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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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einmal sein Spiel, aber niemals den Kops, und so wußte sich auch dieser
rasch zu helfen. Er ging nach Hause zurück, band sich einen Stock, der genau
die Länge der erforderlichen Wiege hatte, zwischen die ausgebreiteten Arme
und gelangte so glücklich zu einem Tischler und durch diesen zum Ziele seiner
Wünsche.




Städte und Dörfer, Land und Leute in Lothringen.
2. Saargemünd. Bieses.

Aus dem Kreise Diedenhofen treten wir in den Kreis Saargemünd, in
jenen Bezirk der von allen Theilen des Lothringerlandes vielleicht der rauschte
ist. Wald und Heideland überwiegen, im Osten steigen die Vogesen zu merk¬
licher Höhe, der Ackerbau und die mit Wohnstätten angebaute Fläche erreichen
hier ihre niedrigste Ziffer. Da der harte Boden, der zum Theil aus Vogesen-
sandstein besteht, nur wenig Frucht erträgt, so war die Bevölkerung von selbst
zur Viehzucht hingewiesen, zur Ausnützung der mächtigen Wälder und vor
allem zur Industrie. So entstanden die mächtigen Glasfabriken, welche nahe
an 8000 Arbeiter in Anspruch nehmen, riesige Eisenwerke wurden angelegt,
die Fabrikation von Fayence, Plüsch- und Seidenwebereien kamen in Flor.

Die Stadt des Bezirkes, die dieses industrielle Treiben am deutlichsten
verkörpert, ist Saargemünd. Sie ist nicht groß, denn kaum 7000 Bewohner
bevölkern ihre Mauern, aber sie ist trefflich gelegen, im Mittelpunkte der ver¬
schiedensten Bahnen, an der Mündung der Blies in die Saar. Wie die
Spuren einer nahen Römerstraße zeigen, war die Stätte schon im Alterthum
bekannt, obwohl sie urkundlich nicht vor Pipin auftritt. In heftigen Kämpfen
gegen die Herzoge von Lothringen behauptete sie ihre Freiheit; bewaffnete
Bauern und fanatische Wiedertäufer lagen vor ihren Thoren, die Invasion
von 1814 und die Stürme von 1870 trafen die kleine Stadt, aber das alles,
was geschehen ist macht nicht ihr Wesen aus -- Saargemünd ist keine Stadt
der Geschichte. Es ist eine Stadt der Industrie, das ward der zündende
Punkt in ihrer Entwicklung, das ist noch heute ihr charakteristisches Moment
und wird es bleiben.

Den Mittelpunkt der Fabrikation in Saargemünd bildet die große Fayence-
Fabrik von Utzschneider u. Comp.; ihre Blüthe war es, die den späteren Be¬
strebungen Anstoß und vielleicht Erfolg gab.

Nicht minder charakteristisch für den Kreis, in dem wir weilen, wenn


Grenzboten I. 1876. 49

einmal sein Spiel, aber niemals den Kops, und so wußte sich auch dieser
rasch zu helfen. Er ging nach Hause zurück, band sich einen Stock, der genau
die Länge der erforderlichen Wiege hatte, zwischen die ausgebreiteten Arme
und gelangte so glücklich zu einem Tischler und durch diesen zum Ziele seiner
Wünsche.




Städte und Dörfer, Land und Leute in Lothringen.
2. Saargemünd. Bieses.

Aus dem Kreise Diedenhofen treten wir in den Kreis Saargemünd, in
jenen Bezirk der von allen Theilen des Lothringerlandes vielleicht der rauschte
ist. Wald und Heideland überwiegen, im Osten steigen die Vogesen zu merk¬
licher Höhe, der Ackerbau und die mit Wohnstätten angebaute Fläche erreichen
hier ihre niedrigste Ziffer. Da der harte Boden, der zum Theil aus Vogesen-
sandstein besteht, nur wenig Frucht erträgt, so war die Bevölkerung von selbst
zur Viehzucht hingewiesen, zur Ausnützung der mächtigen Wälder und vor
allem zur Industrie. So entstanden die mächtigen Glasfabriken, welche nahe
an 8000 Arbeiter in Anspruch nehmen, riesige Eisenwerke wurden angelegt,
die Fabrikation von Fayence, Plüsch- und Seidenwebereien kamen in Flor.

Die Stadt des Bezirkes, die dieses industrielle Treiben am deutlichsten
verkörpert, ist Saargemünd. Sie ist nicht groß, denn kaum 7000 Bewohner
bevölkern ihre Mauern, aber sie ist trefflich gelegen, im Mittelpunkte der ver¬
schiedensten Bahnen, an der Mündung der Blies in die Saar. Wie die
Spuren einer nahen Römerstraße zeigen, war die Stätte schon im Alterthum
bekannt, obwohl sie urkundlich nicht vor Pipin auftritt. In heftigen Kämpfen
gegen die Herzoge von Lothringen behauptete sie ihre Freiheit; bewaffnete
Bauern und fanatische Wiedertäufer lagen vor ihren Thoren, die Invasion
von 1814 und die Stürme von 1870 trafen die kleine Stadt, aber das alles,
was geschehen ist macht nicht ihr Wesen aus — Saargemünd ist keine Stadt
der Geschichte. Es ist eine Stadt der Industrie, das ward der zündende
Punkt in ihrer Entwicklung, das ist noch heute ihr charakteristisches Moment
und wird es bleiben.

Den Mittelpunkt der Fabrikation in Saargemünd bildet die große Fayence-
Fabrik von Utzschneider u. Comp.; ihre Blüthe war es, die den späteren Be¬
strebungen Anstoß und vielleicht Erfolg gab.

Nicht minder charakteristisch für den Kreis, in dem wir weilen, wenn


Grenzboten I. 1876. 49
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[0393] einmal sein Spiel, aber niemals den Kops, und so wußte sich auch dieser rasch zu helfen. Er ging nach Hause zurück, band sich einen Stock, der genau die Länge der erforderlichen Wiege hatte, zwischen die ausgebreiteten Arme und gelangte so glücklich zu einem Tischler und durch diesen zum Ziele seiner Wünsche. Städte und Dörfer, Land und Leute in Lothringen. 2. Saargemünd. Bieses. Aus dem Kreise Diedenhofen treten wir in den Kreis Saargemünd, in jenen Bezirk der von allen Theilen des Lothringerlandes vielleicht der rauschte ist. Wald und Heideland überwiegen, im Osten steigen die Vogesen zu merk¬ licher Höhe, der Ackerbau und die mit Wohnstätten angebaute Fläche erreichen hier ihre niedrigste Ziffer. Da der harte Boden, der zum Theil aus Vogesen- sandstein besteht, nur wenig Frucht erträgt, so war die Bevölkerung von selbst zur Viehzucht hingewiesen, zur Ausnützung der mächtigen Wälder und vor allem zur Industrie. So entstanden die mächtigen Glasfabriken, welche nahe an 8000 Arbeiter in Anspruch nehmen, riesige Eisenwerke wurden angelegt, die Fabrikation von Fayence, Plüsch- und Seidenwebereien kamen in Flor. Die Stadt des Bezirkes, die dieses industrielle Treiben am deutlichsten verkörpert, ist Saargemünd. Sie ist nicht groß, denn kaum 7000 Bewohner bevölkern ihre Mauern, aber sie ist trefflich gelegen, im Mittelpunkte der ver¬ schiedensten Bahnen, an der Mündung der Blies in die Saar. Wie die Spuren einer nahen Römerstraße zeigen, war die Stätte schon im Alterthum bekannt, obwohl sie urkundlich nicht vor Pipin auftritt. In heftigen Kämpfen gegen die Herzoge von Lothringen behauptete sie ihre Freiheit; bewaffnete Bauern und fanatische Wiedertäufer lagen vor ihren Thoren, die Invasion von 1814 und die Stürme von 1870 trafen die kleine Stadt, aber das alles, was geschehen ist macht nicht ihr Wesen aus — Saargemünd ist keine Stadt der Geschichte. Es ist eine Stadt der Industrie, das ward der zündende Punkt in ihrer Entwicklung, das ist noch heute ihr charakteristisches Moment und wird es bleiben. Den Mittelpunkt der Fabrikation in Saargemünd bildet die große Fayence- Fabrik von Utzschneider u. Comp.; ihre Blüthe war es, die den späteren Be¬ strebungen Anstoß und vielleicht Erfolg gab. Nicht minder charakteristisch für den Kreis, in dem wir weilen, wenn Grenzboten I. 1876. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/393>, abgerufen am 04.05.2024.