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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Die Ursachen des ägyptisch-abessinischen Krieges.

Während auf der Balkanhalbinsel der erbitterte Kampf zwischen Christen
und Muhamedanern noch wüthet, hat ein ähnlicher Kampf in Afrika sein,
wenigstens vorläufiges, Ende gefunden, der Krieg zwischen dem christlichen
Abessinien und dem muhamedanischen Aegypten, über den ich Neues bieten
zu können glaube, da ich den Schauplatz des Kampfes und die leitenden Per-
sönlichkeiten zum Theil aus eigner Anschauung kenne.

Die beiden Staaten Aegypten und Abessinien sind erst seit fünfzig Jahren
in nähere Berührung gekommen, und eben so alt ist die gegenseitige Feind¬
schaft, die sich oft in blutigen kleinen Kämpfen äußerte und endlich im vorigen
Jahre zu dem jetzigen Kriege führte. Im Jahre 1820 drangen die türkischen
Truppen Mehemed Ali's unter Führung Ismail Paschas und dessen Schwagers
Mehemed Bey Defterdar, blutigen Angedenkens in Verfolgung der dem
Blutbade in Cairo entronnenen Mameluken nilaufwärts und wurden natür¬
lich mit den Eingeborenen handgemein. Die Letzteren wurden trotz mann¬
haften Kampfes von den gut geschulten ägyptischen Truppen überall ge¬
schlagen, oft mit schändlicher Grausamkeit unterjocht und ausgerottet, und
ganz Nubien und ein Theil des Sudan der ägyptischen Herrschaft unter¬
worfen. Reste der unterworfenen sudanesischen Stämme flüchteten auf abes-
sinisches Gebiet und führten von dort aus einen wilden Krieg gegen ihre
Unterdrücker, einen Krieg, der sich entsprechend der flüchtigen Natur der No-
waden in blitzschnellen verheerenden Raubzügen äußerte. Daß sich unter
diesen Banden viele Abessinier befanden, die von Raubsucht getrieben den
Kampf mitmachten, ist gewiß, aber der eigentliche abessinische Staat hielt sich
immer mißtrauisch zurück, wenn auch einzelne Häuptlinge an der Grenze den
Kampf mit Eifer führten. Jahre lang dauerten die Kämpfe der Aegypter,
und nur sehr langsam gelang es ihnen, die Unterworfenen zu beruhigen und
^was mit ihrem Loose auszusöhnen. Damals war die günstigste Gelegen-


Grenzbotm III. 1876. 26
Die Ursachen des ägyptisch-abessinischen Krieges.

Während auf der Balkanhalbinsel der erbitterte Kampf zwischen Christen
und Muhamedanern noch wüthet, hat ein ähnlicher Kampf in Afrika sein,
wenigstens vorläufiges, Ende gefunden, der Krieg zwischen dem christlichen
Abessinien und dem muhamedanischen Aegypten, über den ich Neues bieten
zu können glaube, da ich den Schauplatz des Kampfes und die leitenden Per-
sönlichkeiten zum Theil aus eigner Anschauung kenne.

Die beiden Staaten Aegypten und Abessinien sind erst seit fünfzig Jahren
in nähere Berührung gekommen, und eben so alt ist die gegenseitige Feind¬
schaft, die sich oft in blutigen kleinen Kämpfen äußerte und endlich im vorigen
Jahre zu dem jetzigen Kriege führte. Im Jahre 1820 drangen die türkischen
Truppen Mehemed Ali's unter Führung Ismail Paschas und dessen Schwagers
Mehemed Bey Defterdar, blutigen Angedenkens in Verfolgung der dem
Blutbade in Cairo entronnenen Mameluken nilaufwärts und wurden natür¬
lich mit den Eingeborenen handgemein. Die Letzteren wurden trotz mann¬
haften Kampfes von den gut geschulten ägyptischen Truppen überall ge¬
schlagen, oft mit schändlicher Grausamkeit unterjocht und ausgerottet, und
ganz Nubien und ein Theil des Sudan der ägyptischen Herrschaft unter¬
worfen. Reste der unterworfenen sudanesischen Stämme flüchteten auf abes-
sinisches Gebiet und führten von dort aus einen wilden Krieg gegen ihre
Unterdrücker, einen Krieg, der sich entsprechend der flüchtigen Natur der No-
waden in blitzschnellen verheerenden Raubzügen äußerte. Daß sich unter
diesen Banden viele Abessinier befanden, die von Raubsucht getrieben den
Kampf mitmachten, ist gewiß, aber der eigentliche abessinische Staat hielt sich
immer mißtrauisch zurück, wenn auch einzelne Häuptlinge an der Grenze den
Kampf mit Eifer führten. Jahre lang dauerten die Kämpfe der Aegypter,
und nur sehr langsam gelang es ihnen, die Unterworfenen zu beruhigen und
^was mit ihrem Loose auszusöhnen. Damals war die günstigste Gelegen-


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[0209] Die Ursachen des ägyptisch-abessinischen Krieges. Während auf der Balkanhalbinsel der erbitterte Kampf zwischen Christen und Muhamedanern noch wüthet, hat ein ähnlicher Kampf in Afrika sein, wenigstens vorläufiges, Ende gefunden, der Krieg zwischen dem christlichen Abessinien und dem muhamedanischen Aegypten, über den ich Neues bieten zu können glaube, da ich den Schauplatz des Kampfes und die leitenden Per- sönlichkeiten zum Theil aus eigner Anschauung kenne. Die beiden Staaten Aegypten und Abessinien sind erst seit fünfzig Jahren in nähere Berührung gekommen, und eben so alt ist die gegenseitige Feind¬ schaft, die sich oft in blutigen kleinen Kämpfen äußerte und endlich im vorigen Jahre zu dem jetzigen Kriege führte. Im Jahre 1820 drangen die türkischen Truppen Mehemed Ali's unter Führung Ismail Paschas und dessen Schwagers Mehemed Bey Defterdar, blutigen Angedenkens in Verfolgung der dem Blutbade in Cairo entronnenen Mameluken nilaufwärts und wurden natür¬ lich mit den Eingeborenen handgemein. Die Letzteren wurden trotz mann¬ haften Kampfes von den gut geschulten ägyptischen Truppen überall ge¬ schlagen, oft mit schändlicher Grausamkeit unterjocht und ausgerottet, und ganz Nubien und ein Theil des Sudan der ägyptischen Herrschaft unter¬ worfen. Reste der unterworfenen sudanesischen Stämme flüchteten auf abes- sinisches Gebiet und führten von dort aus einen wilden Krieg gegen ihre Unterdrücker, einen Krieg, der sich entsprechend der flüchtigen Natur der No- waden in blitzschnellen verheerenden Raubzügen äußerte. Daß sich unter diesen Banden viele Abessinier befanden, die von Raubsucht getrieben den Kampf mitmachten, ist gewiß, aber der eigentliche abessinische Staat hielt sich immer mißtrauisch zurück, wenn auch einzelne Häuptlinge an der Grenze den Kampf mit Eifer führten. Jahre lang dauerten die Kämpfe der Aegypter, und nur sehr langsam gelang es ihnen, die Unterworfenen zu beruhigen und ^was mit ihrem Loose auszusöhnen. Damals war die günstigste Gelegen- Grenzbotm III. 1876. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/209>, abgerufen am 25.04.2024.