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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Der Jaik Thomas, die öffentliche Sicherheit und das
Straftecht.

Noch immer beschäftigt die entsetzliche Bremerhavener Frevelthat die Ge¬
müther. Während die Polizei in verdienstlicher Weise bemüht ist, etwaige
Mitschuldige des Thäters zu entdecken, wird von anderer Seite eifrig die
Frage erörtert, wie sich unser Strafgesetz einer solchen bis jetzt unerhörten
That gegenüber verhalte, und nicht Wenige sind wohl der Meinung, daß
unser Strafgesetz hier ungenügend sich erwiesen habe, in der einen oder ande¬
ren Weise, sei es durch ein Specialgesetz, sei es durch eine Revision anderer
Vorschriften vervollständigt, verschärft werden müsse. Die letztere Meinung
hat auch im Reichsanzeiger Ausdruck gefunden. Man wird daher zu der
Vermuthung berechtigt sein, daß man in den leitenden Kreisen unsrer Legts-
lation dem Gedanken einer derartigen Vervollständigung oder Revision unsres
Strafrechts wenigstens nicht vollkommen fremd gegenüberstehe, und bei Vielen,
namentlich solchen, denen die Jurisprudenz nicht Lebensberuf ist, ist diese
Frage der künftigen und zwar baldigen Abänderung oder Vervollständigung
des Strafgesetzes die Hauptfrage. Da Thomas durch Selbstmord der mensch¬
lichen Gerechtigkeit sich entzogen hat, und da es ungewiß ist, ob Mitschuldige
entdeckt, noch ungewisser aber ob sie, wenn entdeckt, gerade von einem deutschen
Gerichte abgeurtheilt werden mögen, so ist es wesentlich die künftige Siche¬
rung vor solchen oder ähnlichen Verbrechen, welche den Laien von Interesse
erscheint, und diese Sicherheit glaubt man am besten zu erlangen durch eine
Specialvorschrift, welche dem Schuldigen in einer aller juristischen Controverse
entrückten, unbestreitbaren Weise die strengste Strafe androht.

Gleichwohl ist es es nicht Pedanterie, wenn man die erste Frage zunächst
etwas gründlicher untersucht. Auch für die Rechtswissenschaft gilt, wie für die
übrigen Wissenschaften das Gesetz der Sparsamkeit der Begriffe. Ebenso
Wie es für die Chemie ein unhaltbares Verfahren wäre, einen Körper, der
in irgend einer Weise von den bisher bekannten sich unterscheidet, ohne


Grenzboten I, 1876. 21
Der Jaik Thomas, die öffentliche Sicherheit und das
Straftecht.

Noch immer beschäftigt die entsetzliche Bremerhavener Frevelthat die Ge¬
müther. Während die Polizei in verdienstlicher Weise bemüht ist, etwaige
Mitschuldige des Thäters zu entdecken, wird von anderer Seite eifrig die
Frage erörtert, wie sich unser Strafgesetz einer solchen bis jetzt unerhörten
That gegenüber verhalte, und nicht Wenige sind wohl der Meinung, daß
unser Strafgesetz hier ungenügend sich erwiesen habe, in der einen oder ande¬
ren Weise, sei es durch ein Specialgesetz, sei es durch eine Revision anderer
Vorschriften vervollständigt, verschärft werden müsse. Die letztere Meinung
hat auch im Reichsanzeiger Ausdruck gefunden. Man wird daher zu der
Vermuthung berechtigt sein, daß man in den leitenden Kreisen unsrer Legts-
lation dem Gedanken einer derartigen Vervollständigung oder Revision unsres
Strafrechts wenigstens nicht vollkommen fremd gegenüberstehe, und bei Vielen,
namentlich solchen, denen die Jurisprudenz nicht Lebensberuf ist, ist diese
Frage der künftigen und zwar baldigen Abänderung oder Vervollständigung
des Strafgesetzes die Hauptfrage. Da Thomas durch Selbstmord der mensch¬
lichen Gerechtigkeit sich entzogen hat, und da es ungewiß ist, ob Mitschuldige
entdeckt, noch ungewisser aber ob sie, wenn entdeckt, gerade von einem deutschen
Gerichte abgeurtheilt werden mögen, so ist es wesentlich die künftige Siche¬
rung vor solchen oder ähnlichen Verbrechen, welche den Laien von Interesse
erscheint, und diese Sicherheit glaubt man am besten zu erlangen durch eine
Specialvorschrift, welche dem Schuldigen in einer aller juristischen Controverse
entrückten, unbestreitbaren Weise die strengste Strafe androht.

Gleichwohl ist es es nicht Pedanterie, wenn man die erste Frage zunächst
etwas gründlicher untersucht. Auch für die Rechtswissenschaft gilt, wie für die
übrigen Wissenschaften das Gesetz der Sparsamkeit der Begriffe. Ebenso
Wie es für die Chemie ein unhaltbares Verfahren wäre, einen Körper, der
in irgend einer Weise von den bisher bekannten sich unterscheidet, ohne


Grenzboten I, 1876. 21
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[0169] Der Jaik Thomas, die öffentliche Sicherheit und das Straftecht. Noch immer beschäftigt die entsetzliche Bremerhavener Frevelthat die Ge¬ müther. Während die Polizei in verdienstlicher Weise bemüht ist, etwaige Mitschuldige des Thäters zu entdecken, wird von anderer Seite eifrig die Frage erörtert, wie sich unser Strafgesetz einer solchen bis jetzt unerhörten That gegenüber verhalte, und nicht Wenige sind wohl der Meinung, daß unser Strafgesetz hier ungenügend sich erwiesen habe, in der einen oder ande¬ ren Weise, sei es durch ein Specialgesetz, sei es durch eine Revision anderer Vorschriften vervollständigt, verschärft werden müsse. Die letztere Meinung hat auch im Reichsanzeiger Ausdruck gefunden. Man wird daher zu der Vermuthung berechtigt sein, daß man in den leitenden Kreisen unsrer Legts- lation dem Gedanken einer derartigen Vervollständigung oder Revision unsres Strafrechts wenigstens nicht vollkommen fremd gegenüberstehe, und bei Vielen, namentlich solchen, denen die Jurisprudenz nicht Lebensberuf ist, ist diese Frage der künftigen und zwar baldigen Abänderung oder Vervollständigung des Strafgesetzes die Hauptfrage. Da Thomas durch Selbstmord der mensch¬ lichen Gerechtigkeit sich entzogen hat, und da es ungewiß ist, ob Mitschuldige entdeckt, noch ungewisser aber ob sie, wenn entdeckt, gerade von einem deutschen Gerichte abgeurtheilt werden mögen, so ist es wesentlich die künftige Siche¬ rung vor solchen oder ähnlichen Verbrechen, welche den Laien von Interesse erscheint, und diese Sicherheit glaubt man am besten zu erlangen durch eine Specialvorschrift, welche dem Schuldigen in einer aller juristischen Controverse entrückten, unbestreitbaren Weise die strengste Strafe androht. Gleichwohl ist es es nicht Pedanterie, wenn man die erste Frage zunächst etwas gründlicher untersucht. Auch für die Rechtswissenschaft gilt, wie für die übrigen Wissenschaften das Gesetz der Sparsamkeit der Begriffe. Ebenso Wie es für die Chemie ein unhaltbares Verfahren wäre, einen Körper, der in irgend einer Weise von den bisher bekannten sich unterscheidet, ohne Grenzboten I, 1876. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/169>, abgerufen am 04.05.2024.