Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kammerminorität zu thun gewesen wäre. Die einen riethen zur sofortigen
Auflösung, die andern plaidirten für einen großen liberalen Strike und da¬
durch für Sprengung der Kammer. Die Führer der Minorität, unter welchen es
auch nicht an Mitgliedern fehlte, die solchen extremen Schritten geneigt waren,
schauten aber mit Recht die Sache doch etwas ruhiger an: sie fragten sich
einfach, welches die Folgen einer solchen Lahmlegung der parlamentarischen
Thätigkeit in diesem Augenblicke sein würden: dann freilich unausbleibliche
Auflösung, neuer das Land verwirrender und die Parteien nur erhitzender
Wahlkampf, und -- was das. Ausschlaggebendste -- Aufhören mitten in den
Budgetarbeiten und damit totale Verwirrung der finanziellen Staatsbildung.
Solche Verantwortung konnte und durfte die liberale Partei nicht auf sich
nehmen: so thut sie denn ihre Pflicht fest und unerschüttert fort, wenn es
freilich den einzelnen Abgeordneten schwer genug fällt, da auf dem Platz zu
bleiben, wo jede Arbeit eine Sisyphus-Arbeit zu sein scheint, wo auch nach den
überzeugendsten Deduktionen, bei scheinbar ganz indifferenten Vorlagen die einem
blinden Commando gehorchende Majorität auch das beste unbarmherzig nieder¬
stimmt und man Zeit und Kraft wirklich für nichts zu opfern meint. Zum
Capitel des politischen Märtyrerthums, für das die Neuzeit so manches
Material schon geliefert hat, kann der bayrische liberale Abgeordnete wahr¬
lich auch das Seine beitragen. Denn die Zeit scheint noch lange fern sein zu
N>. 5. wollen, da es besser werden kann.




Dom preußischen Landtag.

Am 16. Juni begann das Herrenhaus seine Sitzungen nach den etwas
langen Pfingstferien mit dem Gesetzentwurf über die Befähigung zum höheren
Verwaltungsdienst. Die Hauptstreitfrage bei diesem Gesetz ist, ob die Befähi¬
gung zum Landrathamt abhängig sein soll von dem abgelegten großen
Staatsexamen. Die Regierungsvorlage hatte diese Forderung nicht ent¬
halten, das Abgeordnetenhaus hatte sie hinein gebracht. Das Herrenhaus
hat bei der zweiten Berathung beschlossen, die Forderung fallen zu lassen für
diejenigen Kandidaten zum Landrathamt, welche von den Kreistagen der
Staatsregierung präsentirt werden, während diese bei der Auswahl ihrer
Kandidaten an Personen gebunden bleibt, welche das Staatsexamen bestan-


Kammerminorität zu thun gewesen wäre. Die einen riethen zur sofortigen
Auflösung, die andern plaidirten für einen großen liberalen Strike und da¬
durch für Sprengung der Kammer. Die Führer der Minorität, unter welchen es
auch nicht an Mitgliedern fehlte, die solchen extremen Schritten geneigt waren,
schauten aber mit Recht die Sache doch etwas ruhiger an: sie fragten sich
einfach, welches die Folgen einer solchen Lahmlegung der parlamentarischen
Thätigkeit in diesem Augenblicke sein würden: dann freilich unausbleibliche
Auflösung, neuer das Land verwirrender und die Parteien nur erhitzender
Wahlkampf, und — was das. Ausschlaggebendste — Aufhören mitten in den
Budgetarbeiten und damit totale Verwirrung der finanziellen Staatsbildung.
Solche Verantwortung konnte und durfte die liberale Partei nicht auf sich
nehmen: so thut sie denn ihre Pflicht fest und unerschüttert fort, wenn es
freilich den einzelnen Abgeordneten schwer genug fällt, da auf dem Platz zu
bleiben, wo jede Arbeit eine Sisyphus-Arbeit zu sein scheint, wo auch nach den
überzeugendsten Deduktionen, bei scheinbar ganz indifferenten Vorlagen die einem
blinden Commando gehorchende Majorität auch das beste unbarmherzig nieder¬
stimmt und man Zeit und Kraft wirklich für nichts zu opfern meint. Zum
Capitel des politischen Märtyrerthums, für das die Neuzeit so manches
Material schon geliefert hat, kann der bayrische liberale Abgeordnete wahr¬
lich auch das Seine beitragen. Denn die Zeit scheint noch lange fern sein zu
N>. 5. wollen, da es besser werden kann.




Dom preußischen Landtag.

Am 16. Juni begann das Herrenhaus seine Sitzungen nach den etwas
langen Pfingstferien mit dem Gesetzentwurf über die Befähigung zum höheren
Verwaltungsdienst. Die Hauptstreitfrage bei diesem Gesetz ist, ob die Befähi¬
gung zum Landrathamt abhängig sein soll von dem abgelegten großen
Staatsexamen. Die Regierungsvorlage hatte diese Forderung nicht ent¬
halten, das Abgeordnetenhaus hatte sie hinein gebracht. Das Herrenhaus
hat bei der zweiten Berathung beschlossen, die Forderung fallen zu lassen für
diejenigen Kandidaten zum Landrathamt, welche von den Kreistagen der
Staatsregierung präsentirt werden, während diese bei der Auswahl ihrer
Kandidaten an Personen gebunden bleibt, welche das Staatsexamen bestan-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136149"/>
          <p xml:id="ID_74" prev="#ID_73"> Kammerminorität zu thun gewesen wäre. Die einen riethen zur sofortigen<lb/>
Auflösung, die andern plaidirten für einen großen liberalen Strike und da¬<lb/>
durch für Sprengung der Kammer. Die Führer der Minorität, unter welchen es<lb/>
auch nicht an Mitgliedern fehlte, die solchen extremen Schritten geneigt waren,<lb/>
schauten aber mit Recht die Sache doch etwas ruhiger an: sie fragten sich<lb/>
einfach, welches die Folgen einer solchen Lahmlegung der parlamentarischen<lb/>
Thätigkeit in diesem Augenblicke sein würden: dann freilich unausbleibliche<lb/>
Auflösung, neuer das Land verwirrender und die Parteien nur erhitzender<lb/>
Wahlkampf, und &#x2014; was das. Ausschlaggebendste &#x2014; Aufhören mitten in den<lb/>
Budgetarbeiten und damit totale Verwirrung der finanziellen Staatsbildung.<lb/>
Solche Verantwortung konnte und durfte die liberale Partei nicht auf sich<lb/>
nehmen: so thut sie denn ihre Pflicht fest und unerschüttert fort, wenn es<lb/>
freilich den einzelnen Abgeordneten schwer genug fällt, da auf dem Platz zu<lb/>
bleiben, wo jede Arbeit eine Sisyphus-Arbeit zu sein scheint, wo auch nach den<lb/>
überzeugendsten Deduktionen, bei scheinbar ganz indifferenten Vorlagen die einem<lb/>
blinden Commando gehorchende Majorität auch das beste unbarmherzig nieder¬<lb/>
stimmt und man Zeit und Kraft wirklich für nichts zu opfern meint. Zum<lb/>
Capitel des politischen Märtyrerthums, für das die Neuzeit so manches<lb/>
Material schon geliefert hat, kann der bayrische liberale Abgeordnete wahr¬<lb/>
lich auch das Seine beitragen. Denn die Zeit scheint noch lange fern sein zu<lb/><note type="byline"> N&gt;. 5.</note> wollen, da es besser werden kann. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Dom preußischen Landtag.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_75" next="#ID_76"> Am 16. Juni begann das Herrenhaus seine Sitzungen nach den etwas<lb/>
langen Pfingstferien mit dem Gesetzentwurf über die Befähigung zum höheren<lb/>
Verwaltungsdienst. Die Hauptstreitfrage bei diesem Gesetz ist, ob die Befähi¬<lb/>
gung zum Landrathamt abhängig sein soll von dem abgelegten großen<lb/>
Staatsexamen. Die Regierungsvorlage hatte diese Forderung nicht ent¬<lb/>
halten, das Abgeordnetenhaus hatte sie hinein gebracht. Das Herrenhaus<lb/>
hat bei der zweiten Berathung beschlossen, die Forderung fallen zu lassen für<lb/>
diejenigen Kandidaten zum Landrathamt, welche von den Kreistagen der<lb/>
Staatsregierung präsentirt werden, während diese bei der Auswahl ihrer<lb/>
Kandidaten an Personen gebunden bleibt, welche das Staatsexamen bestan-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] Kammerminorität zu thun gewesen wäre. Die einen riethen zur sofortigen Auflösung, die andern plaidirten für einen großen liberalen Strike und da¬ durch für Sprengung der Kammer. Die Führer der Minorität, unter welchen es auch nicht an Mitgliedern fehlte, die solchen extremen Schritten geneigt waren, schauten aber mit Recht die Sache doch etwas ruhiger an: sie fragten sich einfach, welches die Folgen einer solchen Lahmlegung der parlamentarischen Thätigkeit in diesem Augenblicke sein würden: dann freilich unausbleibliche Auflösung, neuer das Land verwirrender und die Parteien nur erhitzender Wahlkampf, und — was das. Ausschlaggebendste — Aufhören mitten in den Budgetarbeiten und damit totale Verwirrung der finanziellen Staatsbildung. Solche Verantwortung konnte und durfte die liberale Partei nicht auf sich nehmen: so thut sie denn ihre Pflicht fest und unerschüttert fort, wenn es freilich den einzelnen Abgeordneten schwer genug fällt, da auf dem Platz zu bleiben, wo jede Arbeit eine Sisyphus-Arbeit zu sein scheint, wo auch nach den überzeugendsten Deduktionen, bei scheinbar ganz indifferenten Vorlagen die einem blinden Commando gehorchende Majorität auch das beste unbarmherzig nieder¬ stimmt und man Zeit und Kraft wirklich für nichts zu opfern meint. Zum Capitel des politischen Märtyrerthums, für das die Neuzeit so manches Material schon geliefert hat, kann der bayrische liberale Abgeordnete wahr¬ lich auch das Seine beitragen. Denn die Zeit scheint noch lange fern sein zu N>. 5. wollen, da es besser werden kann. Dom preußischen Landtag. Am 16. Juni begann das Herrenhaus seine Sitzungen nach den etwas langen Pfingstferien mit dem Gesetzentwurf über die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst. Die Hauptstreitfrage bei diesem Gesetz ist, ob die Befähi¬ gung zum Landrathamt abhängig sein soll von dem abgelegten großen Staatsexamen. Die Regierungsvorlage hatte diese Forderung nicht ent¬ halten, das Abgeordnetenhaus hatte sie hinein gebracht. Das Herrenhaus hat bei der zweiten Berathung beschlossen, die Forderung fallen zu lassen für diejenigen Kandidaten zum Landrathamt, welche von den Kreistagen der Staatsregierung präsentirt werden, während diese bei der Auswahl ihrer Kandidaten an Personen gebunden bleibt, welche das Staatsexamen bestan-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/38>, abgerufen am 16.04.2024.