Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Hründerprozesse und die Krisis.
Von Max Wirth.

Die Geschichte aller Krisen hat bewiesen, daß in der denselben vorher¬
gehenden Periode der Uebersveculation, welche durch irgend ein außerordent¬
liches wirthschaftliches Ereigniß hervorgebracht wurde, das Publikum in einen
abnormalen, fieberhaften Zustand, in eine Art Rausch der Gewinnsucht ver¬
setzt wird, in welchem alle ruhige Ueberlegung abhanden kommt. Handels¬
krisen mit diesen ihren Folgen sind unter jeder Art von Gesetzgebung bei
hoch civilisirten Völkern aufgetreten, sei es, daß die Gesetzgebung die Bildung
von Actiengesellschaften, bei welchen die Agiotage -- diese Treibhauspflanze
der Uebersveculation -- die höchsten Auswüchse zu treiben pflegt, -- von der
Concession der Regierung abhängig gemacht oder dieselbe unter gewissen Nor¬
mativ-Bedingungen freigegeben hat. Gerade die Erfahrung in der letzten
Krisis hat diese Wahrnehmung besonders bestätigt, und wenn überhaupt noch
ein Nachtheil vorhanden war, so zeigt er sich eher auf der Seite des Con¬
cessionswesens. In Oesterreich, wo das Concesstonswesen noch bestand, hat
die Krisis stärker gehaust, als in Deutschland, wo das Concessionswesen durch
das neue Actiengesetz nur auf die Eisenbahnen und das Zettelbankwesen, wie
es in der Natur der Sache liegt, beschränkt geblieben, für die übrigen Unter¬
nehmungen aber freigegeben worden ist. Und in Deutschland wurden gerade
die ersten und auffallendsten Mißbräuche in den Eisenbahngründungen ent¬
deckt. Es liegt diese Erscheinung auch in der Natur der Sache; denn das
Publikum wird unwillkürlich verführt, die Solidität einer neuen Unternehmung
weniger genau zu prüfen, bevor es sich betheiligt, wenn dasselbe durch die
Concessionsertheilung oder Privilegirung gewissermaßen sanctionirt worden
ist, so daß man zu dem Glauben verleitet wird, daß die Regierung sich be¬
reits genau von der Reellität des Unternehmens überzeugt hat. Deshalb
haben auch concessionirte Geschäfte allenthalben und in Oesterreich bis in die
neueste Zeit großes Gewicht daraus gelegt, sich dem Publikum als von der
Regierung concessionirte oder k. und k. k. privilegirte Firmen vorzustellen.
Diese Erfahrung ist einer der Hauptgründe, warum man nicht so voreilig
die Ursache der Krisis in Deutschland dem neuen Actiengesetz in die Schuhe
schieben darf. Auch ist die Nothwendigkeit einer Aenderung desselben keines¬
wegs erwiesen, zumal sich bei den gegenwärtigen Gründerprozessen zeigt, daß
die gewöhnliche bürgerliche Rechtspflege Mittel genug besitzt, um Gesetzüber
tretungen in dieser Beziehung zu ahnden. Es ist keines der geringsten Ver¬
dienste von Laster, daß er lange vor dem Ausbruch der Krisis auf diesen
Umstand aufmerksam gemacht und den Justizminister, leider erfolglos, aufge-


Die Hründerprozesse und die Krisis.
Von Max Wirth.

Die Geschichte aller Krisen hat bewiesen, daß in der denselben vorher¬
gehenden Periode der Uebersveculation, welche durch irgend ein außerordent¬
liches wirthschaftliches Ereigniß hervorgebracht wurde, das Publikum in einen
abnormalen, fieberhaften Zustand, in eine Art Rausch der Gewinnsucht ver¬
setzt wird, in welchem alle ruhige Ueberlegung abhanden kommt. Handels¬
krisen mit diesen ihren Folgen sind unter jeder Art von Gesetzgebung bei
hoch civilisirten Völkern aufgetreten, sei es, daß die Gesetzgebung die Bildung
von Actiengesellschaften, bei welchen die Agiotage — diese Treibhauspflanze
der Uebersveculation — die höchsten Auswüchse zu treiben pflegt, — von der
Concession der Regierung abhängig gemacht oder dieselbe unter gewissen Nor¬
mativ-Bedingungen freigegeben hat. Gerade die Erfahrung in der letzten
Krisis hat diese Wahrnehmung besonders bestätigt, und wenn überhaupt noch
ein Nachtheil vorhanden war, so zeigt er sich eher auf der Seite des Con¬
cessionswesens. In Oesterreich, wo das Concesstonswesen noch bestand, hat
die Krisis stärker gehaust, als in Deutschland, wo das Concessionswesen durch
das neue Actiengesetz nur auf die Eisenbahnen und das Zettelbankwesen, wie
es in der Natur der Sache liegt, beschränkt geblieben, für die übrigen Unter¬
nehmungen aber freigegeben worden ist. Und in Deutschland wurden gerade
die ersten und auffallendsten Mißbräuche in den Eisenbahngründungen ent¬
deckt. Es liegt diese Erscheinung auch in der Natur der Sache; denn das
Publikum wird unwillkürlich verführt, die Solidität einer neuen Unternehmung
weniger genau zu prüfen, bevor es sich betheiligt, wenn dasselbe durch die
Concessionsertheilung oder Privilegirung gewissermaßen sanctionirt worden
ist, so daß man zu dem Glauben verleitet wird, daß die Regierung sich be¬
reits genau von der Reellität des Unternehmens überzeugt hat. Deshalb
haben auch concessionirte Geschäfte allenthalben und in Oesterreich bis in die
neueste Zeit großes Gewicht daraus gelegt, sich dem Publikum als von der
Regierung concessionirte oder k. und k. k. privilegirte Firmen vorzustellen.
Diese Erfahrung ist einer der Hauptgründe, warum man nicht so voreilig
die Ursache der Krisis in Deutschland dem neuen Actiengesetz in die Schuhe
schieben darf. Auch ist die Nothwendigkeit einer Aenderung desselben keines¬
wegs erwiesen, zumal sich bei den gegenwärtigen Gründerprozessen zeigt, daß
die gewöhnliche bürgerliche Rechtspflege Mittel genug besitzt, um Gesetzüber
tretungen in dieser Beziehung zu ahnden. Es ist keines der geringsten Ver¬
dienste von Laster, daß er lange vor dem Ausbruch der Krisis auf diesen
Umstand aufmerksam gemacht und den Justizminister, leider erfolglos, aufge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136351"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Hründerprozesse und die Krisis.<lb/><note type="byline"> Von Max Wirth.</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_593" next="#ID_594"> Die Geschichte aller Krisen hat bewiesen, daß in der denselben vorher¬<lb/>
gehenden Periode der Uebersveculation, welche durch irgend ein außerordent¬<lb/>
liches wirthschaftliches Ereigniß hervorgebracht wurde, das Publikum in einen<lb/>
abnormalen, fieberhaften Zustand, in eine Art Rausch der Gewinnsucht ver¬<lb/>
setzt wird, in welchem alle ruhige Ueberlegung abhanden kommt. Handels¬<lb/>
krisen mit diesen ihren Folgen sind unter jeder Art von Gesetzgebung bei<lb/>
hoch civilisirten Völkern aufgetreten, sei es, daß die Gesetzgebung die Bildung<lb/>
von Actiengesellschaften, bei welchen die Agiotage &#x2014; diese Treibhauspflanze<lb/>
der Uebersveculation &#x2014; die höchsten Auswüchse zu treiben pflegt, &#x2014; von der<lb/>
Concession der Regierung abhängig gemacht oder dieselbe unter gewissen Nor¬<lb/>
mativ-Bedingungen freigegeben hat.  Gerade die Erfahrung in der letzten<lb/>
Krisis hat diese Wahrnehmung besonders bestätigt, und wenn überhaupt noch<lb/>
ein Nachtheil vorhanden war, so zeigt er sich eher auf der Seite des Con¬<lb/>
cessionswesens.  In Oesterreich, wo das Concesstonswesen noch bestand, hat<lb/>
die Krisis stärker gehaust, als in Deutschland, wo das Concessionswesen durch<lb/>
das neue Actiengesetz nur auf die Eisenbahnen und das Zettelbankwesen, wie<lb/>
es in der Natur der Sache liegt, beschränkt geblieben, für die übrigen Unter¬<lb/>
nehmungen aber freigegeben worden ist.  Und in Deutschland wurden gerade<lb/>
die ersten und auffallendsten Mißbräuche in den Eisenbahngründungen ent¬<lb/>
deckt.  Es liegt diese Erscheinung auch in der Natur der Sache; denn das<lb/>
Publikum wird unwillkürlich verführt, die Solidität einer neuen Unternehmung<lb/>
weniger genau zu prüfen, bevor es sich betheiligt, wenn dasselbe durch die<lb/>
Concessionsertheilung oder Privilegirung gewissermaßen sanctionirt worden<lb/>
ist, so daß man zu dem Glauben verleitet wird, daß die Regierung sich be¬<lb/>
reits genau von der Reellität des Unternehmens überzeugt hat. Deshalb<lb/>
haben auch concessionirte Geschäfte allenthalben und in Oesterreich bis in die<lb/>
neueste Zeit großes Gewicht daraus gelegt, sich dem Publikum als von der<lb/>
Regierung concessionirte oder k. und k. k. privilegirte Firmen vorzustellen.<lb/>
Diese Erfahrung ist einer der Hauptgründe, warum man nicht so voreilig<lb/>
die Ursache der Krisis in Deutschland dem neuen Actiengesetz in die Schuhe<lb/>
schieben darf.  Auch ist die Nothwendigkeit einer Aenderung desselben keines¬<lb/>
wegs erwiesen, zumal sich bei den gegenwärtigen Gründerprozessen zeigt, daß<lb/>
die gewöhnliche bürgerliche Rechtspflege Mittel genug besitzt, um Gesetzüber<lb/>
tretungen in dieser Beziehung zu ahnden.  Es ist keines der geringsten Ver¬<lb/>
dienste von Laster, daß er lange vor dem Ausbruch der Krisis auf diesen<lb/>
Umstand aufmerksam gemacht und den Justizminister, leider erfolglos, aufge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0240] Die Hründerprozesse und die Krisis. Von Max Wirth. Die Geschichte aller Krisen hat bewiesen, daß in der denselben vorher¬ gehenden Periode der Uebersveculation, welche durch irgend ein außerordent¬ liches wirthschaftliches Ereigniß hervorgebracht wurde, das Publikum in einen abnormalen, fieberhaften Zustand, in eine Art Rausch der Gewinnsucht ver¬ setzt wird, in welchem alle ruhige Ueberlegung abhanden kommt. Handels¬ krisen mit diesen ihren Folgen sind unter jeder Art von Gesetzgebung bei hoch civilisirten Völkern aufgetreten, sei es, daß die Gesetzgebung die Bildung von Actiengesellschaften, bei welchen die Agiotage — diese Treibhauspflanze der Uebersveculation — die höchsten Auswüchse zu treiben pflegt, — von der Concession der Regierung abhängig gemacht oder dieselbe unter gewissen Nor¬ mativ-Bedingungen freigegeben hat. Gerade die Erfahrung in der letzten Krisis hat diese Wahrnehmung besonders bestätigt, und wenn überhaupt noch ein Nachtheil vorhanden war, so zeigt er sich eher auf der Seite des Con¬ cessionswesens. In Oesterreich, wo das Concesstonswesen noch bestand, hat die Krisis stärker gehaust, als in Deutschland, wo das Concessionswesen durch das neue Actiengesetz nur auf die Eisenbahnen und das Zettelbankwesen, wie es in der Natur der Sache liegt, beschränkt geblieben, für die übrigen Unter¬ nehmungen aber freigegeben worden ist. Und in Deutschland wurden gerade die ersten und auffallendsten Mißbräuche in den Eisenbahngründungen ent¬ deckt. Es liegt diese Erscheinung auch in der Natur der Sache; denn das Publikum wird unwillkürlich verführt, die Solidität einer neuen Unternehmung weniger genau zu prüfen, bevor es sich betheiligt, wenn dasselbe durch die Concessionsertheilung oder Privilegirung gewissermaßen sanctionirt worden ist, so daß man zu dem Glauben verleitet wird, daß die Regierung sich be¬ reits genau von der Reellität des Unternehmens überzeugt hat. Deshalb haben auch concessionirte Geschäfte allenthalben und in Oesterreich bis in die neueste Zeit großes Gewicht daraus gelegt, sich dem Publikum als von der Regierung concessionirte oder k. und k. k. privilegirte Firmen vorzustellen. Diese Erfahrung ist einer der Hauptgründe, warum man nicht so voreilig die Ursache der Krisis in Deutschland dem neuen Actiengesetz in die Schuhe schieben darf. Auch ist die Nothwendigkeit einer Aenderung desselben keines¬ wegs erwiesen, zumal sich bei den gegenwärtigen Gründerprozessen zeigt, daß die gewöhnliche bürgerliche Rechtspflege Mittel genug besitzt, um Gesetzüber tretungen in dieser Beziehung zu ahnden. Es ist keines der geringsten Ver¬ dienste von Laster, daß er lange vor dem Ausbruch der Krisis auf diesen Umstand aufmerksam gemacht und den Justizminister, leider erfolglos, aufge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/240
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/240>, abgerufen am 23.04.2024.