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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Literatur.

Die Sprüche Walthers von der Vogelweide über Kirche und Reich.
Von Friedrich Thamr. Nördlingen, Beck'sche Buchhandlung 1876.

Eine recht gute populäre Darstellung der Zustände, welche den lebens¬
froher Sänger von Frühlingsluft und Liebeswonne zu politischen Liedern
veranlaßte. Als Walther, der größte deutsche deutsche Lyriker des Mittel¬
alters, seine Lieder sang, war eine große Zeit, in welcher der Kampf zwischen
dem Staate und der Kirche seinen Höhepunkt erreicht hatte. Der Kernpunkt
des Streites war, wie unser Dichter treffend sagt, daß "die Pfaffen Laienrecht
verkehren wollten".

Es war damals ein Recht im Entstehen. das, von Gelehrten geistlichen
Standes ausgearbeitet, überall das Interesse der Kirche und ihrer Geist¬
lichkeit im Auge hatte. Nach einheitlichem Plane entworfen und streng me¬
thodisch, umspannte es alle Gebiete des öffentlichen und des Privatlebens,
constituirte es einen Staat im oder über dem Staate, dem Reiche, einen Staat, dessen
Zügel der Papst in der Hand hielt. Das canonische Recht also war es, dem der
Dichter so abhold war. Warum er dies war, sagt uns der Spruch vom Zauberer,
wo es von den Päpstlichen heißt, sie falschem die Worte Christi.

Was aber lehrte der Papst? Er lehrte im Gegensatze zum Reiche,
welches auf den Unterschied der Personen und Stände gebaut war,
das Prinzip der Gleichberechtigung Aller. An die Stelle der alten Ord¬
nung mit ihren mannigfachen Vorrechten und Freiheiten sollte eine neue
treten mit Einem Rechte und Einer Freiheit. Der Klerus wollte der
Staat sein, um dies sein zu können, bedürfte er einer Staatsgewalt,
und diese fand er in der Ercommunication, dem Kirchenbann und dem
Interdict. Damit wurden aber auch die materiellen Interessen geschädigt.
Um den öffentlichen Frieden in seinem Sinne herzustellen, stiftete der Papst
Unfrieden, um die hierarchische Ordnung aufrecht zu erhallen, zerstörte er die
Ruhe der Familien und der Gemeinden, um die Welt mit dem Band der
römischen Einheit zu umschließen, löste er die Bande der Gesellschaft. Die
christliche Lehre von der Gemeinschaft der Gläubigen, die allen weltlichen
Zwist und Hader überwinden soll, wurde von dem obersten Hirten der
Gläubigen dazu verkehrt, die Christenheit in zwei feindliche Lager zu spalten.
"Der heilige Vater mehret selbst den Ketzerglauben", sagt Walther in dem
Spruche vom guten Klausner.


Literatur.

Die Sprüche Walthers von der Vogelweide über Kirche und Reich.
Von Friedrich Thamr. Nördlingen, Beck'sche Buchhandlung 1876.

Eine recht gute populäre Darstellung der Zustände, welche den lebens¬
froher Sänger von Frühlingsluft und Liebeswonne zu politischen Liedern
veranlaßte. Als Walther, der größte deutsche deutsche Lyriker des Mittel¬
alters, seine Lieder sang, war eine große Zeit, in welcher der Kampf zwischen
dem Staate und der Kirche seinen Höhepunkt erreicht hatte. Der Kernpunkt
des Streites war, wie unser Dichter treffend sagt, daß „die Pfaffen Laienrecht
verkehren wollten".

Es war damals ein Recht im Entstehen. das, von Gelehrten geistlichen
Standes ausgearbeitet, überall das Interesse der Kirche und ihrer Geist¬
lichkeit im Auge hatte. Nach einheitlichem Plane entworfen und streng me¬
thodisch, umspannte es alle Gebiete des öffentlichen und des Privatlebens,
constituirte es einen Staat im oder über dem Staate, dem Reiche, einen Staat, dessen
Zügel der Papst in der Hand hielt. Das canonische Recht also war es, dem der
Dichter so abhold war. Warum er dies war, sagt uns der Spruch vom Zauberer,
wo es von den Päpstlichen heißt, sie falschem die Worte Christi.

Was aber lehrte der Papst? Er lehrte im Gegensatze zum Reiche,
welches auf den Unterschied der Personen und Stände gebaut war,
das Prinzip der Gleichberechtigung Aller. An die Stelle der alten Ord¬
nung mit ihren mannigfachen Vorrechten und Freiheiten sollte eine neue
treten mit Einem Rechte und Einer Freiheit. Der Klerus wollte der
Staat sein, um dies sein zu können, bedürfte er einer Staatsgewalt,
und diese fand er in der Ercommunication, dem Kirchenbann und dem
Interdict. Damit wurden aber auch die materiellen Interessen geschädigt.
Um den öffentlichen Frieden in seinem Sinne herzustellen, stiftete der Papst
Unfrieden, um die hierarchische Ordnung aufrecht zu erhallen, zerstörte er die
Ruhe der Familien und der Gemeinden, um die Welt mit dem Band der
römischen Einheit zu umschließen, löste er die Bande der Gesellschaft. Die
christliche Lehre von der Gemeinschaft der Gläubigen, die allen weltlichen
Zwist und Hader überwinden soll, wurde von dem obersten Hirten der
Gläubigen dazu verkehrt, die Christenheit in zwei feindliche Lager zu spalten.
„Der heilige Vater mehret selbst den Ketzerglauben", sagt Walther in dem
Spruche vom guten Klausner.


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[0287] Literatur. Die Sprüche Walthers von der Vogelweide über Kirche und Reich. Von Friedrich Thamr. Nördlingen, Beck'sche Buchhandlung 1876. Eine recht gute populäre Darstellung der Zustände, welche den lebens¬ froher Sänger von Frühlingsluft und Liebeswonne zu politischen Liedern veranlaßte. Als Walther, der größte deutsche deutsche Lyriker des Mittel¬ alters, seine Lieder sang, war eine große Zeit, in welcher der Kampf zwischen dem Staate und der Kirche seinen Höhepunkt erreicht hatte. Der Kernpunkt des Streites war, wie unser Dichter treffend sagt, daß „die Pfaffen Laienrecht verkehren wollten". Es war damals ein Recht im Entstehen. das, von Gelehrten geistlichen Standes ausgearbeitet, überall das Interesse der Kirche und ihrer Geist¬ lichkeit im Auge hatte. Nach einheitlichem Plane entworfen und streng me¬ thodisch, umspannte es alle Gebiete des öffentlichen und des Privatlebens, constituirte es einen Staat im oder über dem Staate, dem Reiche, einen Staat, dessen Zügel der Papst in der Hand hielt. Das canonische Recht also war es, dem der Dichter so abhold war. Warum er dies war, sagt uns der Spruch vom Zauberer, wo es von den Päpstlichen heißt, sie falschem die Worte Christi. Was aber lehrte der Papst? Er lehrte im Gegensatze zum Reiche, welches auf den Unterschied der Personen und Stände gebaut war, das Prinzip der Gleichberechtigung Aller. An die Stelle der alten Ord¬ nung mit ihren mannigfachen Vorrechten und Freiheiten sollte eine neue treten mit Einem Rechte und Einer Freiheit. Der Klerus wollte der Staat sein, um dies sein zu können, bedürfte er einer Staatsgewalt, und diese fand er in der Ercommunication, dem Kirchenbann und dem Interdict. Damit wurden aber auch die materiellen Interessen geschädigt. Um den öffentlichen Frieden in seinem Sinne herzustellen, stiftete der Papst Unfrieden, um die hierarchische Ordnung aufrecht zu erhallen, zerstörte er die Ruhe der Familien und der Gemeinden, um die Welt mit dem Band der römischen Einheit zu umschließen, löste er die Bande der Gesellschaft. Die christliche Lehre von der Gemeinschaft der Gläubigen, die allen weltlichen Zwist und Hader überwinden soll, wurde von dem obersten Hirten der Gläubigen dazu verkehrt, die Christenheit in zwei feindliche Lager zu spalten. „Der heilige Vater mehret selbst den Ketzerglauben", sagt Walther in dem Spruche vom guten Klausner.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/287>, abgerufen am 26.04.2024.