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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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des vor. Jahrg.) geschildert wurde, und ebenso ist er bei der hiermit ver¬
wandten Deposition oder Fuchstaufe der Studenten thätig gewesen. Die
Komik war dabei allerdings plump und ungeschlacht, aber sie theilte hierin
nur den Charakter der damaligen Zeit.




Vom deutschen Ueichstag.

Am 27. Januar beschäftigte sich der Reichstag in zweiter Lesung mit
der Strafgesetznovelle. Es handelte sich um die fortgesetzte Berathung der¬
jenigen Paragraphen, die nicht an eine Kommission verwiesen worden waren,
zunächst um die Abänderung des § 128. Derselbe bestimmt die Strafe wegen
Theilnahme an geheimen Verbindungen. Die Novelle wollte den Thatbe¬
stand ausdehnen durch Strafbarmachung auch der geheimen Wirksamkeit und
ferner durch Strafbarmachung nicht nur des Versprechens von unbedingtem
Gehorsam, sondern auch der Verpflichtungsforderung. Die Novelle ward ab¬
gelehnt. § 130 bestraft die Anreizung der Bevölkerungsklassen zu gegensei¬
tiger Gewaltthätigkeit. Die Novelle wollte öffentliche Angriffe auf die Insti¬
tute der Ehe, der Familie und des Eigenthums strafbar machen. Um die
Novelle zu vertheidigen, nahm zum ersten Mal im Reichstag der preußische
Minister des Innern als Bundesbevollmächtigter das Wort. Er begann so¬
gleich mit der Erklärung, daß die Abänderung des Paragraphen sich gegen
die Socialdemokratie richte und gab sodann eine Schilderung derselben, meist
durch Verlesung von Artikeln socialdemokratischer Blätter. Der Vortrag er¬
hielt zwar nur Beifall von der rechten Seite, aber er machte sichtlichen Ein¬
druck aus den ganzen Reichstag, den die unmittelbar folgende Entgegnung
eines Redners der socialdemokratischen Partei nicht abzuschwächen vermochte.

Der nächste Redner war Laster. Er führte im ersten Theil seiner Rede
mit Glück aus. was allerdings sehr leicht zu beweisen ist. daß die Gefahr
der Socialdemokratie mit einer Bestimmung des Strafgesetzbuches, wie die
vorgeschlagene, nicht zu beseitigen ist; daß eine solche Bestimmung dagegen
durch ihre Unbegrenztheit praktisch höchst nachtheilig werden kann und bei¬
nahe werden muß. Beinahe komisch war er aber in dem andern Theil seiner
Ausführung, worin er das alte liberale Dogma verherrlichte, daß die Presse
alle Wunden, die sie schlage -- man pflegte sonst hinzuzusetzen: gleich dem
Speer des Achilles -- auch heile. Es war dem Minister leicht, darauf zu
erwidern, daß die Leser der socialdemokratischen Blätter die Entgegnungen der


des vor. Jahrg.) geschildert wurde, und ebenso ist er bei der hiermit ver¬
wandten Deposition oder Fuchstaufe der Studenten thätig gewesen. Die
Komik war dabei allerdings plump und ungeschlacht, aber sie theilte hierin
nur den Charakter der damaligen Zeit.




Vom deutschen Ueichstag.

Am 27. Januar beschäftigte sich der Reichstag in zweiter Lesung mit
der Strafgesetznovelle. Es handelte sich um die fortgesetzte Berathung der¬
jenigen Paragraphen, die nicht an eine Kommission verwiesen worden waren,
zunächst um die Abänderung des § 128. Derselbe bestimmt die Strafe wegen
Theilnahme an geheimen Verbindungen. Die Novelle wollte den Thatbe¬
stand ausdehnen durch Strafbarmachung auch der geheimen Wirksamkeit und
ferner durch Strafbarmachung nicht nur des Versprechens von unbedingtem
Gehorsam, sondern auch der Verpflichtungsforderung. Die Novelle ward ab¬
gelehnt. § 130 bestraft die Anreizung der Bevölkerungsklassen zu gegensei¬
tiger Gewaltthätigkeit. Die Novelle wollte öffentliche Angriffe auf die Insti¬
tute der Ehe, der Familie und des Eigenthums strafbar machen. Um die
Novelle zu vertheidigen, nahm zum ersten Mal im Reichstag der preußische
Minister des Innern als Bundesbevollmächtigter das Wort. Er begann so¬
gleich mit der Erklärung, daß die Abänderung des Paragraphen sich gegen
die Socialdemokratie richte und gab sodann eine Schilderung derselben, meist
durch Verlesung von Artikeln socialdemokratischer Blätter. Der Vortrag er¬
hielt zwar nur Beifall von der rechten Seite, aber er machte sichtlichen Ein¬
druck aus den ganzen Reichstag, den die unmittelbar folgende Entgegnung
eines Redners der socialdemokratischen Partei nicht abzuschwächen vermochte.

Der nächste Redner war Laster. Er führte im ersten Theil seiner Rede
mit Glück aus. was allerdings sehr leicht zu beweisen ist. daß die Gefahr
der Socialdemokratie mit einer Bestimmung des Strafgesetzbuches, wie die
vorgeschlagene, nicht zu beseitigen ist; daß eine solche Bestimmung dagegen
durch ihre Unbegrenztheit praktisch höchst nachtheilig werden kann und bei¬
nahe werden muß. Beinahe komisch war er aber in dem andern Theil seiner
Ausführung, worin er das alte liberale Dogma verherrlichte, daß die Presse
alle Wunden, die sie schlage — man pflegte sonst hinzuzusetzen: gleich dem
Speer des Achilles — auch heile. Es war dem Minister leicht, darauf zu
erwidern, daß die Leser der socialdemokratischen Blätter die Entgegnungen der


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[0317] des vor. Jahrg.) geschildert wurde, und ebenso ist er bei der hiermit ver¬ wandten Deposition oder Fuchstaufe der Studenten thätig gewesen. Die Komik war dabei allerdings plump und ungeschlacht, aber sie theilte hierin nur den Charakter der damaligen Zeit. Vom deutschen Ueichstag. Am 27. Januar beschäftigte sich der Reichstag in zweiter Lesung mit der Strafgesetznovelle. Es handelte sich um die fortgesetzte Berathung der¬ jenigen Paragraphen, die nicht an eine Kommission verwiesen worden waren, zunächst um die Abänderung des § 128. Derselbe bestimmt die Strafe wegen Theilnahme an geheimen Verbindungen. Die Novelle wollte den Thatbe¬ stand ausdehnen durch Strafbarmachung auch der geheimen Wirksamkeit und ferner durch Strafbarmachung nicht nur des Versprechens von unbedingtem Gehorsam, sondern auch der Verpflichtungsforderung. Die Novelle ward ab¬ gelehnt. § 130 bestraft die Anreizung der Bevölkerungsklassen zu gegensei¬ tiger Gewaltthätigkeit. Die Novelle wollte öffentliche Angriffe auf die Insti¬ tute der Ehe, der Familie und des Eigenthums strafbar machen. Um die Novelle zu vertheidigen, nahm zum ersten Mal im Reichstag der preußische Minister des Innern als Bundesbevollmächtigter das Wort. Er begann so¬ gleich mit der Erklärung, daß die Abänderung des Paragraphen sich gegen die Socialdemokratie richte und gab sodann eine Schilderung derselben, meist durch Verlesung von Artikeln socialdemokratischer Blätter. Der Vortrag er¬ hielt zwar nur Beifall von der rechten Seite, aber er machte sichtlichen Ein¬ druck aus den ganzen Reichstag, den die unmittelbar folgende Entgegnung eines Redners der socialdemokratischen Partei nicht abzuschwächen vermochte. Der nächste Redner war Laster. Er führte im ersten Theil seiner Rede mit Glück aus. was allerdings sehr leicht zu beweisen ist. daß die Gefahr der Socialdemokratie mit einer Bestimmung des Strafgesetzbuches, wie die vorgeschlagene, nicht zu beseitigen ist; daß eine solche Bestimmung dagegen durch ihre Unbegrenztheit praktisch höchst nachtheilig werden kann und bei¬ nahe werden muß. Beinahe komisch war er aber in dem andern Theil seiner Ausführung, worin er das alte liberale Dogma verherrlichte, daß die Presse alle Wunden, die sie schlage — man pflegte sonst hinzuzusetzen: gleich dem Speer des Achilles — auch heile. Es war dem Minister leicht, darauf zu erwidern, daß die Leser der socialdemokratischen Blätter die Entgegnungen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/317>, abgerufen am 04.05.2024.