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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Studien über LisenbahnpotttiK
im Hinblick auf den Plan der Erwerbung deutscher Eisenbahnen durch
das Reich. Von Max Wirth.
(Schluß zu voriger Nummer.)

Die Gegner der Reichseisenbahnen führen siebentes an. daß noch kein
Großstaat sich an eine solche Aufgabe gewagt habe. Dieser Einwurf ist
einerseits nur zum Theil richtig, andererseits beweist er gar nichts. Denn
wenn man sie nicht unternehmen wollte, weil die Sache noch nicht geschehen ist,
so hätten wir überhaupt noch keine Eisenbahnen. Er ist aber nicht ganz
richtig aus dem einfachen Grunde, weil es wenigstens Großstaaten giebt,
welche sich diese Aufgabe, wenn nicht in der Gegenwart doch für die Zukunft
gesetzt haben. In dieser Beziehung ist in erster Linie Frankreich zu nennen,
wo die Eisenbahnen nach Ablauf ihres Privilegiums unentgeltlich an den
Staat zurückfallen. Es ist ferner Oesterreich anzuführen, wo der gleiche Fall
besteht, und welches überdies sogar den Versuch gemacht hat, das Staats¬
bahn-System in umfassenden Maße zur Geltung zu bringen und nicht durch
innere Gründe, sondern durch Finanz-Verlegenheiten, welche von politischen
Ursachen herrührten, und durch vielleicht unrichtige Finanzpolitik dazu gebracht
worden ist, seine Linien zu verkaufen. Wenn es auch gegenwärtig durch die
Verhältnisse gezwungen ist, beim gemischten System zu beharren, so ist es
doch bezüglich des Ausbaues seines Eisenbahnnetzes schon wieder genöthigt,
die Hilfe des Staates in sehr ausgedehntem Maße in Anspruch zu nehmen;
doch auch dieser Gegenstand wird später eingehend erörtert werden. Es wird
damit auch der Satz widerlegt werden, worin man sich darauf beruft, daß
sowohl in England, wie in Frankreich, in den Vereinigten Staaten und der
Schweiz die Eisenbahnen der Privatindustrie überlassen worden seien. In
Frankreich hat sich der Staat, abgesehen von dem erwähnten Rechte der Zu¬
kunft, auch ein ganz gewaltiges Oberaufsichtsrecht in der Gegenwart vorbe¬
halten, welches viele Mißstände der Privateisenbahnen verhütet. In England,
der Schweiz und den Vereinigten Staaten sind aber solche Mißstände und
Gefahren aufgetaucht, daß sehr ernste Patrioten zu der Ueberzeugung gelangt
sind, es werde früher oder später der Tag kommen, an welchem der Staat
die Eisenbahnen an sich werde ziehen müssen, um dem verderblichen Einfluß
der Privateisenbahn-Dtrectionen auf das politische Leben des Landes ein Ende
zu machen. In England klagt man seit längerer Zeit darüber, daß die Eisen-


Studien über LisenbahnpotttiK
im Hinblick auf den Plan der Erwerbung deutscher Eisenbahnen durch
das Reich. Von Max Wirth.
(Schluß zu voriger Nummer.)

Die Gegner der Reichseisenbahnen führen siebentes an. daß noch kein
Großstaat sich an eine solche Aufgabe gewagt habe. Dieser Einwurf ist
einerseits nur zum Theil richtig, andererseits beweist er gar nichts. Denn
wenn man sie nicht unternehmen wollte, weil die Sache noch nicht geschehen ist,
so hätten wir überhaupt noch keine Eisenbahnen. Er ist aber nicht ganz
richtig aus dem einfachen Grunde, weil es wenigstens Großstaaten giebt,
welche sich diese Aufgabe, wenn nicht in der Gegenwart doch für die Zukunft
gesetzt haben. In dieser Beziehung ist in erster Linie Frankreich zu nennen,
wo die Eisenbahnen nach Ablauf ihres Privilegiums unentgeltlich an den
Staat zurückfallen. Es ist ferner Oesterreich anzuführen, wo der gleiche Fall
besteht, und welches überdies sogar den Versuch gemacht hat, das Staats¬
bahn-System in umfassenden Maße zur Geltung zu bringen und nicht durch
innere Gründe, sondern durch Finanz-Verlegenheiten, welche von politischen
Ursachen herrührten, und durch vielleicht unrichtige Finanzpolitik dazu gebracht
worden ist, seine Linien zu verkaufen. Wenn es auch gegenwärtig durch die
Verhältnisse gezwungen ist, beim gemischten System zu beharren, so ist es
doch bezüglich des Ausbaues seines Eisenbahnnetzes schon wieder genöthigt,
die Hilfe des Staates in sehr ausgedehntem Maße in Anspruch zu nehmen;
doch auch dieser Gegenstand wird später eingehend erörtert werden. Es wird
damit auch der Satz widerlegt werden, worin man sich darauf beruft, daß
sowohl in England, wie in Frankreich, in den Vereinigten Staaten und der
Schweiz die Eisenbahnen der Privatindustrie überlassen worden seien. In
Frankreich hat sich der Staat, abgesehen von dem erwähnten Rechte der Zu¬
kunft, auch ein ganz gewaltiges Oberaufsichtsrecht in der Gegenwart vorbe¬
halten, welches viele Mißstände der Privateisenbahnen verhütet. In England,
der Schweiz und den Vereinigten Staaten sind aber solche Mißstände und
Gefahren aufgetaucht, daß sehr ernste Patrioten zu der Ueberzeugung gelangt
sind, es werde früher oder später der Tag kommen, an welchem der Staat
die Eisenbahnen an sich werde ziehen müssen, um dem verderblichen Einfluß
der Privateisenbahn-Dtrectionen auf das politische Leben des Landes ein Ende
zu machen. In England klagt man seit längerer Zeit darüber, daß die Eisen-


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[0360] Studien über LisenbahnpotttiK im Hinblick auf den Plan der Erwerbung deutscher Eisenbahnen durch das Reich. Von Max Wirth. (Schluß zu voriger Nummer.) Die Gegner der Reichseisenbahnen führen siebentes an. daß noch kein Großstaat sich an eine solche Aufgabe gewagt habe. Dieser Einwurf ist einerseits nur zum Theil richtig, andererseits beweist er gar nichts. Denn wenn man sie nicht unternehmen wollte, weil die Sache noch nicht geschehen ist, so hätten wir überhaupt noch keine Eisenbahnen. Er ist aber nicht ganz richtig aus dem einfachen Grunde, weil es wenigstens Großstaaten giebt, welche sich diese Aufgabe, wenn nicht in der Gegenwart doch für die Zukunft gesetzt haben. In dieser Beziehung ist in erster Linie Frankreich zu nennen, wo die Eisenbahnen nach Ablauf ihres Privilegiums unentgeltlich an den Staat zurückfallen. Es ist ferner Oesterreich anzuführen, wo der gleiche Fall besteht, und welches überdies sogar den Versuch gemacht hat, das Staats¬ bahn-System in umfassenden Maße zur Geltung zu bringen und nicht durch innere Gründe, sondern durch Finanz-Verlegenheiten, welche von politischen Ursachen herrührten, und durch vielleicht unrichtige Finanzpolitik dazu gebracht worden ist, seine Linien zu verkaufen. Wenn es auch gegenwärtig durch die Verhältnisse gezwungen ist, beim gemischten System zu beharren, so ist es doch bezüglich des Ausbaues seines Eisenbahnnetzes schon wieder genöthigt, die Hilfe des Staates in sehr ausgedehntem Maße in Anspruch zu nehmen; doch auch dieser Gegenstand wird später eingehend erörtert werden. Es wird damit auch der Satz widerlegt werden, worin man sich darauf beruft, daß sowohl in England, wie in Frankreich, in den Vereinigten Staaten und der Schweiz die Eisenbahnen der Privatindustrie überlassen worden seien. In Frankreich hat sich der Staat, abgesehen von dem erwähnten Rechte der Zu¬ kunft, auch ein ganz gewaltiges Oberaufsichtsrecht in der Gegenwart vorbe¬ halten, welches viele Mißstände der Privateisenbahnen verhütet. In England, der Schweiz und den Vereinigten Staaten sind aber solche Mißstände und Gefahren aufgetaucht, daß sehr ernste Patrioten zu der Ueberzeugung gelangt sind, es werde früher oder später der Tag kommen, an welchem der Staat die Eisenbahnen an sich werde ziehen müssen, um dem verderblichen Einfluß der Privateisenbahn-Dtrectionen auf das politische Leben des Landes ein Ende zu machen. In England klagt man seit längerer Zeit darüber, daß die Eisen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/360>, abgerufen am 19.04.2024.