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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Kharccklere von Aednern und Stnatsmünnern zu
Aenwstljenes' Zeit.
Bon Professor Dr. F. Blaß.

Jene Zeit der athenischen Geschichte, welche wir nach ihrer bedeutendsten
und vielfach beherrschenden Persönlichkeit die demosthenische nennen, ist
nicht nur eine politisch sehr bewegte, indem in ihren Kämpfen die Freiheit
und Macht des athenischen Staates auf dem Spiele stand und durch den un¬
glücklichen Ausgang jener Kämpfe in der That verloren ging, sondern auch
die uns am genauesten bekannte, wenn nicht hinsichtlich des äußeren Verlaufes
der Kriege und Schlachten, so doch hinsichtlich der inneren Bewegungen, welche
diesen vorausgingen und sie begleiteten. In den zahlreichen und zum Theil
umfänglichen Dokumenten, die sowohl aus den bedeutsamsten Staatsprozessen,
wie auch aus den Volksversammlungen jener Zeit erhalten sind, wird uns
auch von Einzelnheiten und von kleinen Zügen eine große Fülle geboten, so
daß wir die leitenden Personen nicht nur nach der allgemeinen Richtung
ihres Strebens, sondern auch hinsichtlich der besondern Beweggründe ihrer
einzelnen Handlungen und in ihrem individuellen Charakter kennen lernen.
Es soll nun im Folgenden versucht werden, von den verschiedenen Rednern
und Staatsmännern, mit Ausschluß des größten und bekanntesten, des De-
mosthenes, wenigstens in den Hauptumrissen ein Bild zu geben, indem wir
sie nach ihrer Parteirichtung in zwei Gruppen scheiden, die der patriotischen
und die der makedonisch gesinnten Sprecher. Es versteht sich, daß dies nicht
zwei gleichberechtigte Parteien sind, sondern daß aus der einen Seite alles,
was noch Gefühl für die Ehre Athens und unabhängigen Sinn hegte, sich
um Demosthenes schaarte, auf der andern aber die feilen Seelen und die
Schmeichler der Mächtigen sich zusammenfanden, um den Erfolg des fremden
Zwingherrn zu fördern und nachher um jeden patriotischen Aufschwung zu
hemmen. Wohl konnte jemand auch aus Princip das Aufkommen der make¬
donischer Macht begünstigen, gleichwie Jsokrates, der im Interesse aller Helle¬
nen und besonders der asiatischen, die immer noch unter den Persern standen,
nichts sehnlicher wünschte als das Erstehen eines Schiedsrichters der Hellenen


Grenzboten III. 1875. 1
Kharccklere von Aednern und Stnatsmünnern zu
Aenwstljenes' Zeit.
Bon Professor Dr. F. Blaß.

Jene Zeit der athenischen Geschichte, welche wir nach ihrer bedeutendsten
und vielfach beherrschenden Persönlichkeit die demosthenische nennen, ist
nicht nur eine politisch sehr bewegte, indem in ihren Kämpfen die Freiheit
und Macht des athenischen Staates auf dem Spiele stand und durch den un¬
glücklichen Ausgang jener Kämpfe in der That verloren ging, sondern auch
die uns am genauesten bekannte, wenn nicht hinsichtlich des äußeren Verlaufes
der Kriege und Schlachten, so doch hinsichtlich der inneren Bewegungen, welche
diesen vorausgingen und sie begleiteten. In den zahlreichen und zum Theil
umfänglichen Dokumenten, die sowohl aus den bedeutsamsten Staatsprozessen,
wie auch aus den Volksversammlungen jener Zeit erhalten sind, wird uns
auch von Einzelnheiten und von kleinen Zügen eine große Fülle geboten, so
daß wir die leitenden Personen nicht nur nach der allgemeinen Richtung
ihres Strebens, sondern auch hinsichtlich der besondern Beweggründe ihrer
einzelnen Handlungen und in ihrem individuellen Charakter kennen lernen.
Es soll nun im Folgenden versucht werden, von den verschiedenen Rednern
und Staatsmännern, mit Ausschluß des größten und bekanntesten, des De-
mosthenes, wenigstens in den Hauptumrissen ein Bild zu geben, indem wir
sie nach ihrer Parteirichtung in zwei Gruppen scheiden, die der patriotischen
und die der makedonisch gesinnten Sprecher. Es versteht sich, daß dies nicht
zwei gleichberechtigte Parteien sind, sondern daß aus der einen Seite alles,
was noch Gefühl für die Ehre Athens und unabhängigen Sinn hegte, sich
um Demosthenes schaarte, auf der andern aber die feilen Seelen und die
Schmeichler der Mächtigen sich zusammenfanden, um den Erfolg des fremden
Zwingherrn zu fördern und nachher um jeden patriotischen Aufschwung zu
hemmen. Wohl konnte jemand auch aus Princip das Aufkommen der make¬
donischer Macht begünstigen, gleichwie Jsokrates, der im Interesse aller Helle¬
nen und besonders der asiatischen, die immer noch unter den Persern standen,
nichts sehnlicher wünschte als das Erstehen eines Schiedsrichters der Hellenen


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[0009] Kharccklere von Aednern und Stnatsmünnern zu Aenwstljenes' Zeit. Bon Professor Dr. F. Blaß. Jene Zeit der athenischen Geschichte, welche wir nach ihrer bedeutendsten und vielfach beherrschenden Persönlichkeit die demosthenische nennen, ist nicht nur eine politisch sehr bewegte, indem in ihren Kämpfen die Freiheit und Macht des athenischen Staates auf dem Spiele stand und durch den un¬ glücklichen Ausgang jener Kämpfe in der That verloren ging, sondern auch die uns am genauesten bekannte, wenn nicht hinsichtlich des äußeren Verlaufes der Kriege und Schlachten, so doch hinsichtlich der inneren Bewegungen, welche diesen vorausgingen und sie begleiteten. In den zahlreichen und zum Theil umfänglichen Dokumenten, die sowohl aus den bedeutsamsten Staatsprozessen, wie auch aus den Volksversammlungen jener Zeit erhalten sind, wird uns auch von Einzelnheiten und von kleinen Zügen eine große Fülle geboten, so daß wir die leitenden Personen nicht nur nach der allgemeinen Richtung ihres Strebens, sondern auch hinsichtlich der besondern Beweggründe ihrer einzelnen Handlungen und in ihrem individuellen Charakter kennen lernen. Es soll nun im Folgenden versucht werden, von den verschiedenen Rednern und Staatsmännern, mit Ausschluß des größten und bekanntesten, des De- mosthenes, wenigstens in den Hauptumrissen ein Bild zu geben, indem wir sie nach ihrer Parteirichtung in zwei Gruppen scheiden, die der patriotischen und die der makedonisch gesinnten Sprecher. Es versteht sich, daß dies nicht zwei gleichberechtigte Parteien sind, sondern daß aus der einen Seite alles, was noch Gefühl für die Ehre Athens und unabhängigen Sinn hegte, sich um Demosthenes schaarte, auf der andern aber die feilen Seelen und die Schmeichler der Mächtigen sich zusammenfanden, um den Erfolg des fremden Zwingherrn zu fördern und nachher um jeden patriotischen Aufschwung zu hemmen. Wohl konnte jemand auch aus Princip das Aufkommen der make¬ donischer Macht begünstigen, gleichwie Jsokrates, der im Interesse aller Helle¬ nen und besonders der asiatischen, die immer noch unter den Persern standen, nichts sehnlicher wünschte als das Erstehen eines Schiedsrichters der Hellenen Grenzboten III. 1875. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/9>, abgerufen am 05.05.2024.