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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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befürchtender Interessen, theils von Vertheidigern des Staatsgedankens, die
man heutzutage Bureaukraten nennt.

Das Abgeordnetenhaus hat seit seinem Wiederzusammentritl am 28. Mai
O--r. sich nur mit kleineren technischen Borlagen beschäftigt.




Die deutsche Literaturgeschichte und die deutschen-Uni¬
versitäten.

Bis vor nicht langer Zeit entbehrte merkwürdigerweise die deutsche Lite¬
raturgeschichte, die moderne wenigstens einer regelmäßigen, selbstständigen Ver¬
tretung an den deutschen Universitäten; für die ältere, sogenannte germanistische
Literatur waren allmälig an den meisten Universitäten ordentliche Lehrstühle er¬
richtet worden; für die neuere gab es solche nur sporadisch an einzelnen.
Selbst Berlin hatte nur vorübergehend in Golzer einen besondern Vertreter
dieses Fachs. Deutschland stand darin bedeutend hinter andern Ländern,
namentlich Frankreich, zurück, wo keine höhere Bildungsanstalt ohne einen
Lehrstuhl für vaterländische Literaturgeschichte, ebenso für vaterländische poli¬
tische Geschichte, ist; ja es gab theilweise im Auslande Lehrstühle für deutsche
Literaturgeschichte, während sie ^daheim noch vermißt wurden.

Dem großen Jahre 1870--71 und dem dadurch erzeugten neuen Auf'
Schwunge unsres gesammten Nationallebens haben wir es zu danken, daß
neuerdings diesem fühlbaren Mangel endlich Abhülfe zu werden beginnt. Die
Universität für die neuen Reichslande, Straßburg, ward mit einer Professur für
neuere deutsche Literaturgeschichte ausgestattet; München und Leipzig folgten,
und auch für die erste Universität Deutschlands, Berlin, ist eine solche, wie
bestimmt verlautet, für die nächste Zeit in Aussicht genommen.

Ueber die Art der Besetzung solcher Professuren, mit andern Worten
über die Methoden, wie die moderne deutsche Literaturgeschichte auf Univerfi"
täten zu lehren sei, gehen die Ansichten in den Kreisen der Fachmänner und
auch in den maßgebenden Kreisen zum Theil noch auseinander. Die Einen
halten eine mehr philologisch-kritische und exegetische, die Andern eine mehr
kulturhistorische Behandlung des Stoffes für angezeigt. Daß eine ästhetische
künstlerische Würdigung des einzelnen Dtchtwerkes niemals fehlen dürfe, wird
von beiden Seiten als selbstverständlich angenommen.

Die erste dieser beiden Methoden, die philologische, hält sich mehr an den
einzelnen Schriftsteller und das einzelne Schriftwerk. Sie legt besonders
Gewicht auf Art und Zeit des Zustandekommens so wie der Veröffent'
lichung jeder einzelnen Dichtung, auf die Verschiedenheit der Ausgaben, übe"'


befürchtender Interessen, theils von Vertheidigern des Staatsgedankens, die
man heutzutage Bureaukraten nennt.

Das Abgeordnetenhaus hat seit seinem Wiederzusammentritl am 28. Mai
O—r. sich nur mit kleineren technischen Borlagen beschäftigt.




Die deutsche Literaturgeschichte und die deutschen-Uni¬
versitäten.

Bis vor nicht langer Zeit entbehrte merkwürdigerweise die deutsche Lite¬
raturgeschichte, die moderne wenigstens einer regelmäßigen, selbstständigen Ver¬
tretung an den deutschen Universitäten; für die ältere, sogenannte germanistische
Literatur waren allmälig an den meisten Universitäten ordentliche Lehrstühle er¬
richtet worden; für die neuere gab es solche nur sporadisch an einzelnen.
Selbst Berlin hatte nur vorübergehend in Golzer einen besondern Vertreter
dieses Fachs. Deutschland stand darin bedeutend hinter andern Ländern,
namentlich Frankreich, zurück, wo keine höhere Bildungsanstalt ohne einen
Lehrstuhl für vaterländische Literaturgeschichte, ebenso für vaterländische poli¬
tische Geschichte, ist; ja es gab theilweise im Auslande Lehrstühle für deutsche
Literaturgeschichte, während sie ^daheim noch vermißt wurden.

Dem großen Jahre 1870—71 und dem dadurch erzeugten neuen Auf'
Schwunge unsres gesammten Nationallebens haben wir es zu danken, daß
neuerdings diesem fühlbaren Mangel endlich Abhülfe zu werden beginnt. Die
Universität für die neuen Reichslande, Straßburg, ward mit einer Professur für
neuere deutsche Literaturgeschichte ausgestattet; München und Leipzig folgten,
und auch für die erste Universität Deutschlands, Berlin, ist eine solche, wie
bestimmt verlautet, für die nächste Zeit in Aussicht genommen.

Ueber die Art der Besetzung solcher Professuren, mit andern Worten
über die Methoden, wie die moderne deutsche Literaturgeschichte auf Univerfi"
täten zu lehren sei, gehen die Ansichten in den Kreisen der Fachmänner und
auch in den maßgebenden Kreisen zum Theil noch auseinander. Die Einen
halten eine mehr philologisch-kritische und exegetische, die Andern eine mehr
kulturhistorische Behandlung des Stoffes für angezeigt. Daß eine ästhetische
künstlerische Würdigung des einzelnen Dtchtwerkes niemals fehlen dürfe, wird
von beiden Seiten als selbstverständlich angenommen.

Die erste dieser beiden Methoden, die philologische, hält sich mehr an den
einzelnen Schriftsteller und das einzelne Schriftwerk. Sie legt besonders
Gewicht auf Art und Zeit des Zustandekommens so wie der Veröffent'
lichung jeder einzelnen Dichtung, auf die Verschiedenheit der Ausgaben, übe»'


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[0398] befürchtender Interessen, theils von Vertheidigern des Staatsgedankens, die man heutzutage Bureaukraten nennt. Das Abgeordnetenhaus hat seit seinem Wiederzusammentritl am 28. Mai O—r. sich nur mit kleineren technischen Borlagen beschäftigt. Die deutsche Literaturgeschichte und die deutschen-Uni¬ versitäten. Bis vor nicht langer Zeit entbehrte merkwürdigerweise die deutsche Lite¬ raturgeschichte, die moderne wenigstens einer regelmäßigen, selbstständigen Ver¬ tretung an den deutschen Universitäten; für die ältere, sogenannte germanistische Literatur waren allmälig an den meisten Universitäten ordentliche Lehrstühle er¬ richtet worden; für die neuere gab es solche nur sporadisch an einzelnen. Selbst Berlin hatte nur vorübergehend in Golzer einen besondern Vertreter dieses Fachs. Deutschland stand darin bedeutend hinter andern Ländern, namentlich Frankreich, zurück, wo keine höhere Bildungsanstalt ohne einen Lehrstuhl für vaterländische Literaturgeschichte, ebenso für vaterländische poli¬ tische Geschichte, ist; ja es gab theilweise im Auslande Lehrstühle für deutsche Literaturgeschichte, während sie ^daheim noch vermißt wurden. Dem großen Jahre 1870—71 und dem dadurch erzeugten neuen Auf' Schwunge unsres gesammten Nationallebens haben wir es zu danken, daß neuerdings diesem fühlbaren Mangel endlich Abhülfe zu werden beginnt. Die Universität für die neuen Reichslande, Straßburg, ward mit einer Professur für neuere deutsche Literaturgeschichte ausgestattet; München und Leipzig folgten, und auch für die erste Universität Deutschlands, Berlin, ist eine solche, wie bestimmt verlautet, für die nächste Zeit in Aussicht genommen. Ueber die Art der Besetzung solcher Professuren, mit andern Worten über die Methoden, wie die moderne deutsche Literaturgeschichte auf Univerfi" täten zu lehren sei, gehen die Ansichten in den Kreisen der Fachmänner und auch in den maßgebenden Kreisen zum Theil noch auseinander. Die Einen halten eine mehr philologisch-kritische und exegetische, die Andern eine mehr kulturhistorische Behandlung des Stoffes für angezeigt. Daß eine ästhetische künstlerische Würdigung des einzelnen Dtchtwerkes niemals fehlen dürfe, wird von beiden Seiten als selbstverständlich angenommen. Die erste dieser beiden Methoden, die philologische, hält sich mehr an den einzelnen Schriftsteller und das einzelne Schriftwerk. Sie legt besonders Gewicht auf Art und Zeit des Zustandekommens so wie der Veröffent' lichung jeder einzelnen Dichtung, auf die Verschiedenheit der Ausgaben, übe»'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/398>, abgerufen am 06.05.2024.