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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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um neuen Zllljr.

Als vor nun zehn Jahren die öffentlichen Zustände Deutschlands auf
eine kriegerische Entscheidung hindrängten und der deutsche Bundesstaat unter
Preußens Führung, mit Ausschluß Oesterreichs, festere Gestalt gewann,
da weissagten die wenigen liberalen Männer, die mit ihrer Feder Bis-
marck's Politik beizustehen wagten: der deutsche Staat, der aus Blut und
Eisen hervorgehen müsse, werde ein Staat des Friedens für ganz Europa
werden.

Wie wahr hat sich dieses Wort erwiesen in dem Jahrzehnt, seitdem es
geschrieben wurde! So oft wir einen Schritt vorwärts thaten aus der Bahn
unsrer nationalen Einheit, ließen unsre Feinde, mit erheuchelter Sorge für
unsre Wohlfahrt, den Apelt an die Furcht ergehen. Kein europäischer
Großstaat sollte nach ihrer Meinung unser nationales Wachsthum ertragen
können. Immerwährende Kriege, stetig wachsender Verfall unseres Wohl¬
standes, unsrer Gesittung sollte sich nach ihrer Voraussage an die Erfüllung
unsrer nationalen Hoffnungen knüpfen. Noch heute begleiten uns diese
düsteren Prophezeihungen -- die bei Gründung des deutschen Reiches lebhafter
und drohender ertönten, als je zuvor -- bei jedem Sieg über die alten Reichs¬
feinde, bei jedem Erfolg unsrer inneren Entwickelung. Und die Wahrheit an
diesen Prophezeihungen ist, daß es so kräftige Lügen sind, als jemals die
Ohnmacht und Verzweiflung zu Tage förderte. Der Frieden Deutschlands
mit den europäischen Mächten ist niemals gesicherter gewesen, M^M^ Aus-
gang des Jahres 1873, hat überhaupt niemals auf festerer GrundW^egeruht,
als seit Gründung des deutschen Reiches. Immer inniger haben sich auch im
vergangenen Jahre die Lenker der europäischen Kaiserstaaten zur gemeinsamen
Erfüllung der hohen Friedenswerke ihrer Nationen zusammengeschlossen. Unser
Kaiser hat in der Hauptstadt der Lombardei mit dem Könige von Italien,
unter dem lauten Jubel beider Völker, Beweise wahrer und dauernder Freund¬
schaft ausgetauscht. Die Wirren in der Türkei, die so häufig in früheren
Zeiten Vorwand oder Anlaß boten zur Entfesselung europäischer Kriege, ha-


Grenzboten l. ^7". 1
um neuen Zllljr.

Als vor nun zehn Jahren die öffentlichen Zustände Deutschlands auf
eine kriegerische Entscheidung hindrängten und der deutsche Bundesstaat unter
Preußens Führung, mit Ausschluß Oesterreichs, festere Gestalt gewann,
da weissagten die wenigen liberalen Männer, die mit ihrer Feder Bis-
marck's Politik beizustehen wagten: der deutsche Staat, der aus Blut und
Eisen hervorgehen müsse, werde ein Staat des Friedens für ganz Europa
werden.

Wie wahr hat sich dieses Wort erwiesen in dem Jahrzehnt, seitdem es
geschrieben wurde! So oft wir einen Schritt vorwärts thaten aus der Bahn
unsrer nationalen Einheit, ließen unsre Feinde, mit erheuchelter Sorge für
unsre Wohlfahrt, den Apelt an die Furcht ergehen. Kein europäischer
Großstaat sollte nach ihrer Meinung unser nationales Wachsthum ertragen
können. Immerwährende Kriege, stetig wachsender Verfall unseres Wohl¬
standes, unsrer Gesittung sollte sich nach ihrer Voraussage an die Erfüllung
unsrer nationalen Hoffnungen knüpfen. Noch heute begleiten uns diese
düsteren Prophezeihungen — die bei Gründung des deutschen Reiches lebhafter
und drohender ertönten, als je zuvor — bei jedem Sieg über die alten Reichs¬
feinde, bei jedem Erfolg unsrer inneren Entwickelung. Und die Wahrheit an
diesen Prophezeihungen ist, daß es so kräftige Lügen sind, als jemals die
Ohnmacht und Verzweiflung zu Tage förderte. Der Frieden Deutschlands
mit den europäischen Mächten ist niemals gesicherter gewesen, M^M^ Aus-
gang des Jahres 1873, hat überhaupt niemals auf festerer GrundW^egeruht,
als seit Gründung des deutschen Reiches. Immer inniger haben sich auch im
vergangenen Jahre die Lenker der europäischen Kaiserstaaten zur gemeinsamen
Erfüllung der hohen Friedenswerke ihrer Nationen zusammengeschlossen. Unser
Kaiser hat in der Hauptstadt der Lombardei mit dem Könige von Italien,
unter dem lauten Jubel beider Völker, Beweise wahrer und dauernder Freund¬
schaft ausgetauscht. Die Wirren in der Türkei, die so häufig in früheren
Zeiten Vorwand oder Anlaß boten zur Entfesselung europäischer Kriege, ha-


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[0009] um neuen Zllljr. Als vor nun zehn Jahren die öffentlichen Zustände Deutschlands auf eine kriegerische Entscheidung hindrängten und der deutsche Bundesstaat unter Preußens Führung, mit Ausschluß Oesterreichs, festere Gestalt gewann, da weissagten die wenigen liberalen Männer, die mit ihrer Feder Bis- marck's Politik beizustehen wagten: der deutsche Staat, der aus Blut und Eisen hervorgehen müsse, werde ein Staat des Friedens für ganz Europa werden. Wie wahr hat sich dieses Wort erwiesen in dem Jahrzehnt, seitdem es geschrieben wurde! So oft wir einen Schritt vorwärts thaten aus der Bahn unsrer nationalen Einheit, ließen unsre Feinde, mit erheuchelter Sorge für unsre Wohlfahrt, den Apelt an die Furcht ergehen. Kein europäischer Großstaat sollte nach ihrer Meinung unser nationales Wachsthum ertragen können. Immerwährende Kriege, stetig wachsender Verfall unseres Wohl¬ standes, unsrer Gesittung sollte sich nach ihrer Voraussage an die Erfüllung unsrer nationalen Hoffnungen knüpfen. Noch heute begleiten uns diese düsteren Prophezeihungen — die bei Gründung des deutschen Reiches lebhafter und drohender ertönten, als je zuvor — bei jedem Sieg über die alten Reichs¬ feinde, bei jedem Erfolg unsrer inneren Entwickelung. Und die Wahrheit an diesen Prophezeihungen ist, daß es so kräftige Lügen sind, als jemals die Ohnmacht und Verzweiflung zu Tage förderte. Der Frieden Deutschlands mit den europäischen Mächten ist niemals gesicherter gewesen, M^M^ Aus- gang des Jahres 1873, hat überhaupt niemals auf festerer GrundW^egeruht, als seit Gründung des deutschen Reiches. Immer inniger haben sich auch im vergangenen Jahre die Lenker der europäischen Kaiserstaaten zur gemeinsamen Erfüllung der hohen Friedenswerke ihrer Nationen zusammengeschlossen. Unser Kaiser hat in der Hauptstadt der Lombardei mit dem Könige von Italien, unter dem lauten Jubel beider Völker, Beweise wahrer und dauernder Freund¬ schaft ausgetauscht. Die Wirren in der Türkei, die so häufig in früheren Zeiten Vorwand oder Anlaß boten zur Entfesselung europäischer Kriege, ha- Grenzboten l. ^7». 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/9>, abgerufen am 04.05.2024.