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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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irrbar ins Auge gefaßt wird. Das Reich gewährt für die Verwirklichung
seiner Gesetzgebung den Ländern weiten Spielraum: dieser Spielraum darf
nicht Launen und Widerneigungen als Tummelplatz dienen. Die Länder
müssen die Reichsgesetzgebung im Geiste des Reiches verwirklichen und die
Eifcchrung lehrte bisher immer, wie mit der Pflicht auch der Vortheil der
Länder zusammentraf.




Die neuesten Aepeschen Msmarck's gegen Arnim.

Vielfach wird die Meinung geäußert, die beiden Depeschen des Kanzlers
an den Kaiser gegen Arnim, welche der Staatsanzeiger veröffentlichte, hätten
bereits beim Erscheinen der Broschüre pro "itulo enthüllt werden sollen.
Man erweise dem Mutterland der deutschen Kronprinzessin dieselbe Bevor¬
zugung, wie englischen Correspondenten gegenüber Deutschen im Felde, u. s. w..
wenn man jetzt, wo eine englische Uebersetzung des Züricher Pamphlets --
zu dem sich immer noch kein Verfasser mit offnem Visir gefunden -- veran¬
staltet werde, diese Depeschen veröffentliche, während man sie dem deutschen
Publikum beim Erscheinen der deutschen Ausgabe vorenthielt.

Wir können uns diesem Tadel nicht anschließen. Das deutschgedruckte
Pamphlet pro niliilo hatte von Haus aus nur auf die Anerkennung der
Reichsfeinde in Deutschland zu rechnen. Die große Masse der deutschen Leser
mußte bei der in Deutschland allgemein verbreiteten Kenntniß der eigenen Zu¬
stände, und der beiden Männer, um die es sich handelte, aus der Brandschrift
ein Urtheil über den Grafen Arnim gewinnen, welches der Züricher Anony¬
mus nicht im entferntesten erwartete. Und das ist geschehen, lange bevor
die Broschüre confiscire wurde. --

In England liegt die Sache anders. Hier hat die Anonymität bei po¬
litischen Wageschriften seit den Tagen der Juniusbriefe immer einen besonderen
Kitzel erregt. Daß der arme, in Deutschland verfolgte Verfasser, sich an das
gastliche Asylrecht Englands und Irlands wendet, war eine gutberechnete
Speculation auf die ehrenwerthe Denkweise britischer Gentlemen, welche in
continentalen, namentlich aber in deutschen Angelegenheiten zum Gipfel der
Erkenntniß noch nicht gelangt sind. Denn das ist die große Mehrzahl der
Bewohner des britischen Reiches.

Diesen britischen Ehrenmännern bietet der deutsche Kanzler durch die
Veröffentlichung seiner beiden Depeschen die Gelegenheit, sich an ihren eigenen
Begriffen von Ehre ein Urtheil über den Grafen Arnim zu fällen. In di¬
rekter Anrede an den deutschen Kaiser, seinen Herrn, bezeichnet Fürst Bis-
marck den Grafen Arnim mit dem Namen, der in England dem Gentleman
am tiefsten steht in der moralischen Scala, als und weist nach, daß
dus Cabinet v. Se. James genau so über den Grafen denkt, wie Fürst
Bismarck.

Das ist die "Moral" der Depeschenenthüllung für England. Wir
Deutsche haben dadurch einen Maßstab mehr zur Charakteristik unsres vor¬
B. maligen pariser Botschafters und seiner deutschen Freunde gewonnen.




Verantwortlicher Redakteur: Dr. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig. - Druck von Hüthel <K Herrmann in Leipzig.

irrbar ins Auge gefaßt wird. Das Reich gewährt für die Verwirklichung
seiner Gesetzgebung den Ländern weiten Spielraum: dieser Spielraum darf
nicht Launen und Widerneigungen als Tummelplatz dienen. Die Länder
müssen die Reichsgesetzgebung im Geiste des Reiches verwirklichen und die
Eifcchrung lehrte bisher immer, wie mit der Pflicht auch der Vortheil der
Länder zusammentraf.




Die neuesten Aepeschen Msmarck's gegen Arnim.

Vielfach wird die Meinung geäußert, die beiden Depeschen des Kanzlers
an den Kaiser gegen Arnim, welche der Staatsanzeiger veröffentlichte, hätten
bereits beim Erscheinen der Broschüre pro »itulo enthüllt werden sollen.
Man erweise dem Mutterland der deutschen Kronprinzessin dieselbe Bevor¬
zugung, wie englischen Correspondenten gegenüber Deutschen im Felde, u. s. w..
wenn man jetzt, wo eine englische Uebersetzung des Züricher Pamphlets —
zu dem sich immer noch kein Verfasser mit offnem Visir gefunden — veran¬
staltet werde, diese Depeschen veröffentliche, während man sie dem deutschen
Publikum beim Erscheinen der deutschen Ausgabe vorenthielt.

Wir können uns diesem Tadel nicht anschließen. Das deutschgedruckte
Pamphlet pro niliilo hatte von Haus aus nur auf die Anerkennung der
Reichsfeinde in Deutschland zu rechnen. Die große Masse der deutschen Leser
mußte bei der in Deutschland allgemein verbreiteten Kenntniß der eigenen Zu¬
stände, und der beiden Männer, um die es sich handelte, aus der Brandschrift
ein Urtheil über den Grafen Arnim gewinnen, welches der Züricher Anony¬
mus nicht im entferntesten erwartete. Und das ist geschehen, lange bevor
die Broschüre confiscire wurde. —

In England liegt die Sache anders. Hier hat die Anonymität bei po¬
litischen Wageschriften seit den Tagen der Juniusbriefe immer einen besonderen
Kitzel erregt. Daß der arme, in Deutschland verfolgte Verfasser, sich an das
gastliche Asylrecht Englands und Irlands wendet, war eine gutberechnete
Speculation auf die ehrenwerthe Denkweise britischer Gentlemen, welche in
continentalen, namentlich aber in deutschen Angelegenheiten zum Gipfel der
Erkenntniß noch nicht gelangt sind. Denn das ist die große Mehrzahl der
Bewohner des britischen Reiches.

Diesen britischen Ehrenmännern bietet der deutsche Kanzler durch die
Veröffentlichung seiner beiden Depeschen die Gelegenheit, sich an ihren eigenen
Begriffen von Ehre ein Urtheil über den Grafen Arnim zu fällen. In di¬
rekter Anrede an den deutschen Kaiser, seinen Herrn, bezeichnet Fürst Bis-
marck den Grafen Arnim mit dem Namen, der in England dem Gentleman
am tiefsten steht in der moralischen Scala, als und weist nach, daß
dus Cabinet v. Se. James genau so über den Grafen denkt, wie Fürst
Bismarck.

Das ist die „Moral" der Depeschenenthüllung für England. Wir
Deutsche haben dadurch einen Maßstab mehr zur Charakteristik unsres vor¬
B. maligen pariser Botschafters und seiner deutschen Freunde gewonnen.




Verantwortlicher Redakteur: Dr. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig. - Druck von Hüthel <K Herrmann in Leipzig.
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[0208] irrbar ins Auge gefaßt wird. Das Reich gewährt für die Verwirklichung seiner Gesetzgebung den Ländern weiten Spielraum: dieser Spielraum darf nicht Launen und Widerneigungen als Tummelplatz dienen. Die Länder müssen die Reichsgesetzgebung im Geiste des Reiches verwirklichen und die Eifcchrung lehrte bisher immer, wie mit der Pflicht auch der Vortheil der Länder zusammentraf. Die neuesten Aepeschen Msmarck's gegen Arnim. Vielfach wird die Meinung geäußert, die beiden Depeschen des Kanzlers an den Kaiser gegen Arnim, welche der Staatsanzeiger veröffentlichte, hätten bereits beim Erscheinen der Broschüre pro »itulo enthüllt werden sollen. Man erweise dem Mutterland der deutschen Kronprinzessin dieselbe Bevor¬ zugung, wie englischen Correspondenten gegenüber Deutschen im Felde, u. s. w.. wenn man jetzt, wo eine englische Uebersetzung des Züricher Pamphlets — zu dem sich immer noch kein Verfasser mit offnem Visir gefunden — veran¬ staltet werde, diese Depeschen veröffentliche, während man sie dem deutschen Publikum beim Erscheinen der deutschen Ausgabe vorenthielt. Wir können uns diesem Tadel nicht anschließen. Das deutschgedruckte Pamphlet pro niliilo hatte von Haus aus nur auf die Anerkennung der Reichsfeinde in Deutschland zu rechnen. Die große Masse der deutschen Leser mußte bei der in Deutschland allgemein verbreiteten Kenntniß der eigenen Zu¬ stände, und der beiden Männer, um die es sich handelte, aus der Brandschrift ein Urtheil über den Grafen Arnim gewinnen, welches der Züricher Anony¬ mus nicht im entferntesten erwartete. Und das ist geschehen, lange bevor die Broschüre confiscire wurde. — In England liegt die Sache anders. Hier hat die Anonymität bei po¬ litischen Wageschriften seit den Tagen der Juniusbriefe immer einen besonderen Kitzel erregt. Daß der arme, in Deutschland verfolgte Verfasser, sich an das gastliche Asylrecht Englands und Irlands wendet, war eine gutberechnete Speculation auf die ehrenwerthe Denkweise britischer Gentlemen, welche in continentalen, namentlich aber in deutschen Angelegenheiten zum Gipfel der Erkenntniß noch nicht gelangt sind. Denn das ist die große Mehrzahl der Bewohner des britischen Reiches. Diesen britischen Ehrenmännern bietet der deutsche Kanzler durch die Veröffentlichung seiner beiden Depeschen die Gelegenheit, sich an ihren eigenen Begriffen von Ehre ein Urtheil über den Grafen Arnim zu fällen. In di¬ rekter Anrede an den deutschen Kaiser, seinen Herrn, bezeichnet Fürst Bis- marck den Grafen Arnim mit dem Namen, der in England dem Gentleman am tiefsten steht in der moralischen Scala, als und weist nach, daß dus Cabinet v. Se. James genau so über den Grafen denkt, wie Fürst Bismarck. Das ist die „Moral" der Depeschenenthüllung für England. Wir Deutsche haben dadurch einen Maßstab mehr zur Charakteristik unsres vor¬ B. maligen pariser Botschafters und seiner deutschen Freunde gewonnen. Verantwortlicher Redakteur: Dr. Haus Blum in Leipzig. Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig. - Druck von Hüthel <K Herrmann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/208>, abgerufen am 04.05.2024.