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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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System der Staatsbahnen beimessen wollte, obgleich man in diesen Ländern
die getroffene Wahl nicht zu bereuen gehabt hat.

Die Vorzüge der beiden Systeme müssen also ganz ohne Rücksicht auf
ähnliche Schlagworte nach ihrem innern Wesen untersucht, geprüft und ge¬
wogen werden, ehe man sich für das Eine oder für das Andere entscheidet.
Fällt dann das Gewicht zu Gunsten des Staatsbahnsystems in die Wag¬
schale, dann erst ist der Augenblick gekommen, wo zu erwägen ist, ob und
wie weit das Reich die Rechte des Staats für sich in Anspruch nehmen kann.




Die allgemeinen Neuwahlen zu den Gemeinde- oder Munizipalräthen
nebst den hier und da nothwendig gewordenen Stichwahlen sind im ganzen
Reichslande beendet und haben meist recht befriedigende Resultate geliefert,
sowohl bezüglich der Betheiligung der Bevölkerung an diesen Wahlen, als
rückstchtlich der Qualification der gewählten Candidaten. Die Betheiligung
war allenthalben eine viel lebendigere und zahlreichere, als bei den neulichen
Bezirks- und Kreistagswahlen.

Das locale Interesse liegt eben den meisten Wählern weit näher, als
das der größern Verwaltungsbezirke, zumal hier durchschnittlich für dieses
ausgedehntere System der Selbstverwaltung noch der practische Sinn und das
richtige Verständniß fehlt. Dies hat sich selbst in einer der letzten Sitzungen
des Landesausschusses gezeigt, deren Protokoll jetzt erst, nach fast zwei Mo¬
naten, veröffentlicht worden, wo das wichtige Gesetz über die "Kreise", Ein-
theilung, Verfassung derselben, Kreistage:e., durch Majoritätsbeschluß der
Commission einfach ad aetg. gelegt und dessen Berathung auf eine spätere
Session verschoben wurde.

Was die Wahl der Gemeinderaths-Candidaten anbelangt, so wurden in
den meisten Orten die frühern Gemeinderäthe, die von anno 71 oder 72 her fun-
giren, und mit denen die Regierung bisher durchschnittlich ziemlich gut hat fertig
werden können, einfach wieder gewählt. In andern Gemeinden setzte es da¬
gegen gar harte und heiße Wahlkämpfe ab, die sich aber weniger um das
politische Glaubensbekenntniß der Candidaten der verschiedenen Parteien,
als um rein locale, mitunter auch um konfessionelle Gegensätze drehten.

Will man aber einmal nach den landläufigen politischen Kategorien un-


System der Staatsbahnen beimessen wollte, obgleich man in diesen Ländern
die getroffene Wahl nicht zu bereuen gehabt hat.

Die Vorzüge der beiden Systeme müssen also ganz ohne Rücksicht auf
ähnliche Schlagworte nach ihrem innern Wesen untersucht, geprüft und ge¬
wogen werden, ehe man sich für das Eine oder für das Andere entscheidet.
Fällt dann das Gewicht zu Gunsten des Staatsbahnsystems in die Wag¬
schale, dann erst ist der Augenblick gekommen, wo zu erwägen ist, ob und
wie weit das Reich die Rechte des Staats für sich in Anspruch nehmen kann.




Die allgemeinen Neuwahlen zu den Gemeinde- oder Munizipalräthen
nebst den hier und da nothwendig gewordenen Stichwahlen sind im ganzen
Reichslande beendet und haben meist recht befriedigende Resultate geliefert,
sowohl bezüglich der Betheiligung der Bevölkerung an diesen Wahlen, als
rückstchtlich der Qualification der gewählten Candidaten. Die Betheiligung
war allenthalben eine viel lebendigere und zahlreichere, als bei den neulichen
Bezirks- und Kreistagswahlen.

Das locale Interesse liegt eben den meisten Wählern weit näher, als
das der größern Verwaltungsbezirke, zumal hier durchschnittlich für dieses
ausgedehntere System der Selbstverwaltung noch der practische Sinn und das
richtige Verständniß fehlt. Dies hat sich selbst in einer der letzten Sitzungen
des Landesausschusses gezeigt, deren Protokoll jetzt erst, nach fast zwei Mo¬
naten, veröffentlicht worden, wo das wichtige Gesetz über die „Kreise", Ein-
theilung, Verfassung derselben, Kreistage:e., durch Majoritätsbeschluß der
Commission einfach ad aetg. gelegt und dessen Berathung auf eine spätere
Session verschoben wurde.

Was die Wahl der Gemeinderaths-Candidaten anbelangt, so wurden in
den meisten Orten die frühern Gemeinderäthe, die von anno 71 oder 72 her fun-
giren, und mit denen die Regierung bisher durchschnittlich ziemlich gut hat fertig
werden können, einfach wieder gewählt. In andern Gemeinden setzte es da¬
gegen gar harte und heiße Wahlkämpfe ab, die sich aber weniger um das
politische Glaubensbekenntniß der Candidaten der verschiedenen Parteien,
als um rein locale, mitunter auch um konfessionelle Gegensätze drehten.

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[0366] System der Staatsbahnen beimessen wollte, obgleich man in diesen Ländern die getroffene Wahl nicht zu bereuen gehabt hat. Die Vorzüge der beiden Systeme müssen also ganz ohne Rücksicht auf ähnliche Schlagworte nach ihrem innern Wesen untersucht, geprüft und ge¬ wogen werden, ehe man sich für das Eine oder für das Andere entscheidet. Fällt dann das Gewicht zu Gunsten des Staatsbahnsystems in die Wag¬ schale, dann erst ist der Augenblick gekommen, wo zu erwägen ist, ob und wie weit das Reich die Rechte des Staats für sich in Anspruch nehmen kann. Die allgemeinen Neuwahlen zu den Gemeinde- oder Munizipalräthen nebst den hier und da nothwendig gewordenen Stichwahlen sind im ganzen Reichslande beendet und haben meist recht befriedigende Resultate geliefert, sowohl bezüglich der Betheiligung der Bevölkerung an diesen Wahlen, als rückstchtlich der Qualification der gewählten Candidaten. Die Betheiligung war allenthalben eine viel lebendigere und zahlreichere, als bei den neulichen Bezirks- und Kreistagswahlen. Das locale Interesse liegt eben den meisten Wählern weit näher, als das der größern Verwaltungsbezirke, zumal hier durchschnittlich für dieses ausgedehntere System der Selbstverwaltung noch der practische Sinn und das richtige Verständniß fehlt. Dies hat sich selbst in einer der letzten Sitzungen des Landesausschusses gezeigt, deren Protokoll jetzt erst, nach fast zwei Mo¬ naten, veröffentlicht worden, wo das wichtige Gesetz über die „Kreise", Ein- theilung, Verfassung derselben, Kreistage:e., durch Majoritätsbeschluß der Commission einfach ad aetg. gelegt und dessen Berathung auf eine spätere Session verschoben wurde. Was die Wahl der Gemeinderaths-Candidaten anbelangt, so wurden in den meisten Orten die frühern Gemeinderäthe, die von anno 71 oder 72 her fun- giren, und mit denen die Regierung bisher durchschnittlich ziemlich gut hat fertig werden können, einfach wieder gewählt. In andern Gemeinden setzte es da¬ gegen gar harte und heiße Wahlkämpfe ab, die sich aber weniger um das politische Glaubensbekenntniß der Candidaten der verschiedenen Parteien, als um rein locale, mitunter auch um konfessionelle Gegensätze drehten. Will man aber einmal nach den landläufigen politischen Kategorien un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/366>, abgerufen am 25.04.2024.