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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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ZUM Heoächtniß an Heorg von Mücke.

Am 17. Juni ist Georg von Vincke, 64 Jahr alt, im Bade Oeyn-
hausen infolge eines Schlaganfalls verschieden. Mit ihm ist einer der aller¬
ersten parlamentarischen Kämpfer Deutschlands heimgegangen. Er war der
ersten einer in zeitlichem Sinne. Denn seine klare Stimme wiederhallte vom
vereinigten Landtag durch ganz Deutschland zu einer Zeit, wo Männer, die
mit solcher Schärfe' und Beredsamkeit die an englischer Geschichte und Staats¬
verfassung geschulte constitutionelle Doctrin verkündeten, zu den seltensten ge¬
hörten. Er war aber der ersten parlamentarischen und politischen Kämpfer
einer auch im geistigen Sinne. Seine Reden tragen das echte Gepräge des
Genie's: sie veralten nie. Man lese die Reden Mücke's aus der Zeit des ver¬
einigten Landtags, da er gezwungen war, die Schärfe seines Geistes und
Witzes an dem Nachweis zu üben, daß das königliche Verfassungspatent vom
3. Februar 1847 ein romantischer Anachronismus sei; oder seine Reden aus
dem Frankfurter Parlament, wo er einer der rühmlichsten Führer der Kaiser¬
partei gewesen; oder seine Reden aus dem Erfurter Parlament, wo er die
Reichsverfassung gegen die Schwäche der preußischen Regierung und den
lauernden Abfall ihrer Bundesgenossen vertheidigte; dann seine mannhaften
Reden im preußischen Abgeordnetenhause seit 1849 inmitten der todten Reac¬
tion, wo er fast allein die constitutionelle verfassungsmäßige Freiheit, die natio¬
nale Idee begeistert vertrat; man lese dann aus der Zeit der Wiedergeburt
Deutschlands und den Tagen des Conflictes seine großen Reden über Kur¬
hessen, Schleswig-Holstein, die Anerkennung Italiens und seine letzte große
Rede bei der Generaldebatte über die norddeutsche Bundesverfassung im Früh¬
jahr 1867. Und man wird -- von einzelnen Irrthümern, wie seiner Rede
zu Gunsten des österreichischen Reichsverwesers am 17. Juni 1848 abgesehen,
-- erstaunt sein über die Unverwüstlichkeit dieser Gedanken in einer Zeit, in
der das Beste so rasch veraltet.

Georg von Vincke war in der Debatte der gefährlichste Gegner seiner Geg¬
ner. Er hatte die Lager fast aller Parteien, auch der angegriffenen, sicher auf
seiner Seite. Zudem waren ihm Wenige gewachsen an staatswisfenschaftlichem
Wissen und an Klarheit und Tiefe des politischen Gedankens und Ausdrucks.
Er war darum einer von Seiten der Linken und der Reaction bestgehaßten
Männer in Frankfurt a. M. und in den fünfziger Jahren. Ebenso lebhaft
grollte ihm der Fortschritt und mancher Nationale des linken Flügels am
Beginn der neuen Zeit, als Vincke zum letzten Mal parlamentarisch thätig
war. Im Jahre 1868 zwang ihn dauernde Kränklichkeit zur Niederlegung
seines Mandates. Er hoffte, wie Briefe aus jener Zeit bekunden, immer,
noch einmal in die parlamentarische Arena steigen zu können. Aber es sollte
nicht sein. Nun er todt ist, werden auch die mit dem Lebenden Unversöhnten,
mit dem trauernden Vaterlands bekennen: daß Deutschland einen seiner ver¬
dientesten, tapfersten und bedeutendsten Männer verloren hat!


B.


Verantwortlicher Redakteur: Ur. Haus Bl"M in Leipzig.
Verlag von F. L- Herbig in Leipzig. -- Druck von Hiithcl Herrmann in Leipzig.
ZUM Heoächtniß an Heorg von Mücke.

Am 17. Juni ist Georg von Vincke, 64 Jahr alt, im Bade Oeyn-
hausen infolge eines Schlaganfalls verschieden. Mit ihm ist einer der aller¬
ersten parlamentarischen Kämpfer Deutschlands heimgegangen. Er war der
ersten einer in zeitlichem Sinne. Denn seine klare Stimme wiederhallte vom
vereinigten Landtag durch ganz Deutschland zu einer Zeit, wo Männer, die
mit solcher Schärfe' und Beredsamkeit die an englischer Geschichte und Staats¬
verfassung geschulte constitutionelle Doctrin verkündeten, zu den seltensten ge¬
hörten. Er war aber der ersten parlamentarischen und politischen Kämpfer
einer auch im geistigen Sinne. Seine Reden tragen das echte Gepräge des
Genie's: sie veralten nie. Man lese die Reden Mücke's aus der Zeit des ver¬
einigten Landtags, da er gezwungen war, die Schärfe seines Geistes und
Witzes an dem Nachweis zu üben, daß das königliche Verfassungspatent vom
3. Februar 1847 ein romantischer Anachronismus sei; oder seine Reden aus
dem Frankfurter Parlament, wo er einer der rühmlichsten Führer der Kaiser¬
partei gewesen; oder seine Reden aus dem Erfurter Parlament, wo er die
Reichsverfassung gegen die Schwäche der preußischen Regierung und den
lauernden Abfall ihrer Bundesgenossen vertheidigte; dann seine mannhaften
Reden im preußischen Abgeordnetenhause seit 1849 inmitten der todten Reac¬
tion, wo er fast allein die constitutionelle verfassungsmäßige Freiheit, die natio¬
nale Idee begeistert vertrat; man lese dann aus der Zeit der Wiedergeburt
Deutschlands und den Tagen des Conflictes seine großen Reden über Kur¬
hessen, Schleswig-Holstein, die Anerkennung Italiens und seine letzte große
Rede bei der Generaldebatte über die norddeutsche Bundesverfassung im Früh¬
jahr 1867. Und man wird — von einzelnen Irrthümern, wie seiner Rede
zu Gunsten des österreichischen Reichsverwesers am 17. Juni 1848 abgesehen,
— erstaunt sein über die Unverwüstlichkeit dieser Gedanken in einer Zeit, in
der das Beste so rasch veraltet.

Georg von Vincke war in der Debatte der gefährlichste Gegner seiner Geg¬
ner. Er hatte die Lager fast aller Parteien, auch der angegriffenen, sicher auf
seiner Seite. Zudem waren ihm Wenige gewachsen an staatswisfenschaftlichem
Wissen und an Klarheit und Tiefe des politischen Gedankens und Ausdrucks.
Er war darum einer von Seiten der Linken und der Reaction bestgehaßten
Männer in Frankfurt a. M. und in den fünfziger Jahren. Ebenso lebhaft
grollte ihm der Fortschritt und mancher Nationale des linken Flügels am
Beginn der neuen Zeit, als Vincke zum letzten Mal parlamentarisch thätig
war. Im Jahre 1868 zwang ihn dauernde Kränklichkeit zur Niederlegung
seines Mandates. Er hoffte, wie Briefe aus jener Zeit bekunden, immer,
noch einmal in die parlamentarische Arena steigen zu können. Aber es sollte
nicht sein. Nun er todt ist, werden auch die mit dem Lebenden Unversöhnten,
mit dem trauernden Vaterlands bekennen: daß Deutschland einen seiner ver¬
dientesten, tapfersten und bedeutendsten Männer verloren hat!


B.


Verantwortlicher Redakteur: Ur. Haus Bl»M in Leipzig.
Verlag von F. L- Herbig in Leipzig. — Druck von Hiithcl Herrmann in Leipzig.
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[0444] ZUM Heoächtniß an Heorg von Mücke. Am 17. Juni ist Georg von Vincke, 64 Jahr alt, im Bade Oeyn- hausen infolge eines Schlaganfalls verschieden. Mit ihm ist einer der aller¬ ersten parlamentarischen Kämpfer Deutschlands heimgegangen. Er war der ersten einer in zeitlichem Sinne. Denn seine klare Stimme wiederhallte vom vereinigten Landtag durch ganz Deutschland zu einer Zeit, wo Männer, die mit solcher Schärfe' und Beredsamkeit die an englischer Geschichte und Staats¬ verfassung geschulte constitutionelle Doctrin verkündeten, zu den seltensten ge¬ hörten. Er war aber der ersten parlamentarischen und politischen Kämpfer einer auch im geistigen Sinne. Seine Reden tragen das echte Gepräge des Genie's: sie veralten nie. Man lese die Reden Mücke's aus der Zeit des ver¬ einigten Landtags, da er gezwungen war, die Schärfe seines Geistes und Witzes an dem Nachweis zu üben, daß das königliche Verfassungspatent vom 3. Februar 1847 ein romantischer Anachronismus sei; oder seine Reden aus dem Frankfurter Parlament, wo er einer der rühmlichsten Führer der Kaiser¬ partei gewesen; oder seine Reden aus dem Erfurter Parlament, wo er die Reichsverfassung gegen die Schwäche der preußischen Regierung und den lauernden Abfall ihrer Bundesgenossen vertheidigte; dann seine mannhaften Reden im preußischen Abgeordnetenhause seit 1849 inmitten der todten Reac¬ tion, wo er fast allein die constitutionelle verfassungsmäßige Freiheit, die natio¬ nale Idee begeistert vertrat; man lese dann aus der Zeit der Wiedergeburt Deutschlands und den Tagen des Conflictes seine großen Reden über Kur¬ hessen, Schleswig-Holstein, die Anerkennung Italiens und seine letzte große Rede bei der Generaldebatte über die norddeutsche Bundesverfassung im Früh¬ jahr 1867. Und man wird — von einzelnen Irrthümern, wie seiner Rede zu Gunsten des österreichischen Reichsverwesers am 17. Juni 1848 abgesehen, — erstaunt sein über die Unverwüstlichkeit dieser Gedanken in einer Zeit, in der das Beste so rasch veraltet. Georg von Vincke war in der Debatte der gefährlichste Gegner seiner Geg¬ ner. Er hatte die Lager fast aller Parteien, auch der angegriffenen, sicher auf seiner Seite. Zudem waren ihm Wenige gewachsen an staatswisfenschaftlichem Wissen und an Klarheit und Tiefe des politischen Gedankens und Ausdrucks. Er war darum einer von Seiten der Linken und der Reaction bestgehaßten Männer in Frankfurt a. M. und in den fünfziger Jahren. Ebenso lebhaft grollte ihm der Fortschritt und mancher Nationale des linken Flügels am Beginn der neuen Zeit, als Vincke zum letzten Mal parlamentarisch thätig war. Im Jahre 1868 zwang ihn dauernde Kränklichkeit zur Niederlegung seines Mandates. Er hoffte, wie Briefe aus jener Zeit bekunden, immer, noch einmal in die parlamentarische Arena steigen zu können. Aber es sollte nicht sein. Nun er todt ist, werden auch die mit dem Lebenden Unversöhnten, mit dem trauernden Vaterlands bekennen: daß Deutschland einen seiner ver¬ dientesten, tapfersten und bedeutendsten Männer verloren hat! B. Verantwortlicher Redakteur: Ur. Haus Bl»M in Leipzig. Verlag von F. L- Herbig in Leipzig. — Druck von Hiithcl Herrmann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/444>, abgerufen am 06.05.2024.