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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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steigend, Vilmar ins Coupefenster zurief: "es ist doch aber recht ekelig!"
Auf Station Langenberg bei Düsseldorf verließen die Flüchtigen auf dringende
Bitte des Polizeidirectors letzterer Stadt den Zug, um Insulten bereits ver¬
sammelter großer Massen in Köln zu entgehen. Nachts auf freiem Felde
wurde Berathung gehalten und dann mit Extrapost auf den Namen "Ge¬
brüder Müller" rheinaufwärts weiter nach Frankfurt gereist, wo dann Hassen-
pflug und der auf diese Art erst zu eigentlichem Leben wieder kommende
Bundestag für das Weitere in bekannter Weise sorgten! -- Die hiermit
endenden Notizen Vilmar's zeigen in einer bisher noch unbekannten Weise,
wie unglaublich unsicher die kurfürstliche Regierung bei ihrem frevelhaften
Beginnen zu Werke ging, wie Hassenpflug und Genossen in echt abenteuer¬
licher und leichtfertiger Weise den Kurfürsten ins Verderben zogen und wie
die ganze für die damalige Entwicklung der deutschen Frage wichtige Frage
öfters nur an einem Haare gehangen hat.





Herbst. -- Weinbaucongreß. -- Bezirkstage.

Mit dem Zeitpunkte der Tag- und Nachtgleiche ist auch bei uns kalen¬
dermäßig der Herbst eingezogen. Er macht allerdings einstweilen noch ein
etwas saures und trübes Gesicht, das gar nicht passen will zu dem hellen,
heitern Sonnenschein der letzten Tage und Wochen. Die Weinberge sind
ringsum geschlossen, die Trauben gehen ihrer Reife entgegen. Man sagt
zwar, diese Reise trete bei den einzelnen Weinstöcken an einigen Beeren etwas
unregelmäßig hervor und deshalb dürfe man auf die Qualität des Heu¬
tigen nicht zu hohe Hoffnungen setzen. Um so ergiebiger wird sich aber dieses
Icchr in der Quantität der Trauben zeigen und das ist -- leider Gottes
freilich! -- für den Elsässer immer noch die Hauptsache. Ob darum auch der
Wein so bjllig wird, wie in alten Tagen, das bleibt freilich bei den theuren
reichsländischen Zeiten sehr die Frage. So billig wie im Jahre des Heils
1739 wird er wohl nicht mehr werden. Damals schrieb Dominikus Schmutz,
Bürger von Colmar, in sein noch im städtischen Archive aufbewahrtes "Hand¬
buch"-. "Ist im ganzen Elsaß ein so großer Herbst gewesen, daß bei Mannes¬
gedenken kein so reicher gewesen ist; man hat ihn schier nicht aufheben können;
der Ohmen besten Wein galt 2 Franken !" Soviel kostet jetzt der Liter mittel¬
mäßigen Weines.


steigend, Vilmar ins Coupefenster zurief: „es ist doch aber recht ekelig!"
Auf Station Langenberg bei Düsseldorf verließen die Flüchtigen auf dringende
Bitte des Polizeidirectors letzterer Stadt den Zug, um Insulten bereits ver¬
sammelter großer Massen in Köln zu entgehen. Nachts auf freiem Felde
wurde Berathung gehalten und dann mit Extrapost auf den Namen „Ge¬
brüder Müller" rheinaufwärts weiter nach Frankfurt gereist, wo dann Hassen-
pflug und der auf diese Art erst zu eigentlichem Leben wieder kommende
Bundestag für das Weitere in bekannter Weise sorgten! — Die hiermit
endenden Notizen Vilmar's zeigen in einer bisher noch unbekannten Weise,
wie unglaublich unsicher die kurfürstliche Regierung bei ihrem frevelhaften
Beginnen zu Werke ging, wie Hassenpflug und Genossen in echt abenteuer¬
licher und leichtfertiger Weise den Kurfürsten ins Verderben zogen und wie
die ganze für die damalige Entwicklung der deutschen Frage wichtige Frage
öfters nur an einem Haare gehangen hat.





Herbst. — Weinbaucongreß. — Bezirkstage.

Mit dem Zeitpunkte der Tag- und Nachtgleiche ist auch bei uns kalen¬
dermäßig der Herbst eingezogen. Er macht allerdings einstweilen noch ein
etwas saures und trübes Gesicht, das gar nicht passen will zu dem hellen,
heitern Sonnenschein der letzten Tage und Wochen. Die Weinberge sind
ringsum geschlossen, die Trauben gehen ihrer Reife entgegen. Man sagt
zwar, diese Reise trete bei den einzelnen Weinstöcken an einigen Beeren etwas
unregelmäßig hervor und deshalb dürfe man auf die Qualität des Heu¬
tigen nicht zu hohe Hoffnungen setzen. Um so ergiebiger wird sich aber dieses
Icchr in der Quantität der Trauben zeigen und das ist — leider Gottes
freilich! — für den Elsässer immer noch die Hauptsache. Ob darum auch der
Wein so bjllig wird, wie in alten Tagen, das bleibt freilich bei den theuren
reichsländischen Zeiten sehr die Frage. So billig wie im Jahre des Heils
1739 wird er wohl nicht mehr werden. Damals schrieb Dominikus Schmutz,
Bürger von Colmar, in sein noch im städtischen Archive aufbewahrtes „Hand¬
buch"-. „Ist im ganzen Elsaß ein so großer Herbst gewesen, daß bei Mannes¬
gedenken kein so reicher gewesen ist; man hat ihn schier nicht aufheben können;
der Ohmen besten Wein galt 2 Franken !" Soviel kostet jetzt der Liter mittel¬
mäßigen Weines.


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[0039] steigend, Vilmar ins Coupefenster zurief: „es ist doch aber recht ekelig!" Auf Station Langenberg bei Düsseldorf verließen die Flüchtigen auf dringende Bitte des Polizeidirectors letzterer Stadt den Zug, um Insulten bereits ver¬ sammelter großer Massen in Köln zu entgehen. Nachts auf freiem Felde wurde Berathung gehalten und dann mit Extrapost auf den Namen „Ge¬ brüder Müller" rheinaufwärts weiter nach Frankfurt gereist, wo dann Hassen- pflug und der auf diese Art erst zu eigentlichem Leben wieder kommende Bundestag für das Weitere in bekannter Weise sorgten! — Die hiermit endenden Notizen Vilmar's zeigen in einer bisher noch unbekannten Weise, wie unglaublich unsicher die kurfürstliche Regierung bei ihrem frevelhaften Beginnen zu Werke ging, wie Hassenpflug und Genossen in echt abenteuer¬ licher und leichtfertiger Weise den Kurfürsten ins Verderben zogen und wie die ganze für die damalige Entwicklung der deutschen Frage wichtige Frage öfters nur an einem Haare gehangen hat. Herbst. — Weinbaucongreß. — Bezirkstage. Mit dem Zeitpunkte der Tag- und Nachtgleiche ist auch bei uns kalen¬ dermäßig der Herbst eingezogen. Er macht allerdings einstweilen noch ein etwas saures und trübes Gesicht, das gar nicht passen will zu dem hellen, heitern Sonnenschein der letzten Tage und Wochen. Die Weinberge sind ringsum geschlossen, die Trauben gehen ihrer Reife entgegen. Man sagt zwar, diese Reise trete bei den einzelnen Weinstöcken an einigen Beeren etwas unregelmäßig hervor und deshalb dürfe man auf die Qualität des Heu¬ tigen nicht zu hohe Hoffnungen setzen. Um so ergiebiger wird sich aber dieses Icchr in der Quantität der Trauben zeigen und das ist — leider Gottes freilich! — für den Elsässer immer noch die Hauptsache. Ob darum auch der Wein so bjllig wird, wie in alten Tagen, das bleibt freilich bei den theuren reichsländischen Zeiten sehr die Frage. So billig wie im Jahre des Heils 1739 wird er wohl nicht mehr werden. Damals schrieb Dominikus Schmutz, Bürger von Colmar, in sein noch im städtischen Archive aufbewahrtes „Hand¬ buch"-. „Ist im ganzen Elsaß ein so großer Herbst gewesen, daß bei Mannes¬ gedenken kein so reicher gewesen ist; man hat ihn schier nicht aufheben können; der Ohmen besten Wein galt 2 Franken !" Soviel kostet jetzt der Liter mittel¬ mäßigen Weines.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/39>, abgerufen am 05.05.2024.