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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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reden Wehrenpfennig hat keine andere Bedeutung, als der Kirche das Selbst¬
besteuerungsrecht zu verweigern. Zum Glück kann der Staat nicht verbieten,
daß an die Stelle der von Kirchenorganen ausgeschriebenen Steuern die Auf¬
forderung zu freiwilligen Beiträgen für bestimmte kirchliche Zwecke tritt, und
wir haben schon unsere Ansicht dahin ausgesprochen, daß der Verzicht auf
das formelle Besteuerungsrecht der Kirche zu hohem Segen gereichen dürfte.

Zweitens ist es dem Abg. Wehrenpfennig nicht genug an dem Art. 12
der Regierungsvorlage, welcher bestimmt, daß kirchliche Gesetze niemals einem
Staatsgesetz widersprechen dürfen und daß den Landesherrn kein Kirchengesetz
zur Sanction vorgelegt werden darf, bevor der Cultusminister übey das Ver¬
hältniß des neuen Gesetzes zu dem Staatsinteresse gehört worden ist. Der
Abg. Wehrenpfennig verlangt vielmehr, daß jedes Ktrchengesetz durch den
Staat ohne Weiteres aufgehoben werden kann. Das soll doch wohl heißen:
der Staat kann Kirchengesetze aufheben, auch wenn sie seinen bereits erlassenen
Gesetzen nicht widersprechen. Ein solches Aufhebungsrecht nun ist ganz ge¬
wiß zulässig und sogar erforderlich, aber unter der Bedingung, daß es nur
in den Formen der Gesetzgebung geübt wird. Wenn der Abg. Wehrenpfennig
weiter nichts will, so geht er nicht über den Sinn der Vorlage hinaus. Will
er aber mehr, will er z. B. verlangen, daß der Landtag oder jedes Haus des¬
selben die Aufhebung eines Kirchengesetzes durch einseitigen Beschluß herbei¬
zuführen befugt sei, so würde er zu einer Ungeheuerlichkeit gelangen. Wir
glauben deshalb, daß der Abg. vielmehr dahin gelangen wird, seinen Einfluß
zur Empfehlung der Vorlage anzuwenden. Damit wird er ein gutes Werk thun.

Die Vorlage wurde schließlich einer Commission von 21 Mitgliedern zur
Vorberathung überwiesen.

Obwohl ich nur die erste Sitzung dieser Woche behandelt habe, so will
ich doch den heutigen Brief damit schließen, um diesmal die Einheit des Gegen¬
standes zu bewahren. Der Uebergang von der Kirchenverfassung auf die Ver¬
waltung des Provinzialfonds und auf die Nützlichkeit der Seehandlung ist
gar zu fremdartig. Diese Gegenstände werden mit den Gegenständen des
Berichts der nächsten Woche Hesser Harmoniren und sich mit ihnen zusammen¬
o--r. fassen lassen,




Ganser Keiseöeobachtungen.

Was den Fremden beim ersten Spaziergange in Paris so angenehm be¬
rührt. ist die wunderbare Ungezwungenheit, Me der das bunte Menschen-


reden Wehrenpfennig hat keine andere Bedeutung, als der Kirche das Selbst¬
besteuerungsrecht zu verweigern. Zum Glück kann der Staat nicht verbieten,
daß an die Stelle der von Kirchenorganen ausgeschriebenen Steuern die Auf¬
forderung zu freiwilligen Beiträgen für bestimmte kirchliche Zwecke tritt, und
wir haben schon unsere Ansicht dahin ausgesprochen, daß der Verzicht auf
das formelle Besteuerungsrecht der Kirche zu hohem Segen gereichen dürfte.

Zweitens ist es dem Abg. Wehrenpfennig nicht genug an dem Art. 12
der Regierungsvorlage, welcher bestimmt, daß kirchliche Gesetze niemals einem
Staatsgesetz widersprechen dürfen und daß den Landesherrn kein Kirchengesetz
zur Sanction vorgelegt werden darf, bevor der Cultusminister übey das Ver¬
hältniß des neuen Gesetzes zu dem Staatsinteresse gehört worden ist. Der
Abg. Wehrenpfennig verlangt vielmehr, daß jedes Ktrchengesetz durch den
Staat ohne Weiteres aufgehoben werden kann. Das soll doch wohl heißen:
der Staat kann Kirchengesetze aufheben, auch wenn sie seinen bereits erlassenen
Gesetzen nicht widersprechen. Ein solches Aufhebungsrecht nun ist ganz ge¬
wiß zulässig und sogar erforderlich, aber unter der Bedingung, daß es nur
in den Formen der Gesetzgebung geübt wird. Wenn der Abg. Wehrenpfennig
weiter nichts will, so geht er nicht über den Sinn der Vorlage hinaus. Will
er aber mehr, will er z. B. verlangen, daß der Landtag oder jedes Haus des¬
selben die Aufhebung eines Kirchengesetzes durch einseitigen Beschluß herbei¬
zuführen befugt sei, so würde er zu einer Ungeheuerlichkeit gelangen. Wir
glauben deshalb, daß der Abg. vielmehr dahin gelangen wird, seinen Einfluß
zur Empfehlung der Vorlage anzuwenden. Damit wird er ein gutes Werk thun.

Die Vorlage wurde schließlich einer Commission von 21 Mitgliedern zur
Vorberathung überwiesen.

Obwohl ich nur die erste Sitzung dieser Woche behandelt habe, so will
ich doch den heutigen Brief damit schließen, um diesmal die Einheit des Gegen¬
standes zu bewahren. Der Uebergang von der Kirchenverfassung auf die Ver¬
waltung des Provinzialfonds und auf die Nützlichkeit der Seehandlung ist
gar zu fremdartig. Diese Gegenstände werden mit den Gegenständen des
Berichts der nächsten Woche Hesser Harmoniren und sich mit ihnen zusammen¬
o—r. fassen lassen,




Ganser Keiseöeobachtungen.

Was den Fremden beim ersten Spaziergange in Paris so angenehm be¬
rührt. ist die wunderbare Ungezwungenheit, Me der das bunte Menschen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/440>, abgerufen am 04.05.2024.