorwärts schreitende Entwicklung der politischen und allgemeinen Verhältnisse in Elsaß-Lothringen giebt uns die sicherste Bürgschaft der allmähligen Versöhnung des Volksgeistes auf allen Gebieten. Man mag es dabei immerhin beklagen, daß auch die geselligen Beziehungen zwischen dem heimischen und eingewanderten Elemente noch immer auf dem früheren Standpunkt sich befinden. Namentlich in den größern Städten des Elsasses und vornehmlich in Lothringen steht man sich in dieser Hinsicht noch immer so kühl und fremd gegenüber, wie in den ersten Monaten "ach der Annexion. Und'wenn nicht alle Zeichen trügen, fo scheint dieses Verhältniß noch auf eine Reihe von Jahren dasselbe bleiben zu sollen. Das ist aber ein nothwendiges Uebel, das eben die gegenwärtige Generation ver¬ winden muß. Auch hier muß man der Zeit, der Allheilerin, das Uebrige anheimstellen. In Straßburg ist die diesjährige Theater-Saison ohne Sang und ^arg zu Grabe gegangen. Der ständige Berichterstatter des Elsässer Jour¬ nals in diesem Fache. Herr F. Schwob, hat ihr zu guter Letzt einen gar Melancholischen Grabgesang gesungen. Er meint: damit im nächsten Jahre in dieser Beziehung eine Wendung zum Bessern eintrete, d. h. daß das Haus "icht in der Regel leer stehe und 'in Folge dessen die Primadonnen und ersten Tenore nicht immer an Verschnupfung und Erkältung leiden, solle man doch ^ Zukunft abwechselnd eine deutsche und eine französische Truppe dort Vor¬ stellungen geben lassen, damit doch auch die geborenen Straßburger wieder ^nige theatralische Genüsse haben, und der alte Ruhm des Straßburger Theaters wieder floriren könne. Indessen hat Herr Sachse aus Berlin in dem Foyer des Stadttheaters einen Theil der Gemälde seines „Jnternatio-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/391>, abgerufen am 06.05.2024.