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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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den ihnen sonst antipathischen Tilden zu stimmen. Andererseits sei es auch
wieder möglich, daß die Ernennung von Hendricks den Demokraten in den
Augen der Unabhängigen schaden könne. Letzteres ist allerdings sehr wohl
möglich, wenn nicht gewiß; heißt es doch bereits, daß eine nicht geringe An¬
zahl von Reformfreunden zwar Tilden für die Präsidentschaft unterstützen,
an die Stelle von Hendricks aber einen andern Candidaten ernennen will.

Zum Schlüsse wollen wir noch bemerken, daß wenn es sich bestätigen
sollte, daß Karl Schurz, Dana und viele andere Reformfreunde sich für die
republikanischen Nominationen entscheiden, eine nicht geringe Anzahl der unab¬
hängigen Reformmänner für Tilden in die Schranken treten wird. Erklärte
doch der hochachtbare Charles Francis Adams jun. auf der "freien Con-
ferenz", welche die Reformfreunde im Mai d. I. zu New-Uork abhielten,
ganz offen: "Es giebt einen erfahrenen Staatsmann in der Union, einen
Mann von hohem, erprobten Charakter. Er heißt Samuel I. Tilden,
und ihn würde ich, wenn er nominirt wird, als den nächstbesten Mann nach
Benjamin H. Bristow unterstützen können."


Rud. Doehn.


Mo Lieömann, zur Unalysts der Wirklichkeit. *)

Seitdem die deutsche Philosophie von den Verirrungen der Büchner'schen
Kraft- und Stoff-Periode einigermaßen sich erholt hat und aus dem Opiumrausch
des Schopenhauer'schen Traumpessimismus wieder erwacht ist, scheint aus dem
Gewirr widersprechender Parteimeinungen eine zwiefache Parole am hörbarsten
hervorzuklingen. "Wiederanknüpfen an Kant!" die eine; "eine Verständigung
der philosophischen Speculation mit der exacten Naturwissenschaft!" die an¬
dere. Beide Mahnrufe, deren ersten Otto Liebmann schon vor zehn
Jahren in einer kleinen geistreichen Schrift mit Erfolg angestimmt hat,
scheinen uns als Ergebniß derselben geschichtlichen Prämissen und bilden nur
den Avers und Revers einer und derselben Gedankenrevolution. Ein durch¬
aus gesunder Rückschlag gegen die im ersten Drittel des Jahrhunderts sich
überspeculirde Schulphilosophie, gegen deren abnormste Treibhausblüthe, den
Hegelianismus, gegen den darauf folgenden materialistischen Katzenjammer --



-) Zur Analysis der Wirklichkeit. Philosophische Untersuchungen von Otto
Liebmann, Straßburg, Verlag von Trübner, 1876.

den ihnen sonst antipathischen Tilden zu stimmen. Andererseits sei es auch
wieder möglich, daß die Ernennung von Hendricks den Demokraten in den
Augen der Unabhängigen schaden könne. Letzteres ist allerdings sehr wohl
möglich, wenn nicht gewiß; heißt es doch bereits, daß eine nicht geringe An¬
zahl von Reformfreunden zwar Tilden für die Präsidentschaft unterstützen,
an die Stelle von Hendricks aber einen andern Candidaten ernennen will.

Zum Schlüsse wollen wir noch bemerken, daß wenn es sich bestätigen
sollte, daß Karl Schurz, Dana und viele andere Reformfreunde sich für die
republikanischen Nominationen entscheiden, eine nicht geringe Anzahl der unab¬
hängigen Reformmänner für Tilden in die Schranken treten wird. Erklärte
doch der hochachtbare Charles Francis Adams jun. auf der „freien Con-
ferenz", welche die Reformfreunde im Mai d. I. zu New-Uork abhielten,
ganz offen: „Es giebt einen erfahrenen Staatsmann in der Union, einen
Mann von hohem, erprobten Charakter. Er heißt Samuel I. Tilden,
und ihn würde ich, wenn er nominirt wird, als den nächstbesten Mann nach
Benjamin H. Bristow unterstützen können."


Rud. Doehn.


Mo Lieömann, zur Unalysts der Wirklichkeit. *)

Seitdem die deutsche Philosophie von den Verirrungen der Büchner'schen
Kraft- und Stoff-Periode einigermaßen sich erholt hat und aus dem Opiumrausch
des Schopenhauer'schen Traumpessimismus wieder erwacht ist, scheint aus dem
Gewirr widersprechender Parteimeinungen eine zwiefache Parole am hörbarsten
hervorzuklingen. „Wiederanknüpfen an Kant!" die eine; „eine Verständigung
der philosophischen Speculation mit der exacten Naturwissenschaft!" die an¬
dere. Beide Mahnrufe, deren ersten Otto Liebmann schon vor zehn
Jahren in einer kleinen geistreichen Schrift mit Erfolg angestimmt hat,
scheinen uns als Ergebniß derselben geschichtlichen Prämissen und bilden nur
den Avers und Revers einer und derselben Gedankenrevolution. Ein durch¬
aus gesunder Rückschlag gegen die im ersten Drittel des Jahrhunderts sich
überspeculirde Schulphilosophie, gegen deren abnormste Treibhausblüthe, den
Hegelianismus, gegen den darauf folgenden materialistischen Katzenjammer —



-) Zur Analysis der Wirklichkeit. Philosophische Untersuchungen von Otto
Liebmann, Straßburg, Verlag von Trübner, 1876.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/120>, abgerufen am 26.04.2024.