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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Geist die Gemeinschaften auf, die nach der Unabhängigkeitserklärung zu den
Staaten Pensylvanien, Connecticut und Newjersey wurden. Fast überall in
Nordamerika, wo die Puritaner und die Quäker die Mehrheit bildeten,
herrschte mehr oder minder politische und religiöse Freiheit, während umge¬
kehrt überall in der Welt, wo der Katholicismus die Völker gefangen hielt,
die alte Freiheit und Selbstregierung mehr und mehr der Concentration unter
der absolutistischen Monarchie anheimfiel.




AMöse "Fresse im 16. Jahrhundert.
Von H. Schmölle.

Theilnahme des Volkes an den öffentlichen Ereignissen ist kein Produkt
erst der neueren Zeit. Sie wird zurückgedrängt und unterdrückt in Zeiten der
Reaktion, lebt aber immer wieder auf, sobald das politische Leben wieder kräf¬
tiger zu Pulsiren beginnt. In erregten Zeiten aber ist die öffentliche Mei¬
nung eine Macht, welche gebieterisch zum Ausdruck zu kommen verlangt. Und
sie fand ihren Ausdruck auch in dem so gewaltig bewegten 16. Jahrhundert,
aber nicht in der damals sich allmählich entwickelnden Zeitungsliteratur, deren
elende Erzeugnisse nur der bloßen Neugierde dienten: sie fand ihn in
dem politischen Volksliede und ihre äußere Erscheinung meist in der Form
des Flugblattes. Der Sitz des politischen Volksgesanges der damaligen Zeit ist
nicht in dem niedergeworfenen und zertretenen Bauernstande, auch nicht im
Adel, der nur dem Solde nachging, er ist in den Städten und in dem ge¬
bildeten Bürgerstande zu suchen. Hier entstanden jene zahlreichen Lieder, die
sich mit warmer Parteinahme an die Ereignisse des Tages anschlössen und
diese oft nicht ohne politischen Schwung behandelten; hier wurden sie auf
Flugblätter gedruckt und rasch und wirkungsvoll in alle Gaue des Reiches
verbreitet. Die politische Literatur der Städte in damaliger Zeit verdient als
unabhängige Presse im besten Sinne bezeichnet zu werden.

Welche Wichtigkeit dieser unabhängigen Presse auch von Seiten der Re¬
gierungen beigemessen wurde, geht daraus hervor, daß es die Fürsten oft nicht
verschmähten, zu ihr in eine Art Opposition zu treten und von ihren Höfen
offiziöse Kundgebungen in derselben volksthümlichen und beliebten Form aus¬
gehen zu lassen. Selbst der kaiserliche und königliche Hos verschmähte es
nicht, in verwickelten Zeitläuften, wie z. B. beim Herannahen des großen


Geist die Gemeinschaften auf, die nach der Unabhängigkeitserklärung zu den
Staaten Pensylvanien, Connecticut und Newjersey wurden. Fast überall in
Nordamerika, wo die Puritaner und die Quäker die Mehrheit bildeten,
herrschte mehr oder minder politische und religiöse Freiheit, während umge¬
kehrt überall in der Welt, wo der Katholicismus die Völker gefangen hielt,
die alte Freiheit und Selbstregierung mehr und mehr der Concentration unter
der absolutistischen Monarchie anheimfiel.




AMöse "Fresse im 16. Jahrhundert.
Von H. Schmölle.

Theilnahme des Volkes an den öffentlichen Ereignissen ist kein Produkt
erst der neueren Zeit. Sie wird zurückgedrängt und unterdrückt in Zeiten der
Reaktion, lebt aber immer wieder auf, sobald das politische Leben wieder kräf¬
tiger zu Pulsiren beginnt. In erregten Zeiten aber ist die öffentliche Mei¬
nung eine Macht, welche gebieterisch zum Ausdruck zu kommen verlangt. Und
sie fand ihren Ausdruck auch in dem so gewaltig bewegten 16. Jahrhundert,
aber nicht in der damals sich allmählich entwickelnden Zeitungsliteratur, deren
elende Erzeugnisse nur der bloßen Neugierde dienten: sie fand ihn in
dem politischen Volksliede und ihre äußere Erscheinung meist in der Form
des Flugblattes. Der Sitz des politischen Volksgesanges der damaligen Zeit ist
nicht in dem niedergeworfenen und zertretenen Bauernstande, auch nicht im
Adel, der nur dem Solde nachging, er ist in den Städten und in dem ge¬
bildeten Bürgerstande zu suchen. Hier entstanden jene zahlreichen Lieder, die
sich mit warmer Parteinahme an die Ereignisse des Tages anschlössen und
diese oft nicht ohne politischen Schwung behandelten; hier wurden sie auf
Flugblätter gedruckt und rasch und wirkungsvoll in alle Gaue des Reiches
verbreitet. Die politische Literatur der Städte in damaliger Zeit verdient als
unabhängige Presse im besten Sinne bezeichnet zu werden.

Welche Wichtigkeit dieser unabhängigen Presse auch von Seiten der Re¬
gierungen beigemessen wurde, geht daraus hervor, daß es die Fürsten oft nicht
verschmähten, zu ihr in eine Art Opposition zu treten und von ihren Höfen
offiziöse Kundgebungen in derselben volksthümlichen und beliebten Form aus¬
gehen zu lassen. Selbst der kaiserliche und königliche Hos verschmähte es
nicht, in verwickelten Zeitläuften, wie z. B. beim Herannahen des großen


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[0060] Geist die Gemeinschaften auf, die nach der Unabhängigkeitserklärung zu den Staaten Pensylvanien, Connecticut und Newjersey wurden. Fast überall in Nordamerika, wo die Puritaner und die Quäker die Mehrheit bildeten, herrschte mehr oder minder politische und religiöse Freiheit, während umge¬ kehrt überall in der Welt, wo der Katholicismus die Völker gefangen hielt, die alte Freiheit und Selbstregierung mehr und mehr der Concentration unter der absolutistischen Monarchie anheimfiel. AMöse "Fresse im 16. Jahrhundert. Von H. Schmölle. Theilnahme des Volkes an den öffentlichen Ereignissen ist kein Produkt erst der neueren Zeit. Sie wird zurückgedrängt und unterdrückt in Zeiten der Reaktion, lebt aber immer wieder auf, sobald das politische Leben wieder kräf¬ tiger zu Pulsiren beginnt. In erregten Zeiten aber ist die öffentliche Mei¬ nung eine Macht, welche gebieterisch zum Ausdruck zu kommen verlangt. Und sie fand ihren Ausdruck auch in dem so gewaltig bewegten 16. Jahrhundert, aber nicht in der damals sich allmählich entwickelnden Zeitungsliteratur, deren elende Erzeugnisse nur der bloßen Neugierde dienten: sie fand ihn in dem politischen Volksliede und ihre äußere Erscheinung meist in der Form des Flugblattes. Der Sitz des politischen Volksgesanges der damaligen Zeit ist nicht in dem niedergeworfenen und zertretenen Bauernstande, auch nicht im Adel, der nur dem Solde nachging, er ist in den Städten und in dem ge¬ bildeten Bürgerstande zu suchen. Hier entstanden jene zahlreichen Lieder, die sich mit warmer Parteinahme an die Ereignisse des Tages anschlössen und diese oft nicht ohne politischen Schwung behandelten; hier wurden sie auf Flugblätter gedruckt und rasch und wirkungsvoll in alle Gaue des Reiches verbreitet. Die politische Literatur der Städte in damaliger Zeit verdient als unabhängige Presse im besten Sinne bezeichnet zu werden. Welche Wichtigkeit dieser unabhängigen Presse auch von Seiten der Re¬ gierungen beigemessen wurde, geht daraus hervor, daß es die Fürsten oft nicht verschmähten, zu ihr in eine Art Opposition zu treten und von ihren Höfen offiziöse Kundgebungen in derselben volksthümlichen und beliebten Form aus¬ gehen zu lassen. Selbst der kaiserliche und königliche Hos verschmähte es nicht, in verwickelten Zeitläuften, wie z. B. beim Herannahen des großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/60>, abgerufen am 05.05.2024.