Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Wilder aus dem Llsasz.
C o l in a r.

Morgensttlle herrscht ringsum und die Sonne spielt glitzernd um die
wettergraue steinerne Brüstung des Thurmes. Wohl eine Stunde saß ich
schon droben, auf dieser Warte, im alten Münster zu Colmar, es ist so
lockend, in blaue Weiten hinauszuschauen und in Gedanken zu wandern, es
ist so traulich unter diesem steinernen Dach, während vom Thürmerstüblein
der fleißige Hammerschlag herüberhallt, und blondlockige Kinder Versteckens
spielen in allen Ecken und Nischen.

Zwischendrein läßt wohl auch ein Taubenpaar sich nieder auf der Schulter
eines Heiligen und blickt girrend auf den Fremdling, der sich unverhofft hier
eingenistet, manchmal steigt aus der Tiefe ein verhallender Ruf empor und
neugierig blickt dann der Schieferdecker, der dort auf dem Dache klettert,
hinab in die Straße.

Sie sind nicht sonderlich prunkvoll diese Straßen von Colmar, und man
merkt wohl an ihrer Bauart, wie an der mächtigen Belebtheit, daß stille
Tage über die Stadt dahingegangen. Die meisten Häuser haben steile Giebel
und an vielen gewahren wir gebräuntes Holz, die Ecken schmückt mitunter
ein Erker und eine freie Treppe führt an einzelnen Häusern zur Thür. Dies
Alles aber gibt der Stadt, wenn sie auch keineswegs prächtig ist, doch immer¬
hin ein sehr originelles Gepräge, ja einzelne Bauten erheben sich in der That
zu hohem künstlerischem Werth. Man kann nur mit Entzücken den reizenden
Erker und die Pforte bewundern, die das jetzige Polizeihaus schmücken Und
die eine Grazie in diesen strengen Begriff verweben, von der die Außenseite
der deutschen Polizei leider nur selten durchdrungen ist.

Und wie zierlich ist das Pfisterhaus in seinen blaßbraunen Farben und
das Eckhaus der Schädel- und Schongauergasse, das sich ein Einwanderer aus
Besancon 1538 erbaute. Im Innern der Stadt gibt es viel GeWinkel, doch
eben deshalb auch viel reizendes Detail, hier ein Thürmchen, dort ein Bogen¬
fenster, dann wieder ein eisernes Gitter oder ein Handwerksschild von origi¬
nellen Formen, und wer etwa unzufrieden mit dem allen wäre, den weist
die derbe selbstbewußte Inschrift zurecht, die an einem jener Häuser prangt!


Eh veracht
Als gemacht!

Hier wandeln wir ganz unter deutschen Erinnerungen; doch auch die
französische Zeit hat an den Bauten von Colmar ihr Theil; ihr gehört jene
Reihe von amtlichen Gebäuden, die sich am Sitze einer Präfektur nothwendig


Wilder aus dem Llsasz.
C o l in a r.

Morgensttlle herrscht ringsum und die Sonne spielt glitzernd um die
wettergraue steinerne Brüstung des Thurmes. Wohl eine Stunde saß ich
schon droben, auf dieser Warte, im alten Münster zu Colmar, es ist so
lockend, in blaue Weiten hinauszuschauen und in Gedanken zu wandern, es
ist so traulich unter diesem steinernen Dach, während vom Thürmerstüblein
der fleißige Hammerschlag herüberhallt, und blondlockige Kinder Versteckens
spielen in allen Ecken und Nischen.

Zwischendrein läßt wohl auch ein Taubenpaar sich nieder auf der Schulter
eines Heiligen und blickt girrend auf den Fremdling, der sich unverhofft hier
eingenistet, manchmal steigt aus der Tiefe ein verhallender Ruf empor und
neugierig blickt dann der Schieferdecker, der dort auf dem Dache klettert,
hinab in die Straße.

Sie sind nicht sonderlich prunkvoll diese Straßen von Colmar, und man
merkt wohl an ihrer Bauart, wie an der mächtigen Belebtheit, daß stille
Tage über die Stadt dahingegangen. Die meisten Häuser haben steile Giebel
und an vielen gewahren wir gebräuntes Holz, die Ecken schmückt mitunter
ein Erker und eine freie Treppe führt an einzelnen Häusern zur Thür. Dies
Alles aber gibt der Stadt, wenn sie auch keineswegs prächtig ist, doch immer¬
hin ein sehr originelles Gepräge, ja einzelne Bauten erheben sich in der That
zu hohem künstlerischem Werth. Man kann nur mit Entzücken den reizenden
Erker und die Pforte bewundern, die das jetzige Polizeihaus schmücken Und
die eine Grazie in diesen strengen Begriff verweben, von der die Außenseite
der deutschen Polizei leider nur selten durchdrungen ist.

Und wie zierlich ist das Pfisterhaus in seinen blaßbraunen Farben und
das Eckhaus der Schädel- und Schongauergasse, das sich ein Einwanderer aus
Besancon 1538 erbaute. Im Innern der Stadt gibt es viel GeWinkel, doch
eben deshalb auch viel reizendes Detail, hier ein Thürmchen, dort ein Bogen¬
fenster, dann wieder ein eisernes Gitter oder ein Handwerksschild von origi¬
nellen Formen, und wer etwa unzufrieden mit dem allen wäre, den weist
die derbe selbstbewußte Inschrift zurecht, die an einem jener Häuser prangt!


Eh veracht
Als gemacht!

Hier wandeln wir ganz unter deutschen Erinnerungen; doch auch die
französische Zeit hat an den Bauten von Colmar ihr Theil; ihr gehört jene
Reihe von amtlichen Gebäuden, die sich am Sitze einer Präfektur nothwendig


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0462" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136043"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Wilder aus dem Llsasz.<lb/>
C o l in a r.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1534"> Morgensttlle herrscht ringsum und die Sonne spielt glitzernd um die<lb/>
wettergraue steinerne Brüstung des Thurmes. Wohl eine Stunde saß ich<lb/>
schon droben, auf dieser Warte, im alten Münster zu Colmar, es ist so<lb/>
lockend, in blaue Weiten hinauszuschauen und in Gedanken zu wandern, es<lb/>
ist so traulich unter diesem steinernen Dach, während vom Thürmerstüblein<lb/>
der fleißige Hammerschlag herüberhallt, und blondlockige Kinder Versteckens<lb/>
spielen in allen Ecken und Nischen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1535"> Zwischendrein läßt wohl auch ein Taubenpaar sich nieder auf der Schulter<lb/>
eines Heiligen und blickt girrend auf den Fremdling, der sich unverhofft hier<lb/>
eingenistet, manchmal steigt aus der Tiefe ein verhallender Ruf empor und<lb/>
neugierig blickt dann der Schieferdecker, der dort auf dem Dache klettert,<lb/>
hinab in die Straße.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1536"> Sie sind nicht sonderlich prunkvoll diese Straßen von Colmar, und man<lb/>
merkt wohl an ihrer Bauart, wie an der mächtigen Belebtheit, daß stille<lb/>
Tage über die Stadt dahingegangen. Die meisten Häuser haben steile Giebel<lb/>
und an vielen gewahren wir gebräuntes Holz, die Ecken schmückt mitunter<lb/>
ein Erker und eine freie Treppe führt an einzelnen Häusern zur Thür. Dies<lb/>
Alles aber gibt der Stadt, wenn sie auch keineswegs prächtig ist, doch immer¬<lb/>
hin ein sehr originelles Gepräge, ja einzelne Bauten erheben sich in der That<lb/>
zu hohem künstlerischem Werth. Man kann nur mit Entzücken den reizenden<lb/>
Erker und die Pforte bewundern, die das jetzige Polizeihaus schmücken Und<lb/>
die eine Grazie in diesen strengen Begriff verweben, von der die Außenseite<lb/>
der deutschen Polizei leider nur selten durchdrungen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1537"> Und wie zierlich ist das Pfisterhaus in seinen blaßbraunen Farben und<lb/>
das Eckhaus der Schädel- und Schongauergasse, das sich ein Einwanderer aus<lb/>
Besancon 1538 erbaute. Im Innern der Stadt gibt es viel GeWinkel, doch<lb/>
eben deshalb auch viel reizendes Detail, hier ein Thürmchen, dort ein Bogen¬<lb/>
fenster, dann wieder ein eisernes Gitter oder ein Handwerksschild von origi¬<lb/>
nellen Formen, und wer etwa unzufrieden mit dem allen wäre, den weist<lb/>
die derbe selbstbewußte Inschrift zurecht, die an einem jener Häuser prangt!</p><lb/>
          <quote> Eh veracht<lb/>
Als gemacht!</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1538" next="#ID_1539"> Hier wandeln wir ganz unter deutschen Erinnerungen; doch auch die<lb/>
französische Zeit hat an den Bauten von Colmar ihr Theil; ihr gehört jene<lb/>
Reihe von amtlichen Gebäuden, die sich am Sitze einer Präfektur nothwendig</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0462] Wilder aus dem Llsasz. C o l in a r. Morgensttlle herrscht ringsum und die Sonne spielt glitzernd um die wettergraue steinerne Brüstung des Thurmes. Wohl eine Stunde saß ich schon droben, auf dieser Warte, im alten Münster zu Colmar, es ist so lockend, in blaue Weiten hinauszuschauen und in Gedanken zu wandern, es ist so traulich unter diesem steinernen Dach, während vom Thürmerstüblein der fleißige Hammerschlag herüberhallt, und blondlockige Kinder Versteckens spielen in allen Ecken und Nischen. Zwischendrein läßt wohl auch ein Taubenpaar sich nieder auf der Schulter eines Heiligen und blickt girrend auf den Fremdling, der sich unverhofft hier eingenistet, manchmal steigt aus der Tiefe ein verhallender Ruf empor und neugierig blickt dann der Schieferdecker, der dort auf dem Dache klettert, hinab in die Straße. Sie sind nicht sonderlich prunkvoll diese Straßen von Colmar, und man merkt wohl an ihrer Bauart, wie an der mächtigen Belebtheit, daß stille Tage über die Stadt dahingegangen. Die meisten Häuser haben steile Giebel und an vielen gewahren wir gebräuntes Holz, die Ecken schmückt mitunter ein Erker und eine freie Treppe führt an einzelnen Häusern zur Thür. Dies Alles aber gibt der Stadt, wenn sie auch keineswegs prächtig ist, doch immer¬ hin ein sehr originelles Gepräge, ja einzelne Bauten erheben sich in der That zu hohem künstlerischem Werth. Man kann nur mit Entzücken den reizenden Erker und die Pforte bewundern, die das jetzige Polizeihaus schmücken Und die eine Grazie in diesen strengen Begriff verweben, von der die Außenseite der deutschen Polizei leider nur selten durchdrungen ist. Und wie zierlich ist das Pfisterhaus in seinen blaßbraunen Farben und das Eckhaus der Schädel- und Schongauergasse, das sich ein Einwanderer aus Besancon 1538 erbaute. Im Innern der Stadt gibt es viel GeWinkel, doch eben deshalb auch viel reizendes Detail, hier ein Thürmchen, dort ein Bogen¬ fenster, dann wieder ein eisernes Gitter oder ein Handwerksschild von origi¬ nellen Formen, und wer etwa unzufrieden mit dem allen wäre, den weist die derbe selbstbewußte Inschrift zurecht, die an einem jener Häuser prangt! Eh veracht Als gemacht! Hier wandeln wir ganz unter deutschen Erinnerungen; doch auch die französische Zeit hat an den Bauten von Colmar ihr Theil; ihr gehört jene Reihe von amtlichen Gebäuden, die sich am Sitze einer Präfektur nothwendig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/462
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/462>, abgerufen am 07.05.2024.