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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Französische Auesse.

Paris ist voll von großen und kleinen Fechtboden, die sich mit Ausnahme
von zweien sämmtlich im Erdgeschosse der betreffenden Häuser und immer in
einem Gebäude des Hinterhofes derselben befinden. Kein Mensch, der ein
Stockwerk bewohnte, über dem ein solches Institut tobte, könnte den Lärm,
den sie um sich verbreiten, auch nur einen halben Tag aushalten. Aale ge¬
wöhnen sich mit der Zeit daran, es als gelindes Kitzeln zu betrachten, wenn
sie lebendig geschunden werden. Wer ein paar Jahre an einer der Haupt¬
straßen von Paris gewohnt hat, wird gleichgültig gegen das Brausen und
Rauschen, das Klappern und Rasseln, das Tag für Tag vom Morgen bis
in die Nacht an ihm vorüber geht; einen Fechtsaal über seinem Kopfe würde
er aber doch nicht aushalten lernen. Nur ein Stocktauber wäre im Stande,
bei seinen übrigen vier gesunden Sinnen zu bleiben. Jeder Andere müßte aus
der Haut fahren, wenn er von früh sechs bis Abends elf Uhr das Getöse
über sich ergehen lassen müßte, welches diese jungen Leute machen, indem sie
gehen und kommen, ausfallend aufstampfen, zurückrutschen, zurücktrippeln, den
Fußboden mit knarrender Kreide vestreichen, die Klingen ihrer Fleurets unter
ihren Füßen durchziehen, um sie gerade zu biegen, sie klirrend kreuzen und
sich einander durch geschickte Bewegungen des Handgelenks desarmiren, daß
die Waffe im weiten Bogen zur Erde fällt. Jene beiden Fechtschulen, die
sich ausnahmsweise nicht im Parterre befinden, haben unter sich keine Wohn¬
räume, sondern Magazine, die eine einen Speicher für Bücher, die andere
einen für die Bilder, für welche eine benachbarte Kunsthandlung in ihrem Laden
keinen Raum hat. Da der einzige Einspruch, den Bücher und Bilder selbst
gegen das entsetzlichste Geräusch erheben, darin besteht, daß sie von ihren
Simsen, respective aus ihren Rahmen fallen, so findet ihr Verdruß keine Be¬
achtung. In Paris wird den Klagen über unbequeme Hausgenossen nur
dann Aufmerksamkeit geschenkt, wenn sie vom Hausmann und Thürhüter oder
dem Polizeicommissär unterstützt sind.

Es ist nicht leicht, sich eine Vorstellung von dem Schmutz, der in diesen
Anstalten herrscht, eine Vorstellung zu machen. Nur eine einzige darunter
ist hell und sauber, und sie verdankt ihre Reinlichkeit und Freundlichkeit dem
Umstände, daß der Saal dem berühmten Dramatiker Ernest Legouve gehört.
Derselbe ist ein leidenschaftlicher Verehrer der edlen Fechtkunst und hat das
Parterre des Hauses, das er bewohnt, und welches ihm gehört, an die Ge¬
brüder Robert vermtethet. Ich glaube, daß er mit der Überlassung dieser
Räume an Fechtmeister ein erhebliches Geldopfer bringt. Sie befinden sich
in der Rue Se. Marc, nahe bei der Ecke der Rue Vtvienne und etwa hundert


Französische Auesse.

Paris ist voll von großen und kleinen Fechtboden, die sich mit Ausnahme
von zweien sämmtlich im Erdgeschosse der betreffenden Häuser und immer in
einem Gebäude des Hinterhofes derselben befinden. Kein Mensch, der ein
Stockwerk bewohnte, über dem ein solches Institut tobte, könnte den Lärm,
den sie um sich verbreiten, auch nur einen halben Tag aushalten. Aale ge¬
wöhnen sich mit der Zeit daran, es als gelindes Kitzeln zu betrachten, wenn
sie lebendig geschunden werden. Wer ein paar Jahre an einer der Haupt¬
straßen von Paris gewohnt hat, wird gleichgültig gegen das Brausen und
Rauschen, das Klappern und Rasseln, das Tag für Tag vom Morgen bis
in die Nacht an ihm vorüber geht; einen Fechtsaal über seinem Kopfe würde
er aber doch nicht aushalten lernen. Nur ein Stocktauber wäre im Stande,
bei seinen übrigen vier gesunden Sinnen zu bleiben. Jeder Andere müßte aus
der Haut fahren, wenn er von früh sechs bis Abends elf Uhr das Getöse
über sich ergehen lassen müßte, welches diese jungen Leute machen, indem sie
gehen und kommen, ausfallend aufstampfen, zurückrutschen, zurücktrippeln, den
Fußboden mit knarrender Kreide vestreichen, die Klingen ihrer Fleurets unter
ihren Füßen durchziehen, um sie gerade zu biegen, sie klirrend kreuzen und
sich einander durch geschickte Bewegungen des Handgelenks desarmiren, daß
die Waffe im weiten Bogen zur Erde fällt. Jene beiden Fechtschulen, die
sich ausnahmsweise nicht im Parterre befinden, haben unter sich keine Wohn¬
räume, sondern Magazine, die eine einen Speicher für Bücher, die andere
einen für die Bilder, für welche eine benachbarte Kunsthandlung in ihrem Laden
keinen Raum hat. Da der einzige Einspruch, den Bücher und Bilder selbst
gegen das entsetzlichste Geräusch erheben, darin besteht, daß sie von ihren
Simsen, respective aus ihren Rahmen fallen, so findet ihr Verdruß keine Be¬
achtung. In Paris wird den Klagen über unbequeme Hausgenossen nur
dann Aufmerksamkeit geschenkt, wenn sie vom Hausmann und Thürhüter oder
dem Polizeicommissär unterstützt sind.

Es ist nicht leicht, sich eine Vorstellung von dem Schmutz, der in diesen
Anstalten herrscht, eine Vorstellung zu machen. Nur eine einzige darunter
ist hell und sauber, und sie verdankt ihre Reinlichkeit und Freundlichkeit dem
Umstände, daß der Saal dem berühmten Dramatiker Ernest Legouve gehört.
Derselbe ist ein leidenschaftlicher Verehrer der edlen Fechtkunst und hat das
Parterre des Hauses, das er bewohnt, und welches ihm gehört, an die Ge¬
brüder Robert vermtethet. Ich glaube, daß er mit der Überlassung dieser
Räume an Fechtmeister ein erhebliches Geldopfer bringt. Sie befinden sich
in der Rue Se. Marc, nahe bei der Ecke der Rue Vtvienne und etwa hundert


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[0264] Französische Auesse. Paris ist voll von großen und kleinen Fechtboden, die sich mit Ausnahme von zweien sämmtlich im Erdgeschosse der betreffenden Häuser und immer in einem Gebäude des Hinterhofes derselben befinden. Kein Mensch, der ein Stockwerk bewohnte, über dem ein solches Institut tobte, könnte den Lärm, den sie um sich verbreiten, auch nur einen halben Tag aushalten. Aale ge¬ wöhnen sich mit der Zeit daran, es als gelindes Kitzeln zu betrachten, wenn sie lebendig geschunden werden. Wer ein paar Jahre an einer der Haupt¬ straßen von Paris gewohnt hat, wird gleichgültig gegen das Brausen und Rauschen, das Klappern und Rasseln, das Tag für Tag vom Morgen bis in die Nacht an ihm vorüber geht; einen Fechtsaal über seinem Kopfe würde er aber doch nicht aushalten lernen. Nur ein Stocktauber wäre im Stande, bei seinen übrigen vier gesunden Sinnen zu bleiben. Jeder Andere müßte aus der Haut fahren, wenn er von früh sechs bis Abends elf Uhr das Getöse über sich ergehen lassen müßte, welches diese jungen Leute machen, indem sie gehen und kommen, ausfallend aufstampfen, zurückrutschen, zurücktrippeln, den Fußboden mit knarrender Kreide vestreichen, die Klingen ihrer Fleurets unter ihren Füßen durchziehen, um sie gerade zu biegen, sie klirrend kreuzen und sich einander durch geschickte Bewegungen des Handgelenks desarmiren, daß die Waffe im weiten Bogen zur Erde fällt. Jene beiden Fechtschulen, die sich ausnahmsweise nicht im Parterre befinden, haben unter sich keine Wohn¬ räume, sondern Magazine, die eine einen Speicher für Bücher, die andere einen für die Bilder, für welche eine benachbarte Kunsthandlung in ihrem Laden keinen Raum hat. Da der einzige Einspruch, den Bücher und Bilder selbst gegen das entsetzlichste Geräusch erheben, darin besteht, daß sie von ihren Simsen, respective aus ihren Rahmen fallen, so findet ihr Verdruß keine Be¬ achtung. In Paris wird den Klagen über unbequeme Hausgenossen nur dann Aufmerksamkeit geschenkt, wenn sie vom Hausmann und Thürhüter oder dem Polizeicommissär unterstützt sind. Es ist nicht leicht, sich eine Vorstellung von dem Schmutz, der in diesen Anstalten herrscht, eine Vorstellung zu machen. Nur eine einzige darunter ist hell und sauber, und sie verdankt ihre Reinlichkeit und Freundlichkeit dem Umstände, daß der Saal dem berühmten Dramatiker Ernest Legouve gehört. Derselbe ist ein leidenschaftlicher Verehrer der edlen Fechtkunst und hat das Parterre des Hauses, das er bewohnt, und welches ihm gehört, an die Ge¬ brüder Robert vermtethet. Ich glaube, daß er mit der Überlassung dieser Räume an Fechtmeister ein erhebliches Geldopfer bringt. Sie befinden sich in der Rue Se. Marc, nahe bei der Ecke der Rue Vtvienne und etwa hundert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/264>, abgerufen am 26.04.2024.