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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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und blickte ihm in sein wettergebräuntes Gesicht mit einer Art freundlicher
Verlegenheit, die der gute Bruder offenbar theilte, während die weißen
Hauben und Kleider der Schwestern sich um diesen beklagenswerthen Erben
der "adamischen Lebensweise" sammelten und ihn zu liebkosen bestrebt waren.
Die Mutter stand außerhalb des Kreises mit gelassen unter der Brust gefal¬
teten Händen. Ich weiß nicht, wie es geschah, aber mir kam die Gruppe
ungemein rührend vor. Wenn sie Recht und die Shakerinnen Unrecht hatten,
wie viel Himmel hatten diese dann verloren, als sie auf das höchste Gut der
W. D. H. Erde Verzicht geleistet hatten!




Kuh dem Lssasz.

Ende dieses Monats werden in allen Gemeinden des Reichslandes, mit
Ausnahme der Stadt Straßburg, Wahlen zu gänzlicher Erneuerung der
Munizipal- oder Gemeinderäthe stattfinden. Diese Neuwahlen werden nach
dem Geh. v. 5. Mai 184S sur 1'orMM8g>einen munieiMle alle fünf Jahre
wiederholt, eine Frist, die nach kurzer Abänderung durch das noch geltende
Gesetz vom 22. Juli 1870 wieder hergestellt worden ist. Im Elsaß haben
gemäß den Bestimmungen der Gesetze die letzten allgemeinen Gemeinderaths¬
wahlen Ende Juli 1871, also kurz nach der Einrichtung der neuen deutschen
Verwaltung des damaligen General-Gouvernements des Niederrheins, statt¬
gefunden. Fast um dieselbe Zeit, nämlich im April jenes Jahres, waren von
der französischen National-Versammlung auch für die sämmtlichen Gemeinden
Frankreichs Neuwahlen angeordnet worden. Auch in diesem Jahre trifft die
Wahlperiode diesseits und jenseits der Vogesen wieder so ziemlich zusammen.
Es wird interessant sein, nach dem Ausfall der Wahlen etwaige Parallelen
zu ziehen.

Aus dem I. 1871 existirt noch ein Wahlreglement des damaligen Prä-
fekten des Nieder-Rheins, Graf Lurburg, nebst einer guten und recht über¬
sichtlichen Zusammenstellung der auf die Vorbereitung und Vornahme der
Wahlen bezüglichen gesetzlichen Bestimmungen des französischen Verwaltungs¬
rechts, welche auch jetzt im Wesentlichen wieder publicirt worden sind. Doch
werden den diesjährigen Wahlen schon die laut der neulich vom Landesaus¬
schuß mit großer Befriedigung und Einmüthigkeit entgegengenommenen Ver¬
ordnung vom 28. April 1876 wegen Abänderung des Gesetzes vom 24. Jan. 1873
betr. die Bezirksvertretungen, die Kreisvertretungen und die Wahlen zu den
Gemeinderäthen, unterm 31. Mai eurr. abgeschlossenen Wählerlisten zu Grunde
gelegt. Die jetzigen Wahlen werden also insofern der praktische Prüfstein für
die Zweckmäßigkeit der genannten Maßregel sein.

Für die Straßburger wird der Ausnahmezustand, der nunmehr schon
seit einigen Jahren und seit dem bekannten Conflicte ihres Munizipalrathes
mit der Regierung in communaler Hinsicht über sie verhängt ist, bei dieser
Gelegenheit wieder äußerst fühlbar. So viel Lob sie auch der Umsicht und Thä¬
tigkeit des dermaligen Bürgermeisterei-Verwalters und Polizei-Directors Back
und seines stellvertretenden Adjuncten, Baron v. Reichlin. zollen, so ist
und bleibt es doch immer leicht begreiflich ein drückendes Gefühl für die
Hauptstadt des Landes, in diesem eigentlichen Lebensnerv der communalen


und blickte ihm in sein wettergebräuntes Gesicht mit einer Art freundlicher
Verlegenheit, die der gute Bruder offenbar theilte, während die weißen
Hauben und Kleider der Schwestern sich um diesen beklagenswerthen Erben
der „adamischen Lebensweise" sammelten und ihn zu liebkosen bestrebt waren.
Die Mutter stand außerhalb des Kreises mit gelassen unter der Brust gefal¬
teten Händen. Ich weiß nicht, wie es geschah, aber mir kam die Gruppe
ungemein rührend vor. Wenn sie Recht und die Shakerinnen Unrecht hatten,
wie viel Himmel hatten diese dann verloren, als sie auf das höchste Gut der
W. D. H. Erde Verzicht geleistet hatten!




Kuh dem Lssasz.

Ende dieses Monats werden in allen Gemeinden des Reichslandes, mit
Ausnahme der Stadt Straßburg, Wahlen zu gänzlicher Erneuerung der
Munizipal- oder Gemeinderäthe stattfinden. Diese Neuwahlen werden nach
dem Geh. v. 5. Mai 184S sur 1'orMM8g>einen munieiMle alle fünf Jahre
wiederholt, eine Frist, die nach kurzer Abänderung durch das noch geltende
Gesetz vom 22. Juli 1870 wieder hergestellt worden ist. Im Elsaß haben
gemäß den Bestimmungen der Gesetze die letzten allgemeinen Gemeinderaths¬
wahlen Ende Juli 1871, also kurz nach der Einrichtung der neuen deutschen
Verwaltung des damaligen General-Gouvernements des Niederrheins, statt¬
gefunden. Fast um dieselbe Zeit, nämlich im April jenes Jahres, waren von
der französischen National-Versammlung auch für die sämmtlichen Gemeinden
Frankreichs Neuwahlen angeordnet worden. Auch in diesem Jahre trifft die
Wahlperiode diesseits und jenseits der Vogesen wieder so ziemlich zusammen.
Es wird interessant sein, nach dem Ausfall der Wahlen etwaige Parallelen
zu ziehen.

Aus dem I. 1871 existirt noch ein Wahlreglement des damaligen Prä-
fekten des Nieder-Rheins, Graf Lurburg, nebst einer guten und recht über¬
sichtlichen Zusammenstellung der auf die Vorbereitung und Vornahme der
Wahlen bezüglichen gesetzlichen Bestimmungen des französischen Verwaltungs¬
rechts, welche auch jetzt im Wesentlichen wieder publicirt worden sind. Doch
werden den diesjährigen Wahlen schon die laut der neulich vom Landesaus¬
schuß mit großer Befriedigung und Einmüthigkeit entgegengenommenen Ver¬
ordnung vom 28. April 1876 wegen Abänderung des Gesetzes vom 24. Jan. 1873
betr. die Bezirksvertretungen, die Kreisvertretungen und die Wahlen zu den
Gemeinderäthen, unterm 31. Mai eurr. abgeschlossenen Wählerlisten zu Grunde
gelegt. Die jetzigen Wahlen werden also insofern der praktische Prüfstein für
die Zweckmäßigkeit der genannten Maßregel sein.

Für die Straßburger wird der Ausnahmezustand, der nunmehr schon
seit einigen Jahren und seit dem bekannten Conflicte ihres Munizipalrathes
mit der Regierung in communaler Hinsicht über sie verhängt ist, bei dieser
Gelegenheit wieder äußerst fühlbar. So viel Lob sie auch der Umsicht und Thä¬
tigkeit des dermaligen Bürgermeisterei-Verwalters und Polizei-Directors Back
und seines stellvertretenden Adjuncten, Baron v. Reichlin. zollen, so ist
und bleibt es doch immer leicht begreiflich ein drückendes Gefühl für die
Hauptstadt des Landes, in diesem eigentlichen Lebensnerv der communalen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/206>, abgerufen am 26.04.2024.