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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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fehlt es nicht an Strömungen und Gegenströmungen. Je fester aber die
Verwaltungsordnung gestaltet, je sorgfältiger sie durchgeführt, je folgerechter
und naturgemäßer wird die Verwaltung sich fortbilden. Eine Frage wie die
Regelung des Landarmenwesens in Sachsen muß der Entwickelung der Ver¬
waltung zu wahrem Gewinne gereichen, wenn sie mit treuem Eifer aufgefaßt
und ihrer Lösung zugeführt wird. Die Übertragung des Landarmenwesens
auf die Bezirke schädigt scheinbar die Kreise, in Wirklichkett dient sie zur
richtigen Ausgestaltung der sächsischen Regierungsbezirke.




Wer in den letzten Tagen die württembergische Presse, die Verhandlungen
der Ständekammer und die Bewegung im Volke betrachtete, der konnte glau¬
ben, er sei in die Zeiten der Zollparlamentswahlkämpfe zurückversetzt. Parti-
cularisten, Ultramontane und Demokraten reichen sich wieder offen vor aller
Welt die Hand. Derselbe Herr von Barnbüler, dessen Reden gegen Preußen
und den norddeutschen Bund aus den Jahren 1866 -- 1869 noch in Aller
Erinnerung sind, hat sich wieder an die Spitze der Agitation gestellt und
eine Brochüre gegen das Reichsetsenbahnprojeet geschrieben, welche trotz aller
Versicherung seiner Hingebung an das Reich (früher sprach Herr von Barn¬
büler wenigstens offen aus: "daß er die Lösung der deutschen Frage,
wie sie erfolgtsei, nicht für ein Glück Deutschlands und Euro-
Pas halte"!) an Einseitigkeit, willkürlicher Zahlengruppirung und unver¬
antwortlichen Insinuationen alles übertrifft, was bis jetzt auf diesem Gebiete
geleistet worden ist. Wie Herr von Barnbüler am 11. Dezember 1867 im
Landtag, am 15. März 1868 in der Volksversammlung zu Mezingen, auf
dem Wirthstisch stehend den Schwaben mit schrecklichen Ziffern bange machte
wegen der vielen Millionen, welche sie der Beitritt zum Nordbund jährlich
kosten würde, so stellt er auch jetzt wieder die bodenlosesten Behauptungen
auf über die angeblichen Kosten des Erwerbs der Bahnen und über das dop¬
pelte Deficit -- der Reichs- und der württembergischen Bahnen, welches die
Schwaben künftighin zu tragen haben würden -- doppelt kühn im Munde
des Erbauers der unglückseligen Stuttgart-Calwer Bahn und der vom Volks¬
witz sogenannten "Henninger Milchstraße". Während gerade die württem¬
bergische Regierung in Verbindung mit andern dem Reich die unmittelbare
Aufsicht über die deutschen Eisenbahnen nach der bestehenden Verfassung be-


fehlt es nicht an Strömungen und Gegenströmungen. Je fester aber die
Verwaltungsordnung gestaltet, je sorgfältiger sie durchgeführt, je folgerechter
und naturgemäßer wird die Verwaltung sich fortbilden. Eine Frage wie die
Regelung des Landarmenwesens in Sachsen muß der Entwickelung der Ver¬
waltung zu wahrem Gewinne gereichen, wenn sie mit treuem Eifer aufgefaßt
und ihrer Lösung zugeführt wird. Die Übertragung des Landarmenwesens
auf die Bezirke schädigt scheinbar die Kreise, in Wirklichkett dient sie zur
richtigen Ausgestaltung der sächsischen Regierungsbezirke.




Wer in den letzten Tagen die württembergische Presse, die Verhandlungen
der Ständekammer und die Bewegung im Volke betrachtete, der konnte glau¬
ben, er sei in die Zeiten der Zollparlamentswahlkämpfe zurückversetzt. Parti-
cularisten, Ultramontane und Demokraten reichen sich wieder offen vor aller
Welt die Hand. Derselbe Herr von Barnbüler, dessen Reden gegen Preußen
und den norddeutschen Bund aus den Jahren 1866 — 1869 noch in Aller
Erinnerung sind, hat sich wieder an die Spitze der Agitation gestellt und
eine Brochüre gegen das Reichsetsenbahnprojeet geschrieben, welche trotz aller
Versicherung seiner Hingebung an das Reich (früher sprach Herr von Barn¬
büler wenigstens offen aus: »daß er die Lösung der deutschen Frage,
wie sie erfolgtsei, nicht für ein Glück Deutschlands und Euro-
Pas halte"!) an Einseitigkeit, willkürlicher Zahlengruppirung und unver¬
antwortlichen Insinuationen alles übertrifft, was bis jetzt auf diesem Gebiete
geleistet worden ist. Wie Herr von Barnbüler am 11. Dezember 1867 im
Landtag, am 15. März 1868 in der Volksversammlung zu Mezingen, auf
dem Wirthstisch stehend den Schwaben mit schrecklichen Ziffern bange machte
wegen der vielen Millionen, welche sie der Beitritt zum Nordbund jährlich
kosten würde, so stellt er auch jetzt wieder die bodenlosesten Behauptungen
auf über die angeblichen Kosten des Erwerbs der Bahnen und über das dop¬
pelte Deficit — der Reichs- und der württembergischen Bahnen, welches die
Schwaben künftighin zu tragen haben würden — doppelt kühn im Munde
des Erbauers der unglückseligen Stuttgart-Calwer Bahn und der vom Volks¬
witz sogenannten „Henninger Milchstraße". Während gerade die württem¬
bergische Regierung in Verbindung mit andern dem Reich die unmittelbare
Aufsicht über die deutschen Eisenbahnen nach der bestehenden Verfassung be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/111>, abgerufen am 07.05.2024.