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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Gedanken und an gesundem Empfinden dürfen die Jungfrauen der Pfalz mit
ihren norddeutschen Altersgenossinnen den Wettkampf getrost aufnehmen.

Kurz, es ist ein auserlesenes Völkchen, diese Pfälzer. Und wer sie so¬
zusagen in'lines studiren will, dem rathe ich, nach Neustadt zu gehen.
Kaiserslautern hat seine große Industrie, Speyer ist Sitz der Regierung und
des Bischofs, Zweibrücken zehrt von seinem Appellationsgericht und seinen
residenzlichen Erinnerungen, aber das Herz der Pfalz schlägt in Neustadt.
Von seiner Bürgerschaft erzählen sich die Nachbarn freilich eine seltsame Ge¬
schichte. Eines Abends wurde bekannt gemacht, daß am nächsten Morgen
der Gescheiteste gehängt werden sollte; als der Tag anbrach, war es auf¬
fallend leer in der Stadt und die Ehefrauen rangen verzweifelt die Hände:
sie waren über Nacht sämmtlich Strohwittwen geworden. Der unbefangene
Kritiker erkennt indeß leicht, daß nur der bloße Neid diese Historie erfinden
konnte. Daß die Neustädter in der That gescheidte Leute sein müssen, beweist
schon der stolze "Saalbau", den der Fremde beim Austritt aus dem Bahn¬
hof verblüfft anstaunt; sie haben ihre gewaltige Gründung glücklich und
glänzend zu Ende geführt, während der "Metropole der Intelligenz" im Bä-
deker demnächst ein besonderes Kapitel über moderne Ruinen gewidmet werden
könnte. Freilich löst sich das Räthsel leicht genug. Die Neustädter "Gründer"
waren keine gewinnsüchtigen Beutelschneider, sondern solide Bürger, erfüllt
von thatkräftigen Gemeinsinn und fröhlichem Muth. "Wenn Frankfurt
seinen Saalbau hat, warum nicht auch Neustadt?" So dachten sie und
schufen einen Palast, um den die Reichshauptstadt sie beneiden kann. Ja¬
wohl, sie verstehen sich auf den großen Styl, diese Neustädter! Und auch
dem Geringfügigem, Alltäglichen wissen sie eine höhere, ja poetische Weihe zu
geben. Selbst durch die Hallen der Bierkneipen leuchtet ein Abglanz des
ewig Schönen, ja in einer derselben trifft der Wanderer eine Hebe, wie Rafael
selber schwerlich jemals ein schöneres Modell gekannt hat; drum hat ihr
auch ästhetische Andacht, anspielend auf die Stätte ihrer Geburt, den Namen
"Madonna von Oggershaine" gegeben. -- In summa. suum^rum: "Fröhlich
Palz, Gott erhalt's!"




Münchner Ariefe.

Die am 28. September begonnene und am 21. Oktober geschlossene Land¬
tagssession war eine kurze, aber eine der bedeutungsvollsten in der parlamen¬
tarischen Geschichte Bayerns. Der nun seit fast 6 Jahren auf und ab wo-


Gedanken und an gesundem Empfinden dürfen die Jungfrauen der Pfalz mit
ihren norddeutschen Altersgenossinnen den Wettkampf getrost aufnehmen.

Kurz, es ist ein auserlesenes Völkchen, diese Pfälzer. Und wer sie so¬
zusagen in'lines studiren will, dem rathe ich, nach Neustadt zu gehen.
Kaiserslautern hat seine große Industrie, Speyer ist Sitz der Regierung und
des Bischofs, Zweibrücken zehrt von seinem Appellationsgericht und seinen
residenzlichen Erinnerungen, aber das Herz der Pfalz schlägt in Neustadt.
Von seiner Bürgerschaft erzählen sich die Nachbarn freilich eine seltsame Ge¬
schichte. Eines Abends wurde bekannt gemacht, daß am nächsten Morgen
der Gescheiteste gehängt werden sollte; als der Tag anbrach, war es auf¬
fallend leer in der Stadt und die Ehefrauen rangen verzweifelt die Hände:
sie waren über Nacht sämmtlich Strohwittwen geworden. Der unbefangene
Kritiker erkennt indeß leicht, daß nur der bloße Neid diese Historie erfinden
konnte. Daß die Neustädter in der That gescheidte Leute sein müssen, beweist
schon der stolze „Saalbau", den der Fremde beim Austritt aus dem Bahn¬
hof verblüfft anstaunt; sie haben ihre gewaltige Gründung glücklich und
glänzend zu Ende geführt, während der „Metropole der Intelligenz" im Bä-
deker demnächst ein besonderes Kapitel über moderne Ruinen gewidmet werden
könnte. Freilich löst sich das Räthsel leicht genug. Die Neustädter »Gründer"
waren keine gewinnsüchtigen Beutelschneider, sondern solide Bürger, erfüllt
von thatkräftigen Gemeinsinn und fröhlichem Muth. „Wenn Frankfurt
seinen Saalbau hat, warum nicht auch Neustadt?" So dachten sie und
schufen einen Palast, um den die Reichshauptstadt sie beneiden kann. Ja¬
wohl, sie verstehen sich auf den großen Styl, diese Neustädter! Und auch
dem Geringfügigem, Alltäglichen wissen sie eine höhere, ja poetische Weihe zu
geben. Selbst durch die Hallen der Bierkneipen leuchtet ein Abglanz des
ewig Schönen, ja in einer derselben trifft der Wanderer eine Hebe, wie Rafael
selber schwerlich jemals ein schöneres Modell gekannt hat; drum hat ihr
auch ästhetische Andacht, anspielend auf die Stätte ihrer Geburt, den Namen
»Madonna von Oggershaine" gegeben. — In summa. suum^rum: „Fröhlich
Palz, Gott erhalt's!"




Münchner Ariefe.

Die am 28. September begonnene und am 21. Oktober geschlossene Land¬
tagssession war eine kurze, aber eine der bedeutungsvollsten in der parlamen¬
tarischen Geschichte Bayerns. Der nun seit fast 6 Jahren auf und ab wo-


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[0233] Gedanken und an gesundem Empfinden dürfen die Jungfrauen der Pfalz mit ihren norddeutschen Altersgenossinnen den Wettkampf getrost aufnehmen. Kurz, es ist ein auserlesenes Völkchen, diese Pfälzer. Und wer sie so¬ zusagen in'lines studiren will, dem rathe ich, nach Neustadt zu gehen. Kaiserslautern hat seine große Industrie, Speyer ist Sitz der Regierung und des Bischofs, Zweibrücken zehrt von seinem Appellationsgericht und seinen residenzlichen Erinnerungen, aber das Herz der Pfalz schlägt in Neustadt. Von seiner Bürgerschaft erzählen sich die Nachbarn freilich eine seltsame Ge¬ schichte. Eines Abends wurde bekannt gemacht, daß am nächsten Morgen der Gescheiteste gehängt werden sollte; als der Tag anbrach, war es auf¬ fallend leer in der Stadt und die Ehefrauen rangen verzweifelt die Hände: sie waren über Nacht sämmtlich Strohwittwen geworden. Der unbefangene Kritiker erkennt indeß leicht, daß nur der bloße Neid diese Historie erfinden konnte. Daß die Neustädter in der That gescheidte Leute sein müssen, beweist schon der stolze „Saalbau", den der Fremde beim Austritt aus dem Bahn¬ hof verblüfft anstaunt; sie haben ihre gewaltige Gründung glücklich und glänzend zu Ende geführt, während der „Metropole der Intelligenz" im Bä- deker demnächst ein besonderes Kapitel über moderne Ruinen gewidmet werden könnte. Freilich löst sich das Räthsel leicht genug. Die Neustädter »Gründer" waren keine gewinnsüchtigen Beutelschneider, sondern solide Bürger, erfüllt von thatkräftigen Gemeinsinn und fröhlichem Muth. „Wenn Frankfurt seinen Saalbau hat, warum nicht auch Neustadt?" So dachten sie und schufen einen Palast, um den die Reichshauptstadt sie beneiden kann. Ja¬ wohl, sie verstehen sich auf den großen Styl, diese Neustädter! Und auch dem Geringfügigem, Alltäglichen wissen sie eine höhere, ja poetische Weihe zu geben. Selbst durch die Hallen der Bierkneipen leuchtet ein Abglanz des ewig Schönen, ja in einer derselben trifft der Wanderer eine Hebe, wie Rafael selber schwerlich jemals ein schöneres Modell gekannt hat; drum hat ihr auch ästhetische Andacht, anspielend auf die Stätte ihrer Geburt, den Namen »Madonna von Oggershaine" gegeben. — In summa. suum^rum: „Fröhlich Palz, Gott erhalt's!" Münchner Ariefe. Die am 28. September begonnene und am 21. Oktober geschlossene Land¬ tagssession war eine kurze, aber eine der bedeutungsvollsten in der parlamen¬ tarischen Geschichte Bayerns. Der nun seit fast 6 Jahren auf und ab wo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/233>, abgerufen am 05.05.2024.