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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Die Moaöitica.
Von Moritz Busch.

Wieder einmal werden wir mit besonderem Nachdruck an drei schmerz¬
liche Wahrheiten erinnert: es giebt viel Betrug in der Welt -- Irren ist
aller Menschen Loos -- unser Herrgott läßt die Bäume nicht in den Himmel
wachsen. Auch aus dem Gebiete der Wissenschaften begegnen wir gelegentlich
argen Täuschungen und keineswegs blos Selbsttäuschungen. Mit Kummer
sehen wir uns von Zeit zu Zeit überzeugt, daß selbst ordentliche Professoren
nicht unfehlbar sind, ja daß sogar der Verstand ganzer gelehrter Gesellschaften,
ganzer Akademien gelegentlich seine schwachen Stunden hat. Die Möglichkeit
von Schwindel und Irrthum auf diesen Höhen geräth aber unter den Be¬
wohnern derselben häufig in Vergessenheit, und die Folge ist einerseits, daß
grober Betrug zuweilen geraume Zeit, mitunter jahrelang, unentlarvt und
unbehelligt, ja angestaunt und gerühmt sein Handwerk treiben darf, ander¬
seits, daß sich in manchen Kreisen ein Selbstgefühl ausbildet, welches den
Neid der Götter weckt. Diese pflegen in derartigen Fällen -- so stelle ich
mir den Hergang vor -- die Nemesis zu beauftragen, dem Uebermaß Ein¬
halt zu thun und ein Exempel zu statuiren. Der weitere Verlauf der Sache
ist dann etwa folgender. Ein in ungewöhnlichem Maße Unfehlbarer, dann
und wann auch eine ganze hochgelehrte Körperschaft oder Freundschaft -- ich
vermeide respectvoll die Bezeichnung Clique -- wird in Betreff einer wissen¬
schaftlichen Frage mit völliger Blindheit und tauber Hartnäckigkeit geschlagen.
Bescheidneren wird Auge und Ohr geschärft, sie sehen und sagen, was sie ge¬
sehen haben, aber anfangs ein wenig scheu und zaghaft vor dem großen
Namen und dem maßgebenden Einflüsse des oder der Unfehlbarer droben,
bis endlich ein Herzhafterer -- die Unfehlbarer nennen ihn im Stillen einen
Pietätlosen -- sich einen frischen Muth faßt und von der Leber weg redet.
Man hört dann einen Krach, man sieht einen bösen Fall, man bemerkt, wie
eine Größe plötzlich einschrumpft und gern noch mehr einschrumpfte, um für
einige Zeit gänzlich verschwinden zu können, und unsre drei betrübenden Wahr¬
heiten sind wieder einmal auf eine Weile zur Geltung gebracht.


Grenzboten II. 1876. 11
Die Moaöitica.
Von Moritz Busch.

Wieder einmal werden wir mit besonderem Nachdruck an drei schmerz¬
liche Wahrheiten erinnert: es giebt viel Betrug in der Welt — Irren ist
aller Menschen Loos — unser Herrgott läßt die Bäume nicht in den Himmel
wachsen. Auch aus dem Gebiete der Wissenschaften begegnen wir gelegentlich
argen Täuschungen und keineswegs blos Selbsttäuschungen. Mit Kummer
sehen wir uns von Zeit zu Zeit überzeugt, daß selbst ordentliche Professoren
nicht unfehlbar sind, ja daß sogar der Verstand ganzer gelehrter Gesellschaften,
ganzer Akademien gelegentlich seine schwachen Stunden hat. Die Möglichkeit
von Schwindel und Irrthum auf diesen Höhen geräth aber unter den Be¬
wohnern derselben häufig in Vergessenheit, und die Folge ist einerseits, daß
grober Betrug zuweilen geraume Zeit, mitunter jahrelang, unentlarvt und
unbehelligt, ja angestaunt und gerühmt sein Handwerk treiben darf, ander¬
seits, daß sich in manchen Kreisen ein Selbstgefühl ausbildet, welches den
Neid der Götter weckt. Diese pflegen in derartigen Fällen — so stelle ich
mir den Hergang vor — die Nemesis zu beauftragen, dem Uebermaß Ein¬
halt zu thun und ein Exempel zu statuiren. Der weitere Verlauf der Sache
ist dann etwa folgender. Ein in ungewöhnlichem Maße Unfehlbarer, dann
und wann auch eine ganze hochgelehrte Körperschaft oder Freundschaft — ich
vermeide respectvoll die Bezeichnung Clique — wird in Betreff einer wissen¬
schaftlichen Frage mit völliger Blindheit und tauber Hartnäckigkeit geschlagen.
Bescheidneren wird Auge und Ohr geschärft, sie sehen und sagen, was sie ge¬
sehen haben, aber anfangs ein wenig scheu und zaghaft vor dem großen
Namen und dem maßgebenden Einflüsse des oder der Unfehlbarer droben,
bis endlich ein Herzhafterer — die Unfehlbarer nennen ihn im Stillen einen
Pietätlosen — sich einen frischen Muth faßt und von der Leber weg redet.
Man hört dann einen Krach, man sieht einen bösen Fall, man bemerkt, wie
eine Größe plötzlich einschrumpft und gern noch mehr einschrumpfte, um für
einige Zeit gänzlich verschwinden zu können, und unsre drei betrübenden Wahr¬
heiten sind wieder einmal auf eine Weile zur Geltung gebracht.


Grenzboten II. 1876. 11
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[0085] Die Moaöitica. Von Moritz Busch. Wieder einmal werden wir mit besonderem Nachdruck an drei schmerz¬ liche Wahrheiten erinnert: es giebt viel Betrug in der Welt — Irren ist aller Menschen Loos — unser Herrgott läßt die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Auch aus dem Gebiete der Wissenschaften begegnen wir gelegentlich argen Täuschungen und keineswegs blos Selbsttäuschungen. Mit Kummer sehen wir uns von Zeit zu Zeit überzeugt, daß selbst ordentliche Professoren nicht unfehlbar sind, ja daß sogar der Verstand ganzer gelehrter Gesellschaften, ganzer Akademien gelegentlich seine schwachen Stunden hat. Die Möglichkeit von Schwindel und Irrthum auf diesen Höhen geräth aber unter den Be¬ wohnern derselben häufig in Vergessenheit, und die Folge ist einerseits, daß grober Betrug zuweilen geraume Zeit, mitunter jahrelang, unentlarvt und unbehelligt, ja angestaunt und gerühmt sein Handwerk treiben darf, ander¬ seits, daß sich in manchen Kreisen ein Selbstgefühl ausbildet, welches den Neid der Götter weckt. Diese pflegen in derartigen Fällen — so stelle ich mir den Hergang vor — die Nemesis zu beauftragen, dem Uebermaß Ein¬ halt zu thun und ein Exempel zu statuiren. Der weitere Verlauf der Sache ist dann etwa folgender. Ein in ungewöhnlichem Maße Unfehlbarer, dann und wann auch eine ganze hochgelehrte Körperschaft oder Freundschaft — ich vermeide respectvoll die Bezeichnung Clique — wird in Betreff einer wissen¬ schaftlichen Frage mit völliger Blindheit und tauber Hartnäckigkeit geschlagen. Bescheidneren wird Auge und Ohr geschärft, sie sehen und sagen, was sie ge¬ sehen haben, aber anfangs ein wenig scheu und zaghaft vor dem großen Namen und dem maßgebenden Einflüsse des oder der Unfehlbarer droben, bis endlich ein Herzhafterer — die Unfehlbarer nennen ihn im Stillen einen Pietätlosen — sich einen frischen Muth faßt und von der Leber weg redet. Man hört dann einen Krach, man sieht einen bösen Fall, man bemerkt, wie eine Größe plötzlich einschrumpft und gern noch mehr einschrumpfte, um für einige Zeit gänzlich verschwinden zu können, und unsre drei betrübenden Wahr¬ heiten sind wieder einmal auf eine Weile zur Geltung gebracht. Grenzboten II. 1876. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/85>, abgerufen am 07.05.2024.